Freitag, 18. August 2006

gestreckte Waffen und Langeweile in der ersten Reihe.

Launisch zischte ich gestern Abend zwischen den Laken hervor, dass ich besser mein Buch weiter gelesen hätte, statt mir die neue Glanzleistung der ARD anzusehen. Wickert stellte drei mal die selbe Frage an Günter Grass, der ihm geduldig drei mal brav und formvollendet ( und für uns Zuschauer dankenswerter Weise abwechselnd in der Wortwahl und mit immer frischen Ansätzen dazwischen) eine Antwort gab, und beim vierten mal ging ihm dann auch langsam die Puste aus, und er hustete sich zu Frage fünf. Wickert selber sah aus, als hätte er vor der Sendung einen sauren Drop gehabt, man hätte meinen können, er nahm Günter Grass das persönlich Übel, seine drei Monate als Berufs-Nazi, da kann er der Presse sagen, was er will. Oder er wollte mal anders wirken, als ewig Mr. Tagesthemen. Immerhin, er forderte nichts zurück, keine Danziger Ehrenbürgerschaft, keinen Nobelpreis nicht, das ist ja auch schon mal was, wo gerade die ganze Welt irgendwas vom bösen Günter zurückhaben will. Ich nicht, ich stell die Blechtrommel sympatisierend von rechts nach links und sage: Ohne diese Antriebsfeder und die drei Monate wäre Grass nicht Grass gewesen und hätte nicht das gemacht, was ihn heute zum Inhaber einer Ehrenbürgerschaft und eines Nobelpreises macht.


reisenotizen, 9. seite.

Sonntag, 18. Juni 06

Mimizan Plage

Sonne, 30 °C


„Ich hol uns hier raus!“

Sollte gleich irgend jemand zu mir sagen „Lu, Hey, Du siehst ja aus, als hätte Dich jemand rückwärts durch einen Brombeerstrauch gezogen!“, dann kann ich erhobenen Hauptes antworten „Ja, genau, und ich lag dabei noch gegen Bremsen, Ufergestrüpp, herabhängende Äste und Stromschnellen kämpfend rücklings in einem Kanu und hatte nur einen Bikini an.“

Acht Kilometer in praller Mittagssonne durch ein französisches Flussgebiet gebrasselt, welches durch tolle wie stille Natur etc. besticht. Hatte ich bloß wenig Zeit und Muße zu, mir das alles genau anzusehen, weil ich saß vorne und musste paddeln, und dabei sehr oft nach hinten zu M. „Warte, ich hol uns da raus!“ rufen. „Da raus“ bedeutete in diesem Fall meist die Uferböschung, in die wir, die wir noch nie zusammen gepaddelt sind, ach, was schwurbel ich... ich, die noch nie gepaddelt ist und M., der ganz andere Vorstellungen von Wegen und Richtungen hatte, ganz gerne mal hinein donnerten. Es ist schon ein heisser Moment, wenn man erkennt, dass das böse Ufergebüsch bis an die Zähne mit dünnen, langen Dornen bewaffnet ist, und keine Probleme damit hat, diese Waffen auch einzusetzen. Ich konnte mich nur ergeben ducken, mit meinem Superpaddel gegen hoffentlich nicht atmende Widerstände im Morast drücken und dabei immer gegen die Anstrengung atmen. Nach 20 Minuten sah ich aus wie die deutsche Schwester von Bruce Willis . Die Schwimmweste leger geöffnet weil mir eine XL-Wespe direkt in den Ausschnitt landete, die Oberschenkel nass und blutig zerkratzt und vor Anstrengung rosig leuchtende Wangen, die mit ihrer Signalfarbe immer diese seltsam schwarzen Libellen anlockten. Was für ein unglaublich natürliches Erlebnis!
Aber ich hatte es nicht anders gewollt, ich schrie ja förmlich nach Bewegung und Schweiß.
Was mich etwas verwunderte ist die Tatsache, dass der Kanuverleiher ein grundgutes Vertrauen in seine Kundschaft haben muss, weil bei dem ging das so: Man ruft an, nennt einen Termin, wann man gerne Kanu fahren möchte, er sammelt ein paar Termine und dann fährt man zu ihm in den Wald. Dort werden Kanus wie Menschen an und in den Sprinter gepackt und eine echt lange Zeit durch die Pampa gekarrt. Am Ende weiß keiner mehr, wo man ist. Dann kann man sich noch ein schönes Paddel aussuchen und er lässt einen lächelnd in den Fluss zu Wasser. Die erste Stromschnelle kommt nach gut 20 Metern, man hört ihn noch lachen, wenn man sich gegen den Uhrzeigersinn darin dreht und doof guckt.
Dieser Mann fragt nichts, er lässt einen einfach allein. Was man sich unbedingt merken sollte, ist das Aussehen der Brücke vom Abfahrtsort, weil die muss man nach den acht Kilometern Flussweg sehen und vor allem erkennen UND dort rechts raus, weil um die Ecke kommt der Atlantik, und da will man mit dieser rasanten Nussschale nun wirklich nicht hinein.
Ich machs kurz: Wir haben es geschafft, auch wenn wir ein paar Meter vor Ziel noch eine Ewigkeit auf einer Wurzel festhingen, und es hat einen riesigen Spaß gemacht. Und der Bremsenbiss an meinem linken Innenarm sah noch gar nicht so übel aus. Hach!

Und der Morgen, der ist schnell erzählt: Zwei Stunden Strand, Doppelbrecher an Wellen, nach drei mal kräftig nach unten getunkt werden hatte ich die Nase + die Hose voll. Dafür alten bekannten Lifeguard getroffen und ein wenig Klönschnack gehalten. Ich freu mich ja immer, wenn ich im Urlaub „alte bekannte“ treffe, man fühlt sich dann immer gleich ganz eingeboren und voll integriert.


(Ausblicke; mit Jungs am Strand.)

Warum ich den Morgen nach dem Nachmittag aufschreibe? Weil mein Bremsenbiss gerade mehr Aufsehen macht, als meine im Atlantiksand zur Bremse umfunktionierte Nase, das ist alles.
Und jetzt habe ich keine Zeit mehr, Mo hat ein sehr straffes Programm heute, also duschen und ab ins Restaurant, es ist gleich neun.


(eine Stunde später sah Lu diese Formation, knapp gekocht mit Sauce. Im Hintergrund wurde ein Fass entkorkt.)

PS nach Mitternacht: Ich sehe gerade, dass mein Bremsenbiss mittlerweile nicht nur gigantisch geschwollen und steinhart ist, sondern dass ich auch noch zu lange in der Sonne war. Ich leuchte zart im reinen Weiß der Laken. Außerdem hatte ich ein Literchen zu viel von diesem leckeren Rotwein, das ganze Haus dreht sich um mich herum.
Das zum Thema Eingeborene!


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