Dienstag, 13. Juli 2004

der regen, die frau und das pfund tomaten

wenn jemand die 3-stunden-depression kennt, dann weiß er sicherlich auch, das diese sich schon nach dem ersten, gequälten geräusch beim aufwachen bemerkbar macht.
über den tag verteilt kommt sie nur ab und an mal hinter der tür hervor, schaut nach, ob man sich schon ein wenig elender fühlt und furzt einem ansonsten noch mal bekräftigend quer über die mittagsstulle.

meine 3-stunden-depression hatte gestern ganze arbeit geliefert, und so fand ich mich nach einem qualvoll langen tag mit qualvoll wenig inhalt irgendwann auf einer stange wieder.
auf einer stange ? fragt ihr ?
ja, auf einer stange, sag ich. diese stange umrandet eine hundewiese in meinem viertel, einen baum und ein klettergerüst, ist grün und in der mitte meines nach-hause-weges angebracht. ich denke, sie ist schon seit den tagen dort, wo man knöchelgelenkhohe, alt-grüne stangen anbrachte, und als kind waren sie prima, um alleine gummitwist zu spielen, was in etwa fünf minuten dauerte, bis man sich so kreativ mit sich selber verwickelt hatte, dass man nur noch heulend nach seiner mutter oder einem nachbarn mit schere schreien konnte.
das, und noch ein paar dinge mehr fielen mir gestern abend ein, als ich zur nachrichtenzeit mitten im platzregen auf eben dieser stange sass. in meinem viertel. ohne gummitwistgummi, aber mit prall gefüllter einkaufstasche. heulend.

mir war schon im supermarkt nach ein bißchen weinen, weil kein schokopudding mehr aufzutreiben war, und die kassiererin mich feindselig anstarrte, als ich sie auf lösungswege ansprach. sie wußte scheinbar nicht, dass es kein besseres rezept gegen die 3-stunden-depression gibt, als schokobreichen oder stark kakaohaltige schokolade in großen brocken, die bei ausschweifendem TV-konsum missbraucht bei frauen THC-ähnliche wirkungen entfalten.
aber ich hatte tomaten, immerhin, und mit denen sass ich nun also heulend im prasselregen auf der grünen stange.

ja, aber warum denn jetzt ? fragt ihr zu recht ungeduldig ?
himmel, ich bin in den letzten zügen 35, da kann frau sich so kleine schnitzer mal erlauben.
ich weiß auch, dass ich nix zu meckern habe, gesund bin, glücklich bin, "alles dran ist" wie man nach meiner geburt im gleissenden kreißsaallicht allgemein freudig feststellte ( das mit dem "oh, ein spaltenpisser" lass ich jetzt mal unter dem teppich ), mein handy im griff habe und den rest des lebens auch, und vielleicht ist es genau das ? oder das ?
jedenfalls war ich bis zu dem zeitpunkt, als mir die einkaufstüte riss, und ein donnerknall die wolken so schlimm erschreckte, dass sie das wasser nicht mehr halten konnten und alle gleichzeitig lospieselten ( meine erklärungen aus kindertagen, wen wunderts da noch ? ), und ich beim cherry-tomaten aufheben mit dem blick an drei kleinen, kaputten eiern hängen blieb, die aus einem nest über mir gefallen waren, da sprang die 3-stunden-depression hinter dem klettergerüst hervor, lachte laut und voller tatendrang, furzte erneut so heftig, dass das viertel dachte, das die donner heute aber schnell aufeinanderfolgen, und verpestete den rest brauchbarer atemluft mit miesepeter-flavor. ich raffte die letzten tomaten zusammen, schniefte einmal, fühlte mich so selbstmitleidig dann ganz gut, schniefte noch einmal bekräftigend und setzte mich dann mit dem festen entschluss auf die grüne stange, in ruhe ein wenig die schlechte welt zu beheulen.

du hast heulend im viertel gesessen ? fragt ihr?
mitnichten. ich habe geheult, sicher, aber das muss ja keiner mitbekommen. ich weiß nicht, ob das die vorstufe zur psychiatrie ist, wenn man einfach nur so heulen kann, also lautlos, ohne dramatisches schluchzen und schütteln und auf die erde trommeln und so.
ich hab einfach nur selbstzufrieden an meiner einkaufstasche gelehnt, in mich hineingeheult, triefnass geregnet und von ein paar guten geistern verlassen, und es wäre noch schöner mit dem passenden soundtrack wie "why does it always rain on me" gewesen. aber das hier war das pralle leben, und ich sass vor einem elektrokasten mit dem plakat
"es gibt nur ein rudi völler - otto, mach et"
so sass ich also im regen, heulend, mit gerissener einkaufstasche und der kaputtgefallenen brut eines nun überflüssigen nestes, und im kopf gröhlte der EM-prolet in mir
"es jibt nur ein rudiii vöööölla, es jibt nur ein rudi vööölla !" ---

ein hund fehlt, lu, ein hund ! sagt ihr ?
stimmt. ein hund täte der geschichte sicher gut. und ihr glaubt nicht, was just in dem moment, als ich mein kleines fussballliedchen pfiff über die hundewiese kam ?
ein hund.
ein strubbeliger hund, pitschnass und somit quasi eine frisuren-schwester. ein weibchen.
ich machte zwischen zwei internen schluchzern die menschentypischen lockgeräusche, pfiff und schnalzte und als die engelchen noch einen drauflegten, und der nächste donner ( das ist ein etwas stärker gebautes engelchen, welches die lego-türmchen der anderen umschmeißt - oh, mutter! ) das tal, ähm, die wiese beben ließen, kam die hündin dann doch zu mir rüber.

und woher weißt du, dass es kein rüde war, hä? fragt ihr hämisch ?
weil sie mir nicht sofort die nase in den schritt drückte und einen rüden-nasen-stempel hinterließ, darum! ihr reichte meine hand zum schnüffeln, und ein schwesterlicher blick in meine verlaufene wimperntusche. weibchen, absolut!
und so sass ich also mit meiner gerissenen einkaufstüte, einer pitschnassen hündin, drei aus dem nest gefallenen eiern und meiner 3-stunden-depression auf einer grünen stange unter einem baum in meinem viertel und es regnete was das zeug hielt.
eine tomate wollte die hündin nicht haben, wohl aber meinen fuss, auf den sie sich mit einem lassie-geräusch seufzend niederliess, und ich erzählte ihr geschichten, während es um uns herum prasselte und blitze.
als meine geschichten alle, die wolken leer waren, da kam eine frau um die ecke und rief "luuuuna". ich und hund hoben den kopf, und die frau sagte "und ich wundere mich, warum die nicht vom gassi gehen zurück kommt. ich lass die immer zwischendurch auf die wiese, wenn die bei big brother muss..."
"och, is schon dran ?"
"jaja, aber erst die hälfte rum".
"na dann ... ich muss. und einen netten hund haben sie da."
"ich weiß, tschüssi" sagt sie, und luna dreht sich noch einmal zu mir um, und ich bin sicher, sie hat gezwinkert.