Freitag, 19. August 2005

rowohlt-content.

auszug aus In Schlucken-zwei-Spechte :

(wir gehen direkt ins buch, interviewsituation, harry erzählt von seinem vater )

Dass mein Vater auch ein Mensch ist. Da hätte er gerne noch ein bisschen länger rummurkeln können, aber das ist eben nicht gelungen. Wozu auch. Das war kein leben für ihn, sich nicht in den Verlag zu trauen, und zu Hause Zoff. Seine letzten Worte waren. und das war ganz typisch für ihn, eine Mischung aus bestellung und Beschwerde: „Eigentlich ist doch jetzt Bockbierzeit.“ Also hat er noch ein Bockbier bekommen, und ist dann abgekratzt.

Einfach so?

Er hatte früher schon mal einen herzinfarkt. Unser Hausarzt in Hamburg, Professor Dr. Kurt Fröbe, der damalige Spitzenkandidat der Hamburger DFU, hat ihm einen Hund verschrieben, damit er jeden Tag zweimal spazieren gehen musste.

Gibt’s den auf Krankenschein?

Nö. Aber sollte es. Der erste Hund war ein Polizeihund, dessen Hundeführer an die Polizeischule nach Eckernförde befördert worden war. Dort hat der Hund den ganzen Tag Bücherdienst geschoben und wurde immer trübseliger, weil er Streife gehen wollte. Deshalb war er billig abzugeben. Vater, Mutter und ich sind hingefahren und kamen in das Büro, wo der Hund unter dem Schreibtisch saß. Er hat sich auf mich gestürzt und umgeschmissen, weil Boxer ja sehr kinderlieb sind. Boxer sind nach einem ziemlich komplizierten System gestrickt. Was größer ist als er selbst, wird bekämpft, was genau so groß ist, wird gevögelt, was kleiner ist, wird beschützt. Deshalb gucken Boxer so besorgt, weil sie jeden Tag etwa 80 000 Entscheidungen treffen müssen. ich wurde also beschützt, weshalb er mich erst mal hingeschmissen hat. Die zwei Spaziergänge mit meinem Vater haben ihm überhaupt nicht genügt. Deshalb ist er immer auf eigene Faust auf dem Oberalsterwanderweg Streife gegangen, um nach dem rechten zu sehen. Wir hatten ein Gatter, das in der Mitte etwas höher als links und rechts war, und er ist immer über die höchste Stelle gesprungen, um zu zeigen, was er kann. Sein Nachfolger „Toxi“ ging auch auf dem Oberalsterweg Streife, aber der hat sich ein Loch unter dem Zaun hindurch gegraben. Er war von Beruf nicht Polizist, sondern Schauspieler, neigte also eher zur Bequemlichkeit. Eigentlich hieß er nicht „Toxi“, sondern „Erlo von der Kollau“. Er war ursprünglich für den König von Nepal gezüchtet worden, der dann jedoch starb. Der Thronfolger fragte sich, was soll ich hier mit so einem kurzhaarigen Hund, der friert doch den ganzen Tag -
und hat ihn wieder abbestellt.
Er musste dann tingeln gehen, damit das Geld wieder reinkam. Er hat in diesem Rührstück „Toxi“ mitgespielt. Der Film handelte von einem Besatzungskind, gespielt von einem kleinen, farbigen Mädchen, das nicht wesentlich älter war als er und von den Kameras und dem Regisseur und den Maskenbildnern Angst hatte. Die haben ihr zum Trost „Toxi“, also „Erlo“, als Welpen beigesellt. Er selbst ist in dem Film nie zu sehen. Ich dachte immer, er hätte da mitgespielt. Hat er aber nicht, und wenn, dann ist er rausgeschnitten worden. Elke Heidenreich hat mir den Film mal im Fernsehen auf Video aufgenommen und mich furchtbar beschimpft. Sie hätte die ganze Zeit geguckt, ob ein Boxerwelpe vorkommt. Weit und breit kein Boxer. Zum Beweis hat sie mir die Kassette geschickt.

Vielleicht hat der Hund ja nur als Dialektcoach mitgewirkt.

Danach bekam ich Hupert von Meyerinck. Beziehungsweise Hubsi von Meyerinck. Seit dieser Zeit hatte der Hund eine Abneigung gegen Schwule. Wenn jemand zu Besuch kam, von dem man nicht so richtig wusste, ob er schwul ist oder nicht, merke man es spätestens an der Reaktion des Hundes. Er fing an zu knurren, sein Rückenfell sträubte sich, und er ging steifbeinig rückwärts aus dem Raum. Das war ihm selber peinlich, weil man doch zu Besuch nett sein muss, besonders als Boxer, die ja allgemein sehr freundlich sind. Es war schön anzusehen, wie er darunter litt, aber seine Abneigung war stärker als er selbst.
Er war ein ausgesprochener Charmebolzen. Meine Eltern und ich sind mal im Harz, in der Nähe der Zonengrenze, spazieren gegangen. Damals war die Grenze noch offen. Ein Bundesgrenzschützer kam und sagte: „Fast wären Sie jetzt auf das Gebiet der Ostzone gelatscht. Das ist ja ein schöner Hund.“
Mein Vater antwortete: „Schön vielleicht, aber er ist so verspielt und gutmütig. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der die Schutzhundprüfung bestanden haben soll.“
Der Bundesgrenzschützer brach einen großen Ast ab und ging ohne Vorwarnung auf meinen vater los. Da hättest du den veträumten und gemütlichen Toxi mal sehen sollen. Er ging dem Bundesgrenzschützer gezielt an die Kehle, so dass der richtig in Gefahr geriet.
Seitdem haben wir den Hund gesiezt.

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