Sonntag, 24. Dezember 2006

eine weihnachtsgeschichte über luft und liebe.

Heute morgen in aller Herrgottsfrühe, als es Innen wie Aussen, Hüben wie Drüben gleich früh war, da erinnerte ich mich an das tiefe Luft holen, ein mancher (oder auch manch einer, der) würde dazu atmen sagen. Ich hatte es die letzten Tage vergessen, überlebte trotzdem und sogar Kekse wurden gestochen, beherzt und gegessen, all das atemlos, kleine Kinder und reine Seelen sollten das zu Hause auf gar keinen Fall nachmachen!

Ich öffnete also ein Auge und ein klein wenig den Mund, machte ein zischendes Geräusch, wickelte den Restkörper wohlig ins warm geschlafene Plümmo und zog Luft weit weit hinein.

Bis zum Bauchnabel soll Mensch atmen, das lernte ich sowohl in schamanischen Vollmondmeditationsriten wie auch beim Yogalehrer, der so gerne über Kirschkernen meditierte. Geatmet hat der dabei nur flach, vielleicht einmal die Minute, wie ein Lurch im Winterschlaf, der Heiner. Ich wechselte da auch schnell wieder weg, weil Menschen, und vor allem Heiners, die Stunden über Kernen meditieren, die irritieren mich so schlimm, dass ich an den falschen Stellen lachen muss, und so Wegbegleitungen läßt man dann besser, da befruchtet sich nichts, da stört man sich nur beim richtigen yogen.

Auch die Schamanenfrau, die drei ihrer fünf Kinder bei genau dem Indianer auf dessen Berg bei Washington zeugte, dessen Bücher ich damals verschlang, und die ich bei PLUS beim Obst kennen lernte, auch diese sagte immer, wenn ich nicht anständig atmen täte, dann würde die Erdenergie die Molli mit mir machen. Zur Ansicht und Bearbeitung meines kleinen Luftproblems stellte sie mich in der Mitte ihrer kleinen Innenstadtwohnung ab (sie war mittlerweile aufgestiegen zur hyperaktiven Buddhistin und bezeichnete "bezahlen" nur noch als "Energietausch", was ihre Frisörin schier in den Wahnsinn trieb.) und sagte, ich soll unter keinen Umständen die Augen öffnen, einfach nur so stehen bleiben, und ich würde dann schon sehen.
So stand ich da und sah gar nix, gerade wie ein angelehnter Bleistift, artig beide Augen zugekneifend und versuchte die Super-Prana-Atmung.
Nach einer gefühlten Viertelstunde hatte ich das Gefühl, ich schlingere kegelgleich von links nach rechts und direkt wieder nach links, gerade stehen ging anders, und das wußte auch die buddhistische Schamanin und sagte, ich hätte die ganze Zeit kerzengerade gestanden, aber meine Energiehüllen, das sei ja ein Trauerspiel, so hin und her wären die geschwankt, sie hätte es aus ihrer Küche die ganze Zeit gesehen, dieses Trauerspiel.
Als ich zur U-Bahn ging, fühlte ich mich unausgeglichen, als wenn meine nicht greifbaren Energiehüllen wie Hula-Hopp-Reifen um mich herumkreisen würden, alle in unterschiedlichen Größen, Farben und seelischen Ausfertigungen.

Jedenfalls soll man atmen, am besten durchgehend und tief, und das tat ich dann auch heute Früh. Ein und aus. Ein und aus.
Ein und -

Himmel hilf, es war zwar früh, aber kamen an Weihnachten nicht genau um diese frühe Tageszeit all die Dinge von Früher, die man sich ins Jetzt immer so mitrettet? Bei mir wären da
Michel aus Lönneberga/Dickens Weihnachtsgeschichte/Pippilotta Efraimstochter Langstrumpf und natürlich die fabulösen Peanuts, Gott gebe Charles M. Schulz für diese jeden Tag einen aus!
Bettflucht, und wenn nicht die senile, dann die flotte, der Fernseher in weiter Ferne, eine Diele weiter, und die Wohnung bitterst kalt.
Was denn noch? (Harry Rowohlt)

Gerade, als sich ein Fuss nach draussen trauen wollte, raus aus dem gigantischen Uterus Bett, hinein in die Tagesgeburt, wir erleben den 24.Dezember Anno 2006, das ist IHR Leben, wir heissen Sie Willkommen, treten Sie ein, gehen Sie-

da

Unten vor dem Schlafzimmerfenster gingen im gleichen Moment ein großer Vater und ein kleines Mädchen die Strasse entlang. Ich hörte zuerst das Mädchen, sie fragte nach der genauen Menge, Anzahl, Vielzahl und Volumen der Geschenke, und ob auch das Pferd von Barbie mit von der Partie sei, und dann brummte der Vater, er hätte noch nicht mit dem Weihnachtsmann telefoniert, daraufhin sagte die Kleine, er hätte doch sein Handy dabei, und wenn er nicht wolle, sie würde mal eben durchrufen.

Die sind so praktisch veranlagt heutzutage, versuchte ich den nächsten Gedankenschwall noch im Zaum zu halten, aber da war es schon zu spät, die Tore waren einen kleinen Spalt weit offen, der Gedanke, der Böse, der hatte schon einen haarigen Fuss in der Tür.

Früher, also wirklich früher als heute, als ich meinem Vater gerade bis zur Hüfte hochgewachsen war, da hatte Weihnachten ein festes Ritual.

Nachts wurde unruhig mit den Beinen in der Decke gestrampelt, der Weihnachtsmann kommt, und wer hat schon gerne Fremde im Zimmer, ich fand das unheimlich, aber ich war ja scheinbar auch das einzige Kind auf diesem Planeten, welches hysterische Schreianfälle (mit Luftnot, wir denken zurück an den Bauchnabel, die Körpermarkierung, bis wohin die Luft muss!) Aug in Aug mit Pinocchio bekam.
Noch heute stehen mir alle verbliebenen Körperhaare hoch zu Berge, wenn ich diese Holzpuppe durchs Meer zur Fee schwimmen sehe, da tut man mir echt keinen Gefallen mit. (Gleiche Kategorie: Nussknackerkerle, Marionetten und Bauchrednerpuppen. Chucky, die Mörderpuppe geht, weil ich da ja keinen Aha-Moment habe, ich weiß ja, das die bösartig sind.)

Morgens dann war alles so weit in Ordnung, Welt, Leben, Spielecke. In der sass ich dann rotwangig und plärrte den Vormittag über Weihnachtslieder und puzzelte dabei, Mutter begoß jede Stunde die Gans, Vater drückte sich in den Randbereichen der kleinen Wohnung herum. Die Stimmung war fühlbar wie ein Pulverfass, es roch nach Geflügel und in die Klöße mussten immer in Butter gebratene Weißbrotwürfel, sonst wurden die unlocker.
Irgendwann machte mein Vater einen Fehler, und dann hing der Hausseegen schief, alles feste ritualisiert, Mutter konnte ein Bäuerchen an heilig Abend nicht durchgehen lassen, auch wenn erst Mittag ist.
Danach war die Stimmung wie im Keller, etwas kühl, etwas schlecht ausgeleuchtet und eine große, hungrige Spinne in der Ecke, aber man kennt sich aus, man weiß, wo die Ecken sind, an denen man sich blau stößt. Vater ging vorsichtig um die rostigen Nagelbretter, Mutter goß die Gans, damit sie nicht drüsch wurde, und irgenwann ging auch der Tag, und Vater schleppte mich in die Diele. Dort wurde ich in alles gesteckt, was ein kleines Mädchen aussehen läßt wie die Winterausgabe einer Babuschka, und wir zogen los, nur Papa und ich, das war super.
Zwei Stunden mussten wir nun rumkriegen, damit Mutter zwischen dem Gans begießen nun auch noch den Baum behängen konnte, die Geschenke drunter drapiert, huch, da war der Weihnachtsmann ausgerechnet dann da, wo wir abtrünnig waren, Vater und ich. Ich war froh, ich hatte eine gesunde Angst vor Männern, die angeblich alles von mir wußten, aber dann doch nicht alles brachten, da war was faul.
Umgekehrt nennt man das Einbrecher.

Vater und ich, wir derweil, wir spazierten durch den stillen Hauptbahnhof, jetzt nur mal als Beispiel. Der Hauptbahnhof ist mir in Erinnerung geblieben, weil der einen besonders lauten Streit auslöste, bei der Auflösung der Frage Und, wo wart ihr schönes?
Am Bahnhof, und da waren Penner und Nutten, krakeelte ich Anno dazumal aufgeregt heraus, große weite Welt, und ich mit Vater mitten drin. Bahnhöfe haben mich schon in Kindestagen emotional aufgewühlt, das sitzt drin, so ist man nun mal.

Ich weiß nicht, was meine Mutter als nächstes zu meinem Vater sagte, aber es toppte die Zeit, die ich auf das Auspacken der zwei Pakete, welche ich zu Weihnachten immer bekam, warten musste um Längen, als bei der Sache, als Papa mit mir mal einfach so in die Kneipe ging, weil draussen Schietwedder war, und er keine Lust hatte, mit diesem in Wolle gehülltem Kind an seiner Seite Wasser zu saugen, so Wolle kann ja 80% Eigengewicht an Wasser saugen, ohne sich nass anzufühlen, aber dann, ab Prozent 81, da ist dann Land unter, erst Recht, wenn man allen nur bis zur Hüfte geht.

Jedenfalls hielt Vater es für eine dufte Idee, einfach um die Ecke in seine Stammkneipe zu gehen, da konnte er ein bißchen Geschichten mit den anderen Männern auf Flucht austauschen ("jede Stunde, sonst wird sie drüsch, die gute Gans"), und ich mich hingebungsvoll dem Kartenhausbau widmen, was ich quasi seit ich laufen konnte gleichzeitig beherrschte. Kartenhausbauen aus Bierdeckeln in Vattis Stammkneipe, da soll mal einer behaupten, das Leben lehre einen nichts.

Ich liebte die wenigen Stunden, in denen ich mit meinem vater auf der Weihnachtsflucht war, ich verstand irgendwie, dass der Tag für ihn anders war als für mich, und wir waren Verbündete an seltsamen Orten.

Daran musste ich heute Morgen denken, als ich hörte, wie das kleine Mädchen den Weihnachtsmann anrufen wollte, um noch mal wegen dem Barbie-Pferd nachzuhaken. Ich habe meinen Vater vor genau zwei Jahren das letzte mal gesehen und feste abgedrückt, und als mir das auffiel, da ging mit kurz die Luft aus.
Ein und aus, immer bis zur Körpermarkierung Bauchnabel.
Ein Stück darüber, Richtung links, da ist die Stelle, wo alle Lieben wohnen.

Kann man sich gut merken, liegt nah beieinander.

*


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von Töchtern, Vätern und Feiertagen
Auf dem Foto oben links siehst Du unserer Tochter (die jetzt 2 Jahre und vier Monate alt ist) zum Verwechseln ähnlich. Eine schöne Reflektion über Weihnachten, Kinder und Väter hast Du da geschrieben. Der Todestag meines Vaters (1992) hing immer wie eine dunkle Hypothek über Heiligabend, seit die Kleine da ist, hat sich das etwas gebessert. Trotzdem ist irgendwie bis Mittag Gedenktag mit Festvorbereitung und erst nachdem ich auf dem Friedhof war, "richtig" Weihnachten.
Schöne Feiertage.

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danke. und eine schöne zeit mit der kleinen, kinder sind so kostbar seltsam.

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Ich bin so froh, dass ich meinen Papa heute Abend bei mir haben kann. Ich drücke ihn in Erinnerung an Dich ein zusätzliches Mal, auch wenn er dann komisch guckt.

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Mach das, man kann seine Väter nicht oft genug abdrücken und sich deren Geruch merken. Meiner duftete oft nach Berlinern, war ja auch Bäckermeister, der Gute.

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Und Dir, liebe Lu, ein schönes Weihnachtsfest. Mit lachenden und weinenden Erinnerungen, aber voll (im Sinne von gefüllt).

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Danke, ich habe überlebt. Meine Mutter, das erste mal seit 1,5 Jahren gemeinsamer Stadt in meiner Küche, meinte nur: Oh, individuell. Hohe Wände.
Ja, genau.
Das arme Rinderfilet in Barolo-Sauce ist gelungen, wir fanden sogar ab und an einen gemeinsamen Faden, ansonsten wurde über die vier Fellchen kommuniziert. Jetzt, knapp vor Mitternacht, ist Muttern im Bett und ich sitze mittig in der Küche, betrinke mich am Restwein und höre P.J. Harvey, inbrünstig. Stille Nacht, ick hör Dir trapsen.

Ich danke Dir, werte Mamsell, und wünsche das selbe, nur in echt und besser!

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Sehr stimmungsvolle guten-Morgen-Geschichte ... Bin dann aber am VATER hängengeblieben und dem Link gefolgt. Hat mich sehr berührt. Weiß nicht, ob das jetzt passend ist, aber Hut ab vor dem Mut, so etwas Persönliches in den Blog zu stellen. Und mehr noch: danke, solche Texte wärmen das Herz.

Mein Vater ist jetzt schon 20 Jahre nicht mehr da. Bei ihm war's nicht so spektakulär; er ging ganz still, wie es seine Art war. Kaum in Rente, auf einer großen Reise mit einer fröhlichen Reisegruppe. Er starb unterwegs, kam praktisch einfach nicht mehr zurück -

Er ist so gerne gereist und hatte ein paar sehr harte letzte Jahre Arbeit vor der Rente. Und er hatte keine Schmerzen, es war ein schneller Tod. Nach allem, was wir davon erfuhren, war es also ein Gehen für ihn ohne Schmerzen, ohne Todeskampf, ohne Angst. Alle sagten, er habe große Freude auf der Reise gehabt, es sei ihm sehr gut gegangen. So konnte ich mich für ihn nur freuen ...

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