Freitag, 2. März 2007

frau schmidt geht zum friedhof.

Es ist ja jetzt nicht so, dass ich denke 'Lu, Du alte Emo-Bloggerin März o7, jetzt geh mal raus ins Weite und suche was zum seelisch dran reiben, was man später auch noch schnafte wegbloggen kann.' Nein, so ist das nicht und so war das auch heute nicht, am Tag 2, als ich am Friedhofstor vom Rad stieg, den iPod ausdrückte, und an Frau Schmidt dachte. Frau Schmidt ist meine längste Ex-Nachbarin, die sah schon früher so aus wie heute, als ich ihr stolz verkündete, ich wohne jetzt hier und sei schon ganze sechse alt. Ich kenne sie mit ihren Wicklern, die sich immer Donnerstags über Nacht eindrehte, damit die Haare übers Wochenende schnieke sind, ich kenne alle ihre Hauskittel, alle ihre Geschichten und habe auch später, auf Augenhöhe, Stunden mit ihr in der Waschküche oder an den Tonnen verbracht, auf eine Geschichte oder auch fünf.
Frau Schmidt hat ihren Mann gepflegt, der hatte in einem sehr kurzen Zeitraum sehr viele Schlaganfälle, und danach sehr lange keine Meinung mehr. Und sie hatte ihren Kater, den Pinkie, über den sie immer ein wenig verzweifelt war, weil der Pinkie hauptsächlich weisses Fell hatte, was später den Gilb bekam, und über so was konnte sich Frau Schmidt drankriegen, ein Katz mit Gilb, wer hat denn so was? Der Mann starb, der Kater blieb, wir heulten zusammen ein wenig im Garten am Pflaumenbaum. Ein paar jahre später ging Pinkie zum Günther nach oben, und ihr fielen vor Trauer die Wangen ein und die Haare in Büscheln aus. Das ist jetzt dreizehn Jahre her, und ich habe mehr als einen Nachmittag im Treppenhaus auf Frau Schmidt eingeredet, sie solle sich einen neuen Kater ins Haus holen, es gäbe so viele, die eine Frau Schmidt bräuchten, und das man sich nicht vom Ende abschrecken lassen sollte, das sagte ich ihr auch noch.

Kurz darauf packte sie ihren Hackenporsche leer, legte ein Handtuch hinein und folgte dem Ruf einer Announce. Als sie zu Hause die Tasche aufmachte, kam ein kleiner Kater heraus, Max zog ein.
'Dat wird bei dem späta auch wieder so was, der wird ooch wieda den Jilb bekomm, dat seh ich dem jetzt schon an.' sagte Frau Schmidt, und machte Max den Napf voll.
Als ich ein paar Jahre später auszog, ging ich Frau Schmidt selten aber gern besuchen, um mir wieder die alten Geschichten anzuhören, mit Keksen und trockenem Weißwein serviert, im Kittel und mit Max zwischen den Händen. Ich mag diese kleine, starke Frau, die ganz simpel an die Geister der Toten glaubt, die in Schmetterlingen immer ihren Bruder Kurt sieht, der sie am Tag seiner Beisetzung sogar bis ins China-Restaurant verfolgte, als schillernder Schmetterling. Ich mag ihre Regelmäßigkeit, ihre sich wiederholenden Geschichten, ihre Diabetiker-Kekse.
Und deswegen musste ich heute morgen an sie denken, als ich auf den Friedhof ging, weil ich erwartete, dass ich sie dort treffen würde, irgendwo zwischen meinem Vater und ihrem Günther.
Getroffen habe ich sie etwas später, auf einer ganz normalen Strasse, und als ich ihr die Hand gab, dachte ich, mies sieht sie aus, und obwohl Freitag ist, liegen die Haare nicht wie gewohnt schnieke, sondern eher so zufällig.
'Wie geht es ihnen?' strahle ich sie an, und sie schluckt laut und hörbar, und sagt 'Nicht gut.'
Und da ich Frau Schmidt seit 32 Jahren kenne, weiß ich, dass sie nichts umhauen kann, ausser-
'Wann?' fragte ich.
'Montag.' sagte sie, und 'Ich will Dir eins sagen: Nix is schlimmer, als wenn man weiß, dass das Einzige wat einem lieb und kostbar ist am näxten Tag die Sonne nit mehr sieht.'

Wir standen da und schnieften laut und hörbar, meine Frau Schmidt, die sich schwer an ihren Hackenporsche lehnte und ich, die schwer auf ihrem Rad sass.