Mittwoch, 22. September 2004

das boot-camp der schreibtischtäter

er war naturblass und seine shorts eine nummer zu groß und stahlblau, was ihn gleich noch eine nuance blasser wirken ließ.
mit unruhigem blick ging er durch die reihen, nestelte an seinem "no sports" shirt und sah so aus, als würde er sich innerlich schon jetzt für die wahl dieses kleidungsstückes prügeln.

es ist mittags, wir befinden uns in meiner pause, mitten zwischen fitnessgeräten und beatreicher musik.
fitnessstudioumgebung, und von oben plattert der herbstregen auf die oberlichter.
ich erhitzte mich seit geraumer zeit auf diesem höllending, zu dem mein trainer t. zärtlich nordic-walker sagt, und mit mir die übliche mittwochmittags posse, die sich aus dem aber-hallo rüstigen staranwalt mit tattoo am bein und busenfreund ( oder dauer-klient, so genau weiß das hier niemand ) zusammensetzt, desweiteren die beiden ukrainischen boxer, und mir, die frau, die auf dem nordic-walker verdampft.

er steht also da und weiß noch nicht so genau, bis trainer t. sich seiner annimmt. mit großen ken-schritten läuft er dynamisch auf ihn zu, kommt direkt vor ihm zum stehen, federt nach, grinst. der mann ist laufende werbung der angenehmen sorte, kein steroid-bulle, sondern nett.
und genau so, eben nett, grinst er jetzt das "no sports" shirt an und sagt den spruch, der uns eingeweihte alle zusammenzucken läßt :
" na, dann wollen wir mal. " mit so einem gutgelaunten, kleinen hüpfer aus den fussballen heraus.

ich bin mittlerweile auf betriebstemperatur und lümmel mich mit dem anwalt auf dem boden zwischen den hanteln. der mistkerl hat mir die 5 kg-dinger weggeschnappt, so dass ich laut knarzend mit den 7,5ern kämpfe, während ich im hintergrund den blassen sehe, der sich schmallippig ein lächeln abringt und sagt:
"doch, ich esse gut. ich weiß nicht, warum ich kaum muskeln habe, ich esse nämlich fast jeden tag einen ganzen fisch."
bei der vorstellung, wie er sich jeden tag einen ganzen fisch am stück auf einen teller legt, gehen bei mir intern die säue los, und in einem überschätzten kraftakt der gehobenen gewichtsklasse mache ich zwei dinge gleichzeitig: 1. doof über den gedanken mit dem fisch grinsen und mir 2. die 7,5er hantel frontal vor das rechte jochbein zu donnern. meine arme zittern, der anwalt kichert, trainer t. guckt mich vorwurfsvoll an, so wie mich früher mein chemie-lehrer immer vorwurfsvoll anschaute, wenn ich einen versuch verpufft hatte.

kurz darauf, mein jochbein noch beruhigend reibend, quäle ich mich zum lege ich mich unter das nächste gerät. meine wirbelsäule jubelt, drei muskel im vorderen oberkörper beginnen zu beben, während die beiden boxer im spiegel beobachten, wie mein shirt sich von unten nach oben aufrollt. innerlich auf stretchanteile im engen shirt fluchend, und beide hände belegt ( hätt' ich losgelassen, hätte ich jetzt einen frischen schädelbasisbruch ) sehe ich also meinen frisch entblößten bauchnabel in sich vibrieren, atme aus, breche unter der stange zusammen, fluche, fluche noch einmal und halte dann sofort die luft an, als ich folgendes in meinem nacken höre :
"sie sind schriftsteller, und das bedeutet, dass sie die meiste zeit sitzen. richtig ?"
"richtig." sagte der blasse, und schob sich mit zwei fingern und einem geübten griff seine brille die nase hoch.
"und deswegen können sie fisch essen wie sie wollen, bei ihrer veranlagung und bei ihren medizinischen auswertungen müssen sie mehr für sich tun, als ihre schreibmaschine von der küche ins wohnzimmer zu tragen. dann verwerten sie auch ihren ganzen fisch richtig."
ich glaube, boot-camp-trainer t. hatte mittlerweile wie ich einen absurden gefallen an der sache mit dem fisch gefunden, so unter erwähnungszwang wie er offensichtlich stand.
" ich arbeite aber am computer ..." konnte der blasse grad noch sagen, bevor t. ihn knackige dreißig minuten unter seine fittiche nahm. wir alle schauten nett und ermutigend, fast kumpelhaft, machten motivierende geräusche, so zeug halt. diese halbe stunde hatten wir alle hinter uns, unvergessen.

ich machs kurz : am ende war sein "no sports" shirt komplett durchgeschwitzt, seine grau-melierten haare sahen aus wie mit gel verpanscht und er hatte einen ganz neuen gesichtsausdruck.
denn als er sich kurz darauf unbemerkt fühlte ( ich lag gedehnt und still wie ein fisch auf einer matte in der ecke ), legte er die brille ab, hopste an eine höher hängende stange, hielt sich gut fest und klinkte sich mit den kniekehlen so ein, dass er kopfüber runterhängen konnte.
er sah sehr glücklich und zufrieden aus, bevor er abglitt.
als ich später aus der dusche kam, unterschrieb er vorne die anmeldung, während er sich verstohlen die schulter rieb.
ein neuer im camp, die runde wird immer schräger.

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Sagen Sie doch einfach beim nächsten Mal "Hallo".
;-)

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ich dachte zuerst :-O, aber nach dem lesen dann :-I , weil in "meinem" studio ist alles nett und schrullig, und man kann trotz mitgliedschaft die treppe nehmen und outdoor-gedöns machen.
vorher dachte ich übrigens genau so wie ligneClaire.

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Die Frauen, die ich kenne und in Studios gehen, sind alle begeistert. Männer, die in "solche Studios" ;-) gehen, kenne ich nicht. Die haben Vorurteile - oder kein Geld.

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