Sonntag, 17. September 2006

Dieser Beitrag wurde inspiriert durch die spätseptemberliche Wärme und Dr.Katzes gesunder Neugier auf tschechische Musik.

In Prag ist immer Winter, zumindest für mich. Regelmäßig genau dann wenn die Kälte über das Land herzieht, und alles im Mondlicht glitzern läßt, steigen wir in Auto ein, tätscheln kurz noch die vier Fellchen und fahren weg ins Land.
Und dann, kaum angekommen, braucht man schon das erste große Bier, die Kälte ist zu arg, so steht für mich die Tschechei da. Sollte ich jemals eine Stadt angeben müssen, in der ich besorgt den meisten Alkohol trank, dann werde ich laut und deutlich PRAG sagen müssen, weil es ja so ist.
Mittags zu Knoblauchsuppe und rauchiger Luft den ersten Liter Gambrinus, und ich sitze immer mit den Füssen an der jeweiligen bollernden Heizung und frage mich, wie die den ganzen Liter in ein einzelnes Glas bekommen. Zu den Knödeln dann ein Kurzer, und der Nachmittag ist ein sympathischer Gesell und hält dir diese Kälte vom Leib. Aber es ist nicht nur die Stadt, die unter der Kälte knackt, es sind auch die Menschen, die mich zum frieren bringen. Warmherzig ist er, der Tscheche an sich, aber erlebt hat er, und das läßt ihn heute volltrunken durch die U-Bahn starren, gegerbt und nach nassen Mantel riechend. Und dann die Häuser. Es ist nicht alles goldenes Dach, was glänzt, und auch Prag liegt nicht durchgehend unter gülden Sonnenuntergangsbeleuchtung, die in der Tat alles zum leuchten und mich zum staunen bringt. Dann aber: Kaum ist der letzte Strahl in die Nacht gegangen, ist es dunkel, und dagegen braucht man Bier, Bier und Musik.
(Man verzeihe mir nebenher bitte diese Einseitigkeit der Ansicht, aber ich kenne Prag nur in Minusgraden, den Sommer verbrachte ich dort noch nie. )
Es wird keinen verwundern, wird man in solch einer morbiden Stimmung anfällig für warmes Licht, heisse Suppe und nüchterne Menschen, und so ging es eines Tages vor Jahren einfach so, dass wir verfroren und mit nassen Jacken vor diesem Haus wie Laden standen. Warmes Licht, sogar Kerzen hatte man dort angezündet. Es war im Dezember, draussen dunkel und im Minusbereich und zweistellig, und wir kneteten unsere Hände vor Kafkas Buchladen, der einfach so warm und einladend auftauchte.


(Die genaue Position der Eingangstüre von Kafkas Buchladen.)

Drinnen knackte der Holzboden und es herrschte Bücherstille, während draussen vor der Tür der Weihnachtstrubel in Strömen an einem vorbeizog. O2 hatte eine Eisbahn aufstellen lassen und es gab Würstchen, glühende Maronen und Bier.
Und wir? Wir standen in Kafkas Buchladen am Altstädter Ring und füllten uns die Hände. Ich nahm ein Exemplar des „Golem“ um es kurz darauf nach Bayern zu schicken, M. stockte unsere Kafka-Sammlung leise auf, und die obligatorische Postkarte, hier bekamen wir endlich eine die man auch zeigen konnte.
Das ist jetzt ein wenig her, ein paar Winter, aber es vergeht keiner, genau wie kein Prag-Besuch vergeht, an dem wir nicht in diesen Laden müssen, in diese Athmosphäre der Ruhe in dem Trubel des Rings.

Und dann genau letzten Winter, wir hatten zum Mittag Sauerkrautsuppe -die ich jedem Besucher Prags nur empfehlen kann- und Bier, genau letzten Winter stapften wir durch kniehohen Schnee Richtung Buchladen. Draussen war das Leben beschwerlich, der Schnee lag überall im Weg, man stapfte und mühte sich, und Mittags das Bier hielt auch nicht so lange vor wie sonst. Und dann der Laden wieder.
An der Kasse dieser Junge, mit der ansatzweisen Frisur eines Rabbiners, vielleicht sind ihm die Locken auch nur über die Stille und Ruhe hinweg rausgewachsen, wer weiß. Während wir in der bekannten Auslage Bücher umdrehten und Karten ansahen, ging er zu der Wand mit den CDs und legte eine Neue ein. Und genau in dem Moment, wo die ersten Klänge durch den Raum streiften, sahen wir uns an, über drei Tonnen bedrucktem Papier hinweg, nickten kurz, und M. ließ sich die CD geben, einpacken, zahlte, und wir gingen.

2005 also kein Buch, dafür diese Band, die ich jedem nur ans Herz legen kann, genau wie die Sauerkrautsuppe und den Liter Bier dazu.


(Bild pressen und auf die Seite der Band kommen.)

Hier gehts auf direktem Weg zu den Hörproben und genau hier gibts mein Lieblingsstück. Na zdravi!

In zwei Wochen werden wir wieder in den Laden gehen, und es wird das erste mal sein, dass wir nicht in der Kälte des dunklen Abends die Tür öffnen. Es wird komisch werden.


† Oriana Fallaci



© EPA/dpa

(...) "darauf gab die Fallaci dem New Yorker ein letztes Interview mit dem Titel „The Agitator“, in dem sie mexikanische Einwanderer verwünschte, Romano Prodi und Silvio Berlusconi als "two fucking idiots" bezeichnete und androhte, jede Moschee in der Toskana in die Luft zu sprengen."

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