Mittwoch, 27. Juli 2005

häuser.

wie lange braucht eine schnecke zum sterben, wenn sie ihr haus verloren hat ?

ich fuhr über den feuchten asphalt, die waldluft war zäh, überwürzt, und ich hatte keine ahnung, warum ich mich die strasse entlang quäle, statt zu hause meinen leeren tank zu bewundern und in die couch zu sinken. schwangere katzen vor der niederkunft sind genau so schwierig unterwegs wie ich, dachte ich, und blieb jede minute wegen etwas anderem stehen. es fiel mir schwer, mich auf verkehr und die seltenen ampeln zu konzentrieren, aber ich sah jedes tote tier auf dem teer. es ist nass, da werden schnecken überfahren.

an einer hielt ich an, oder genauer, ich fuhr wegen ihr zurück. ich sah nur ihr großes haus, ein kaputtes, dachte mehr naiv, das man vielleicht was tun könnte, was auch immer das sein soll. ich weiß es ja bis jetzt nicht, sass nur neben ihr und guckte auf ihre klebrige ruine. ich kenne mich mit großen schnecken nicht aus, mit kleinen auch nicht, aber sie war echt riesig und ich glaube, man nennt diese art eine weinbergschnecke, obwohl kein weinberg zu sehen war, aber wer hält sich heute an so etwas noch auf. ihr haus zerbrochen, ihr körper aber noch intakt und so lag sie dort in der nässe und ich sass daneben und beide wirkten wir wohl etwas planlos. musst du jetzt sterben ?, fragte ich den kringel, und gab mir selber keine antwort.

der tod ist eine räudige schlampe, dachte ich, und meine innere tür ging wieder mit einem lauten knarzen auf, die augen wurden nass und ich dachte toll, das mache ich ja wieder toll, so am waldstrassenrand neben einer zerfahrenen weinbergschnecke sitzen und losheulen, nee, is klar. ich schnappte mir den klebrigen kringel und setze die schnecke ins gebüsch nebenan, vielleicht ein fahriger gedanke, aber eine tat wert, sterben wie leben kann man auch in ruhe, das muss nicht auf der strasse sein.

weiterfahren, kraftlos, unaufmerksam, musiklos, in gedanken verloren. umtriebig wie eine katze vor der niederkunft, aber so weit war ich ja eben schon.
ich hatte das gefühl, auf der suche zu sein, müsse mich bewegen, weil die dinge ja selten alle zu einem kommen, man muss sie schon finden. als ich beim zweiten haus mit "zu verkaufen" schild stehen blieb, da fiel der groschen. suche ich einen platz zum niederkommen, einen den ich mir sicher machen kann, einen wo ich zur ruhe komme und bleiben will ? die blicke wandern immer wieder in hinterhöfe, in abgetakelte gebäude, ich brauche platz, ich will ruhe, ich will sichtfreiheit. ich will irgendetwas, was mir sicherheit vorgaukelt, mehr ist ein zuhause eh nicht. man kauft topfblumen um sie wachsen zu sehen, um sich zu kümmern und die hausfarbe irgendwann anzupassen, und schon hat man das nächste ziel, einen kommenden grund weiterzuleben, einen plan. man stirbt doch nicht einfach, wenn man das garagendach noch neu mit dachpappe beschlagen muss, und der hof, der sollte doch schon immer mal weiß getüncht werden.
nicht ?
meine wünsche sind bescheiden, ich mags einfach, wozu die lilie vergolden, der sinn und der spass des lebens sitzt eh in jeder kleinigkeit, und nicht in einem goldenen lokus von villeroy & boch. meine meinung, ganz eigen.
als ich zurückfahre, mit meiner brandneuen erkenntnis, die zumindest bis nächste woche hält, da kommt mir ein zweiter gedanke, der nicht ganz so schick, aber auch in erwägung zu ziehen ist …
sollte wirklich alles vorbestimmt sein, und wir eine kosmische & galaktische oder digital & göttliche uhr haben, die unser ableben bestimmt, dann könnte genau diese mich vielleicht nach draussen gezerrt haben, weil mein schicksal mich ruft ?
( komm in den wald, lu, hier werden wir alle überfahren ...)
ich überlegte weiter, was passieren könnte, als ich die ewig lange hauptstrasse zurück fahre. es könnte dieser bordstein sein, den ich immer ungern hochfahre, weil er eben verdammt hoch ist, oder einer dieser schweren abschleppwagen, die immer zu schnell fahren. oder ein später UPS wagen, der fahrer in feierabendmission, die familie wartet mit spinatnudeln zu hause, er nimmt die ampel in dunkelgelb, wer weiß. und was würde ich denken, in diesem moment ? wenn es der bordstein wäre, würde ich vielleicht zeitgleich mit dem knack meiner schädeldecke "scheiße" denken, oder was völlig unpassendes wie schneider wibbel, köttbullar, herd aus ? und dann ?
es wäre rein theoretisch möglich, das ich in zwei stunden schon kalt auf einer krankenhausliege noch kälter würde, noch mehr verfärbe und m. steht daneben und sagt zu dem arzt, dass er doch eben noch mit mir gesprochen hätte, und das ginge jetzt nicht, so kurz vor der reise. das geht doch nicht. vielleicht würde er mir die kalten füsse halten, wie ich bei meinem vater, und den zehenring als andenken behalten. würde mir das gefallen, oder würde ich ihm etwas anderes von mir geben, was er fortan mit sich herumtragen würde, als bitteres letztes ? mein armband ?

vorbei an dem nächsten abgetakelten hinterhof , und ich kann mir genau vorstellen, wo ich was streichen würde, wo ich meine ganzen pötte hinstelle, dort das atelier für m., und da hinten könnten die fellchen rumhängen. und platz für seinen grill wäre da auch endlich. dads heiliger grill, einer der drei materiellen dinge, die ich jetzt aufhebe. grill, brotbackautomat und sein uralt-shirt, welches an mir schlackert und bis kurz über die knie reicht. und das erste mal, dass ich ein photo in meinem portemonnaie trage.
ich könnte jedes jahr an seinem geburtstag oder an seinem todestag den grill anschmeissen, wann macht man das wohl ? oder ein bier auf sein grab giessen, ich weiß es nicht, es wird sich alles finden, ich werde es finden, irgendwo und hoffentlich bald.
aber was ich eigentlich wissen wollte, war doch
"wie lange braucht eine schnecke zum sterben, wenn sie ihr haus verloren hat ?"

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hypothese
wenn er noch kräuchen würde, der klebrige wurm im gebüsch, dann wäre er auch auf der such ein einem verlassenen haus, auf der suche nach schutz vor der welt. und vorgestellt, der nun hypothetische klebrige wurm, fände ein hypothetisches haus und führte ein hypothetisches leben. keimt da sinn? weiter. das hypothetisch erwunderte leben fände kurz darauf sein jähes ende unter den rädern des UPS wagenhenkers. ich verliere mich. es gibt so keinen punkt zu machen.
der klebrige wurm stirbt ohne sein haus irgendwann. fakt. er fragt nicht nach dem sinn. und er hilft keiner tödlich verwundeten blattlaus in den schatten, damit sie in frieden auslausen kann. frau lu stirbt nicht ohne ein haus. liegt das vielleicht daran, dass sie nach dem sinn fragt und tödlich verwundeten klebrigen würmern in den schatten hilft? vermutlich.

ihre pötte jedenfalls und der geruch frischer farbe werden das rumerzählen.

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:)

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Ich denke auch ab und zu an die Schädeldecke und den Bordstein. Und deswegen bestehe ich vielleicht albern, vielleicht aber auch genau richtig auf eine anständige Verabschiedung vom Kerl jeden Morgen und das kleine Gebet am Abend, in das ich alle meine Lieben einschließe, von denen ich mich nicht täglich persönlich verabschieden kann.

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