Dienstag, 5. Juli 2005

unten im topf.

und was, wenn man seit tagen ganz unten im topf sitzt, sich an den zehen spielt und denkt, das hört ja gar nicht auf grad, dieses trauern und dieses gedankenkreiseln ? und was, wenn da wirklich einer schuld war, im ersten krankenhaus ? wer war dieser idiot, der meinen vater zu früh entlassen hat ? und vor allem : macht er das öfter ? und was wäre gewesen, wäre er sofort in die mainzer uniklinken ? und was denken sich die drei heiligen mediziner, die den brief unterschrieben haben, den ich in den händen halte ?
profs, leitende und stationsarzt bla.
beileid, trauer, nochmal bla. leeres gewäsch, in meinen ohren. ich bin enttäuscht. ich bin stinksauer, verzweifelt, wütend und, und das macht die sache so pfeffrig : machtlos !
egal was ich jetzt tue, egal wen ich am telefon falten kann, durch die einfache frage : was haben sie sich dabei eigentlich gedacht ? egal, wie viele unterlagen ich anfordere ...
er kommt nicht wieder. nienienie. ich kann keinen zombie ziehen, er ist nur noch ein haufen asche und steht immer noch zwei strassen entfernt von mir im regal des urlaubenden bestatters.

vor dem zweistündigen heulkrampf des gestrigen abends telefonierte ich mit meiner langsam wahnsinnig werdenden französischen freundin. sie mag ja zur zeit ein faible für verschwörungstheorien besitzen und ab und an ein wenig vom weg abkommen, aber in einem hatte sie recht, ich hab mir das in den letzten zwei jahren auch oft gedacht : es wird operiert wie blöd, und ich habe noch nie von so vielen menschen gehört, die mit künstlichen klappen und hüften durchs leben laufen, wie in den letzten monaten. als ginge es nicht mehr ohne, dabei wird verdient und verdient und operiert und noch mal verdient. der patient ist eh nur scheinmündig, der kann nur staunend und chemisch runterberuhigt auf all die tollen medizinischen errungenschaften starren als wäre es der neue SLK, und hoffen. und vertrauen. eine fähigkeit übrigens, die bei mir komplett zurückentwickelt ist, bzw. ein paar mal erfolgreich erstickt wurde.

ich hab auch gehofft, wenn auch mit einem magengrimmen. ( das sagte der prof. übrigens auch, das mit dem magengrimmen. er hätte meinen vater mit einem magengrimmen operiert, weil eigentlich hätte er das nicht mehr gemacht. da musste er ja lange magengrimmen gehabt haben, so um die acht stunden, tjanu. )
ich dachte, es wird schon okay sein, ich dachte, sie kümmern sich richtig um ihn, ich dachte, ich solle mal ruhig bleiben mit meiner unruhe, die wissen schon was sie tun. bestimmt.
und gestern abend dachte ich, dass das hier nicht passiert wäre, vielleicht. ich hätte keine ruhe gegeben, ich hätte ihn sehen können, ich hätte. aber so was denkt man nun mal, wenn man sonst nichts mehr tun kann, wenn alles zu spät ist, wenn das puzzle langsam ein bild ergibt.
wie alt war dein vater ? fragte mich die franz. freundin.
64, sagte ich.
das ist kein alter, kein alter zum sterben, sie darauf.
ja, ich weiß.

und was, wenn man seit tagen nicht weiß, wie man mit dem schmerz umgehen soll ? wenn man im dunkeln kein auge zubekommt, weil die bilder hochkommen, eins ums andere, immer wieder ? ich bin blockiert, ich bin ausgebremst, ich verarbeite, ich bin dünnhäutig wie - und jetzt fällt mir kein passender vergleich ein.
als ich gestern von der arbeit nach hause fuhr, sah ich auf der strasse eine frau in meinem alter, die mit ihrem vater alberte, beide ein riesen-eis in der hand, es war ja warm. ich hatte auf der stelle einen kloss im hals. als ich dann von der haltestelle durchs viertel lief und den wind genoss, und diesen unglaublich schönen himmel, da lag eine dicke, pelzige und vor allem tote hummel plötzlich vor meinen füssen. und ich musste heulen. dünnhäutig wie.

es gibt auch gute momente, sicher. aber wenn man unten im topf sitzt, und sich an den zehen spielt und denkt, dass das ja grad gar nicht mehr aufhört, dann sind die immer zu wenig, die guten.
und die zehen bleiben immer zehn. wenns gut läuft.

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Ich bin bis jetzt immer vorbeigegangen, wenn du über deinen Vater geschrieben hast. Vorbeigegangen, gelesen aber nicht zu lange drüber nachgedacht. Weggeschoben, weil es Sachen hervorgeholt hat, die ganz unten waren. Unter dem Haufen. Dinge, die Jahre her sind und eigentlich längst abgelegt sind, sein sollten. Dachte ich!
Ich will nicht sagen, dass ich nachfühlen kann, wie es dir geht. Das kann ich nicht. Und ich habe Angst davor, dass ich es irgendwann kann.
Aber wenn ich es irgendwann kann, dann werde ich auch darüber schreiben. Und dann wünsch ich mir Leute, die mich nicht kennen, die nicht nachfühlen können wie es mir geht und die trotzdem irgendwie versuchen mir ihr Mitgefühl auszudrücken.
Ich wünsch dir alle Kraft die du brauchst. Alle Kraft der Welt wenn es sein muss. Mindestens.
Ich wünsch dir Menschen, die dir im Moment den Halt geben können, den du vielleicht brauchst, und die dir auch die Ruhe und das Alleinsein geben können, was du vielleicht genauso brauchst.
Ich wünsch dir all das, was dir im Moment hilft. Zu verdrängen wenn es mal einen Moment gut sein soll, zu verarbeiten, wenn es an der Zeit ist. Zu fliehen, wenn es nicht anders mehr geht, zu stellen wenn das Fliehen sinnlos geworden ist. Umzukippen und zu brechen, wenn es neue Kraft gibt, aufzustehen und standzuhalten, wenn die Kraft noch reicht.Ich wünsch dir alles Gute!

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das sind sehr liebe wünsche, danke ! :)

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Hm. Ich versuche es jetzt einmal andersherum:

Ich denke, daß es ganz normal ist, daß sich solche Fragen nach vorne drängen. Dann, wenn die Ohnmacht der Trauer nachläßt, die Wut und der Zorn ("...warum hast du mich verlassen?") neue Energien freisetzen - und dem Verstand (oder besser: dem Hamsterrad) Futter geben. Hättekönntewäre... wäre ich nicht links herumgegangen, wäre es vielleicht rechts passiert.

Sicher ist: Du weißt es nicht. Aber man will Antworten, Sicherheiten, glauben können. Das verstehe ich gut. Das Leben steckt aber voller offener Fragen, Andeutungen, Indizien. Wer basteln will, der findet auch Material - Eifersuchtsgeschichten sind voll davon.

Ärzte sind nicht für ihren Charme bekannt. Ärzte lügen auch oder beschönigen. Aber nicht alle Ärzte lügen und beschönigen zu jeder Zeit.

Ich habe zwei Jahre in der Pathologie gearbeitet. Es gibt "kein Alter zum Sterben". Von 0 bis 100 war alles dabei. Und da in Deutschland ja nur die besonderen Fälle in die Pathologie kommen, merkt man, wieviele Mittdreißiger den Sekundentod sterben, 50er Herzanfälle aus heiterem Himmel bekommen und Kinder an Krebs erkranken.

Vielleicht hat Dein Vater bereits letztes Jahr viel, viel Glück gehabt. Glück, das ihm jetzt fehlte. Die näheren Umstände kannst Du besser als ich einschätzen - aber mach Dich nicht verrückt. Füll' diese Leere nicht mit Konstrukten und Fragen und Konjunktiven. Füll' die mit guten Erinnerungen.

Und geh mit Deiner Mutter ein Eis essen. ;-)

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ja, genau so

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Deine Gedanken sind gut nach vollziehbar. Und wenn ich Deine Zeilen lese durchfährt mich der Schmerz einer durchaus begründeten Angst. Sofort will ich mit meinem Vater ein Eis essen gehen, ihn nochmal kitzeln, so dass er quiekt wie kein zweiter. Was Du schreibst geht tief unter die Haut und von genau dort kommt es bei Dir.

Dennoch ... Kid hat wirklich Recht. ... Ich an Deiner Stelle würde es nur widerwillig hören/lesen wollen. Aber er hat Recht!

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nein, ich bin ihm nicht böse, dass er mich verlassen hat, weil er ging ja nicht freiwillig. das jetzt die fehlersuche kommt ist klar, ich erfülle da auch die gängigen klischees. aber es ist nun mal leider wahr und bestätigt, dass seine kunstklappe nur noch an drei fäden hing inkl. großer entzündung drumherum. so etwas sieht man am EKG, so etwas hört man, das ist keine kleinigkeit. ich wundere mich halt, dass man jemanden in diesem zustand aus dem krankenhaus entlässt, und eine ganze woche untersucht, aber die entscheidenden dinge nicht sieht.
aber ich schrieb ja schon oben, dass es auch nichts mehr ändert. das ist das machtlose. ärzte kenne ich zur genüge, dank ausbildung und beruf. und es gibt wenige gute, und viele fachidioten, leider.
das mit der pathologie, das kann ich nachvollziehen, und das "plötzliche" hat mein lieber bruder dann ja bestens erfüllt, indem er morgens einfach in den socken verstarb. es ist vorbei, wenn es vorbei ist. aber so ereignisse zeigen es einem im trott mal wieder richtig auf, und ich bin wieder viel näher dran an den dingen, sie wirklich wichtig sind. an menschen, die mir wirklich nahe stehen. an momenten, die man nicht aufschieben kann. das hält nie immer vor, aber man sollte oft dran denken.
ich mache mich nicht verrückt, dafür bin ich gottseidank zu abgeklärt. ich trauere nur, weil er mir fehlt, und weil es grad zeit dafür ist. oder gestern war. heute ging es besser, morgen vielleicht auch. er würde meckern, wenn ich mich lange hängen ließ, er konnte jammernde frauen nie leiden.
also geht es weiter. :I

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