Donnerstag, 3. Juli 2008

Sequenzen, oder "Der Versuch einer Freizeit im Stadtsommer", Teil 2

Heute: Gedanken über Dosen-Prosecco und Siedepunkte.

Gestern am frühen Morgen habe ich dann nachgegeben.
Den Kopf noch tief und verknautscht im Kissen, dachte ich nicht an 2do-Listen und deren Eigendynamik wie Reihenfolge. Ich dachte nicht an Haushalt und ob der Korb mit Buntwäsche wieder dran wäre. Ich dachte nicht an die Arbeit am Klapprechner und nicht die am Menschen, ich dachte nur eins:
Nehme ich Aprikosen mit oder eine Stulle, und wie lange brauche ich wohl insgesamt vom Bett bis ins Becken.

Wenn ich zügig fahre, bin ich mit meinem Drahtgeschoss in dreißig Minuten im Schwimmbad am Rhein. Schöne Strecke, einmal durchs Viertel, einmal über eine Brücke, und dann den Fluss entlang bis der Rheinturm sehr klein geworden ist, und dann ist man da.

In diesem Schwimmbad habe ich als Göre schwimmen gelernt, und in den Becken habe ich selbst kleinen(nicht eigenen) Gören das Schwimmen beigebracht. Ich habe alte, unverarbeitbare Traumen von dem meilenlangen Weg von der Bushaltestelle bis zum Eingang Schwimmbad (Danke, Mutti) die sich als Kind anfühlten, als würde man zu Fuß nach Polen auswandern. Ohne Papa, weil der war Arbeiten.

Normalerweise gehe ich nicht in Schwimmbäder. Also nicht in gut besuchte, weil mich irgendwas an Akustik und Stimmung wirklich verzagen lässt. Aber auch da gibt es Ausnahmen, und die heißen "sehr früh" und "sehr spät".
Außerhalb der Schulferien kann man morgens früh gehen, schwimmen und schnell wieder fahren, wenn die Kühltaschenfront im Rudel über den Rheindamm anmarschiert kommt. Und man kann sehr spät gehen, wenn alle anderen längst zu Hause vor RTL sitzen und in Ruhe den Tag im Wasser ausklingen lassen.

Und, und hier die Ausnahme, und man kann vor der Hitze kapitulieren und trotz Schulferien gegen acht am Morgen denken: Noch ist es früh genug, nur ein oder zwei Stunden, und dann bin ich wieder weg. Man kann sich noch völlig verschlafen aufs Rad setzen, seinen Beutel schultern und auf direktem Wege und optimistisch gestimmt ins Schwimmbad fahren.
Man kann, und hier schlägt die Realität dann mit voller Wucht zu, eine halbe Stunde später in einer kleinen Schlange an der Kasse stehen (9 Uhr 12), von rechts reißt einem ein kleiner Junge am Portemonnaie (Mammaaa, HABEN!), den man dann streng aber mütterlich anschaut, 'Nein!' sagt, worauf der anfängt zu brüllen und durch irgendeine geheime Kraft sich sein Darm lockert und er das genau jetzt raus lässt, was Mutti gestern sorgsam reinstopfte.
Ich hatte nur einen Kaffee im Magen und mogelte mich flugs vor der nun den Jungen anbrüllenden Mutti, sagte noch einmal laut 'Nein!' als die Bademeisterin meinte 'Sind sie nicht süß, wenn sie so klein sind?' und dann im Stechschritt Richtung Erwachsenenbecken.

Wo um diese Uhrzeit normalerweise nur zwei Dinge herrschen, nämlich Ruhe und konzentriertes Bahnen ziehen, waren nun alle Liegen belegt und das Becken gefüllt mit einer Spezies, die in dieser Form sonst so auch nicht dort ist.
Hippe Renter mit Nebenjobs.
Ich hab das so noch nie erlebt, aber nun lag ich hinter einer Hecke in Deckung und bekam Gespräche mit, die ich sonst so noch nie gehört habe. Menschen locker über 70 ziehen über ihre Kinder her, die ja angeblich nie Zeit haben wegen der Firma, aber sie hätten ja Dank Mitarbeit den Überblick, und da würde ja gelogen was Qualifizierung anginge, was Freizeit anginge, Hobbys und Fortbildungen, und eigentlich sei Bernd eine Null, aus welchem Strang der Familie er das wohl hätte, und ohne den und dem würde er die Geschäfte nie stemmen können.
Daneben, ebenfalls laut mitschimpfend, Omas oben ohne und mit iPod in der Hand. Da wurde über die Musik im Ohr die Anita laut bejohlt, die gestern im Hafen (hippe Medienmeile, gut getarntes after-Work-Gehege für alle) dermaßen über den Durst und nun erst mal einen Prosecco bräuchte. Sprachs, und zischte sich einen Dosen-Prosecco (9 Uhr 25 ).
Neben mir lag eine junge Frau in sichtbaren Umständen, die alles ebenfalls mitbekommen hatte, und wir sahen und tief in die Augen und trauten uns nicht, die Köpfe zu schütteln.

Von 9 Uhr 27 bis 11 Uhr 12 lag ich durchgehend im Wasser.
Das war Sinn und Zweck der Übung.

Auch schön am Stadtsommer ist es, wenn sich Asphalt und Häuser wie heiße Steine aufheizen und die Stadt ein gigantisch großer Raclette-Grill wird, mit Salatflächen (Park), Dip (Schwimmbäder und Seen) und Beilagen (Menschen in Biergärten oder Restaurants mit Außenbereich).
Bei der Rückfahrt in die Stadt hinein wurde es von Kilometer zu Kilometer heißer, und bis ich an der Brücke an einer Ampel stand, war ich trotz Fahrtwind überhitzt wieder bereit, mich in jede Pfütze zu werfen und gründlich zu suhlen.
Der Rhein schimmerte verführerisch in grünlich-blauen Tönen, die Menschen schleppten Tonnen von Eis in Waffeln vor sich her, jeder suchte Schatten und Italiener auf.
Düsseldorf war zur Adria mutiert, das Thermometer an der Strasse zeigte 35°, es war auf den Gongschlag zwölf Uhr.

Bevor ich zum nächsten Termin aufbrach, legte ich LSF 30 nach, kaum noch ein Mensch auf der Strasse, und das Wassereis ginge weg wie Brot, hörte ich den Kiosk-Mann.
13 Uhr 35, das Thermometer an der Hauptstraße blinkte mit 37°, Fahrrad und ich verschmolzen mit der Strasse, alles schien sich aufzulösen.

Das könnte man jetzt den ganzen Text so weiterführen, zum Beispiel wie ich am späten Nachmittag mit meiner Friseurin verklebte, als sich mein Folienumhang mit ihrer Gummischürze vereinte, und wir schwitzend versuchten, uns voneinander zu lösen. Oder das Gewitter, was herrlich elektrisch den Abend beim Griechen mit neuer Würze spickte. ("War DAS schon die ganze Zeit auf meinem Salat?" - "Nein.")
Oder.
Aber mir ging es eigentlich nur um die Sache mit den Rentnern und ihren neuen Freizeitbeschäftigungen.
Und darum, dass es sich abgekühlt hat.