Freitag, 15. Juli 2005

erna.

es war eine situation, die skurriler hätte sein können, aber dennoch ausreichte, mich einmal mehr als beobachterin auszukoppeln und neben der spur stehen zu lassen.

mein vater als aschehaufen in einem grauen klotz, welches als urnenummantelung bezeichnet wird. eine letzte spende seines alten kumpels, seines zeichen der bestatter, der letzte dienstleister, so halt. am himmel braute sich was zusammen, es war windig und muttern und ich gingen eine viertelstunde vorher auf inspirationssuche in paps neuer nachbarschaft.

es gibt monströse marmorplatten auf dem kleinen stück erde, es gibt findlinge, hohe steine, gar keine steine, statt dessen simple holzkreuze, es gibt buchsbäume und schalen mit saisonblumen, es gibt verwelkte sträuße, und auf gräber gestellte plastikdinos. es gab einen gartenzwerg und einen grabstein, auf dem einfach nur "Erna" stand, und das rührte mich mächtig um. nur der vorname auf dem stein, das hat etwas sehr persönliches in all der informationsflut der steinbeschriftungen. ich zähle mich ja selber zu den begeisterten friedhofslesern. es kommt selten vor, dass ich quasi grundlos einen alten friedhof aufsuche, aber wenn, dann nur aus dem grund, steine und gräber ( = geschichten ) zu gucken.
ich schlendere dann meist planlos durch die reihen, schmunzle über vornamen, gucke mir grabbepflanzungen an, sehe abgesackte gräber, überpflegte, unterbesuchte, individuelle und eben mal einen plastikdino, vielleicht von kleinen, lolli-klebrigen kinderhänden gespendet, damit er auf die omi aufpasst, wer weiß das schon, ich nicht.
und, und das mache ich schon automatisch, ich rechne auf. ich schaue auf das geburtsdatum, erkenne ab und an ein sternzeichen, und rechne hoch, wie alt denn zum beispiel enzo sicilia oder karl-heinz brömme oder die luzie heiden nun wurden. und dann stehe ich heute vor "Erna" und denke, och, da hat einer alles für sich behalten wollen, und seiner erna die rumrechnerei und vorleserei vor ihrer urne erspart. ein umsichtiger mensch, der steinbestimmer. vielleicht treffe ich ihn mal, beim urnen gießen, dann frag ich.

wir entschieden uns am ende für das, war wir eh vorhatten, der riesenkiesel soll es werden, natürlich und schlicht, basta. wir hatten den gedanken noch nicht ausdiskutiert, da kam der wagen um die ecke, und die situation kippte. meine mutter brach in tränen aus, meine tante gleich mit, und mein onkel und ich starrten auf dieses groteske bild. der wagen zuckelte mit 6 km/h den weg entlang, die beiden totengräber sassen oben auf wie batterielos, und vatterns urne thronte auf einem holzgestell, mit zwei seilen festgebunden.
amen.
dann betretenes schweigen, einer der beiden gab meiner mutter den zettel mit der nummer und den formalitäten, wollte dann schon alles versenken, besann sich aber, dass da ja noch angehörige standen. also urne wieder in die luft, kurz betreten gucken, und ich hatte in diesem moment leider nicht den nerv zu fragen, ob ich das nicht machen könnte, das ist doch was persönliches. aber ich wollte nicht, dass die situation noch mehr kippte, weil dann hätten die beiden ja auch noch alle hände frei und wären noch überflüssiger gewesen, als jetzt schon. also hielt ich den mund, die blumen und die urne im blick, meine mutter schaffte es gerade noch einmal, kurz mit den fingern dagegen zu klopfen und "machs gut" zu sagen, und dann war er schon im loch. die beiden totengräber hielten kurz inne, zogen sich die mützen vom kopf, es donnerte, ich unterdrückte einen lachreiz und dann hatte meine mutter schon die schüppe mit der erde in der hand.
schüpp, tschüß.
dann ich.
schüpp, ---
meine tante schüppte und schniefte gleichzeitig, und mein onkel sagte so was wie "dann hau ich jetzt auch noch einen löffel druff."
so ist das bei uns, da wird nicht lange gefackelt.
ich war angefressen, wär gerne allein dort gewesen um dieses neue gefühl begreifen zu können, dass da jetzt ein grab ist wo was von meinem vater drin liegt. ich kann da jetzt hingehen und …
statt dessen zusammenreissen, nach hause, verloren in mutterns küche sitzen und die luft anhalten. keine themen, zu viel distanz, es ist nicht alles tolltoll, nur weil man nun alleine ist.
ich machte dann das, was ich in so situationen am besten kann. wein entkorken und nudeln kochen. hilft immer, das sind trostzutaten, die funktionieren.

später beim steinmetz sind wir beide fast völlig betrunken bei der mittagshitze, und wir schellen sturm, aber kein gestählter, naturburschiger steinhauer erscheint. ich tippe die nummer in mein handy, welche an der tür (natürlich) in stein gehauen stand, und kam mir vor wie bei den flintstones.
der steinmetz hatte nur noch bereitschaft und ich fragte nicht nach, wie dringend man denn einen stein benötigen könnte, hickste stattdessen was von "wir wolln einen riesnkiesl für meinen vater" ins handy.
lange rede, kein sinn … kännchen gibbet nur draussen steine gibt’s erst wieder am montag, und ich hoffe, er ist da oben grad irgendwie beschäftigt, denn wenn man sich mal nachrechnet, dass er jetzt sieben wochen brauchte, um in sein teures erdloch versenkt zu werden, zwischendrin dank DHL noch verschütt ging und quer durch die republik reiste, der bestatter und alter kumpel ihn dann persönlich mit seinem privatwagen in braubach abholte und er jetzt wieder warten muss, bis er einen stein bekommt … diese woche also das photo mit dem anklagenden blick auf den tisch, aus aktuellem anlass.
scheiss tag, fast rum, endlich.
leben ist, wenn man trotzdem lacht.