Samstag, 28. Mai 2005
fronleichnam, oder der tag, als mein vater einfach so ging.
( … sie haben ihn mit dem hubschrauber nach mainz geflogen, er wird dort gleich not-operiert. es sieht nicht gut aus … )
es fühlte sich an wie hohn, dass draussen die sonne schien und die ganze natur schier umkippte vor sommerglück. die nacht zuvor war gefühlt nicht gewesen, die luft zu dick zum atmen, es stank fast obszön nach blüten und sternenklar. ich bekam die augen nicht zu und meine gedanken nicht mehr in form.
papa.
nach sechs halte ich es nicht mehr aus. ich habe angst, als ich das bett zurücklasse, will den tag nicht anfangen lassen. mein bauch revoltiert. die mailbox blinkt -
( … ruf mich bitte sofort zurück wenn du das hörst. bitte! )
ich höre sätze, die ich so nie hören wollte. das konnten andere sagen, in fiktiven momenten. bitte nicht zu mir.
bitte.
aber sie kommen trotzdem, ich halte die hände auf, will sie abwehren, umleiten, aber ich höre ein ums andere wort, das handy fühlt sich zu heiß an in meiner hand, mein kopf rauscht, ich will das alles anhalten, aussteigen, aufwachen, und wundere mich, wie man in diesem moment über leergekratzte nutella-gläser nachdenken kann, während.
bitte nicht. daddy.
( … wurde bis heute nacht um vier operiert … schlecht gehen, die klappe, abzess … du musst sofort kommen, bitte … wissen nicht, ob sie ihn durchkriegen … )
ich habe seinen geruch in der nase, als ich wie ferngesteuert die fellchen füttere, kaffee koche, angst habe. alles gleichzeitig. ich wundere mich, zu welchen dingen man fähig ist, in solchen momenten. ich gieße die blumen auf dem balkon und überlege, was ich anziehen soll.
ich putze mir zwei mal die zähne, weil ich das erste mal schon wieder vergessen hatte. ich bin taub. ich sehe bilder, während ich das wasser ins becken laufen lasse. ich sehe uns in die ostsee fallen, ich höre ihn rufen, ich solle meine badehose wenigstens festhalten, wenn ich sie schon im offenen meer ausziehen müsse. das badezimmer um mich herum wabert.
halt durch, bitte.
die ganzen 220 kilometer denke ich in schleife. ich hasse das wetter. ich denke, wie kann denn jetzt die sonne scheinen, ausgerechnet. mein körper fühlt sich an wie mit leim überschüttet. abgeschirmt, würde so gerne raus aus diesem taucheranzug, aber es geht nicht. ich kann mich nicht ausziehen. ich gucke über die felder und heule. ich sehe wald, während er kämpft.
ich kann nichts tun. nichts.
die klinik erkenne ich wieder, auch die allee dorthin. hier war ich nie angstlos, dachte ich.
beim letzten mal rannte ich genau so schnell die treppen hoch, letztes jahr.
papa.
da wollte ich ihn endlich sprechen und anfassen können, nach der operation. er sah blass aus, damals. sie haben ihm wehgetan, aber seine augen waren blau und strahlten. ich dachte immer, warum habe ich nicht dieses volle blau bekommen, statt diese mischung, die das raten bei mir oft ausufern läßt.
vor der tür der intensivstation atme ich drei mal bis zum schwindelig werden durch, schlucke meine angst weg und versuche mich in meine rolle zu fügen. stark sein. lächerlich.
meine mutter kommt mir in steriler kleidung entgegen, ich sehe ihre beine zittern, und sauge sämtliche wörter auf, aber es gibt keine neuen. ich höre immer nur schlecht, nicht durchkommen, schwere operation. ich will mir die ohren zuhalten, ich will nichts mehr hören, ich will klein sein und in papas arme laufen, weil der böse mann um die ecke wartet.
( … sie können noch nicht zu ihm, wir müssen messungen machen … bitte noch ein wenig geduld … )
geduld. lasst mich endlich durch. bitte.
man sitzt, wie man es immer in filmen gesehen hat. irgendwer bringt kaffe. irgendwer bringt wasser. noch mehr wasser. keine worte mehr, die lippen wollen gar nicht auseinander, während man aus taschentüchern papierwürste rollt. es wird geputzt, es werden schläuche mit urin entsorgt, es
( … ein arzt BITTE ! schnell … )
papa.
ich gehe auf toilette, ich halte diesen geräuschen nicht mehr stand. alles wie watte, mein kopf platzt fast beim gehen. klospray mit ozean-duft. die sinne halten sich an kleinigkeiten fest, wenn sie überfordert werden. ich heule statt zu pinkeln.
das erste was mir beim zurückkommen auffällt, war der gesichtsausdruck des oberarztes, als er den satz sagte, den ich nie wieder vergessen werde …
( … der letzten minuten. es kann jetzt sehr schnell gehen, wenn sie also mitkommen möchten … )
es kann jetzt sehr schnell gehen.
sehr schnell gehen.
ich kann den satz nicht mehr begreifen, ich drehe ihn hin und her, als ich den kittel um mich herumwickel und meine mutter am arm halte.
alptraum, unwirklich. ich schaue im vorbeigehen einem mann in die augen, der in seinem bett zwischen maschinen liegt. er schaut mich an und ich kann seine gedanken fast anfassen, sehe schnell weg. er sollte nicht so anguckbar da liegen.
ankommen. die türen sind auf, ich erkenne seine unterarme, mehr sehe ich von ihm nicht.
beissen, mit voller wucht auf die zunge, gegenschmerz, bloss nicht die kraft verlieren jetzt.
der direktor der klinik, die oberärztin, zwei schwestern und der intensivpfleger. alle gucken uns schweigend an. ich begreife den monitor mit jeder verschissenen kleinen frequenz. ich hasse die daten, das darf nicht sein. mein vater kann das anders, der ist doch stark.
darf ich an die seite, bitte ? darf ich an ihn ran ?
ich schiebe die schläuche zur seite, ich streichle seine stirn, mir fällt auf, dass er keine bartstoppeln hat. warum nicht ? wer hat ihn rasiert, und wer hat ihm dabei ins kinn geschnitten ? und er ist so schön braun geworden. wie kann er sich so kühl anfühlen.
ich bin bei dir, paps, bitte halt durch.
der direktor zählt die chancenlosigkeit auf, er ist abgeklärt und kalt, dafür gucken die anderen mitfühlend auf unser kleines familiendrama, letzter akt.
ich will weg, aber er wohl auch.
sie lenken meine mutter ab, sie soll nicht auf die monitore schauen, während medizinische vorgänge erklärt werden und die operation mit allen tücken. ich habe eine medizinische ausbildung sage ich motorisch, und ja, eine sepsis sagt mir was.
anstarren der maschinen, hand halten, und die frage, ob die geräte gleich abgestellt werden sollen. augenpaare, alle auf mir. mutter weint, ich sage ja, ja zu mehr morphin, ich sag noch was von, er hätte ja sonst kaum laster gehabt, sei ihm der freiflug gegönnt. man sagt so bescheuerte dinge in so ratlosen momenten.
die maschine wurde auf off gedrückt, es wurde um ein technisches geräusch leiser im raum.
ich hielt seine hand und sah durch die rollos, dass draussen sommer war. ich starrte auf die müllbehälter und legte „kontaminiert“ , feucht / trocken auseinander, dachte über das lied nach, welches ich im kopf hatte, und dass ich das ab jetzt wohl nicht mehr hören kann …
minuten, die ich nie wieder vergessen werde. ich weiss noch, dass ich zu meiner mutter sagte, lass ihn gehen, er will nicht mehr. ich weiss noch, dass ich mich die ganze zeit fragte, ob er uns hört. ich liess seine hand los, weil man sagt, dass die seele über die hände entweicht, und man solle besser die füsse halten, wenn man denn halten muss. ich streichelte seine arme, sein gesicht, ich zog die linien seiner seemann tattoos nach, und hatte in diesem moment schon angst vor dem tag, wo ich vergessen haben werde, wie sie aussahen.
er ging. einfach so. ich biss mir in die hände, ich drückte ihm die arme, um zu sehen, wie das blut weicht und zurückkommt, noch leben in ihm ist.
papa.
ich konnte ihn nicht einmal mehr sprechen.
( … wir haben ihm ehrlich gesagt, dass wir alles auf eine karte setzen. fifty-fifty.
„macht schnell“ hat er gesagt … )
tschüss paps.
( … machs gut spatz. )
---
ich habe überlegt, ob ich oben stehenden text ins blog setzen soll. er ist eins zu eins, er ist erlebt und ungeschönt.
würde ich dieses für mich grenzwertige erlebnis auslassen, hätte ich das gefühl, ich würde das leben verleugnen, welches einen hart rannimmt ab und an.
ich wüßte auch nicht wo ich anknüpfen sollte, die nächsten tage. es gehört jetzt zu mir, es prägt mich, ich bin um eine erfahrung reicher. die neue wunde, die zeig ich jetzt her, der text war wie eine salbe, ich konnte diese bilder ein kleines stück weit verarbeiten.
und gerade deshalb, und wer weiss für wen.
es fühlte sich an wie hohn, dass draussen die sonne schien und die ganze natur schier umkippte vor sommerglück. die nacht zuvor war gefühlt nicht gewesen, die luft zu dick zum atmen, es stank fast obszön nach blüten und sternenklar. ich bekam die augen nicht zu und meine gedanken nicht mehr in form.
papa.
nach sechs halte ich es nicht mehr aus. ich habe angst, als ich das bett zurücklasse, will den tag nicht anfangen lassen. mein bauch revoltiert. die mailbox blinkt -
( … ruf mich bitte sofort zurück wenn du das hörst. bitte! )
ich höre sätze, die ich so nie hören wollte. das konnten andere sagen, in fiktiven momenten. bitte nicht zu mir.
bitte.
aber sie kommen trotzdem, ich halte die hände auf, will sie abwehren, umleiten, aber ich höre ein ums andere wort, das handy fühlt sich zu heiß an in meiner hand, mein kopf rauscht, ich will das alles anhalten, aussteigen, aufwachen, und wundere mich, wie man in diesem moment über leergekratzte nutella-gläser nachdenken kann, während.
bitte nicht. daddy.
( … wurde bis heute nacht um vier operiert … schlecht gehen, die klappe, abzess … du musst sofort kommen, bitte … wissen nicht, ob sie ihn durchkriegen … )
ich habe seinen geruch in der nase, als ich wie ferngesteuert die fellchen füttere, kaffee koche, angst habe. alles gleichzeitig. ich wundere mich, zu welchen dingen man fähig ist, in solchen momenten. ich gieße die blumen auf dem balkon und überlege, was ich anziehen soll.
ich putze mir zwei mal die zähne, weil ich das erste mal schon wieder vergessen hatte. ich bin taub. ich sehe bilder, während ich das wasser ins becken laufen lasse. ich sehe uns in die ostsee fallen, ich höre ihn rufen, ich solle meine badehose wenigstens festhalten, wenn ich sie schon im offenen meer ausziehen müsse. das badezimmer um mich herum wabert.
halt durch, bitte.
die ganzen 220 kilometer denke ich in schleife. ich hasse das wetter. ich denke, wie kann denn jetzt die sonne scheinen, ausgerechnet. mein körper fühlt sich an wie mit leim überschüttet. abgeschirmt, würde so gerne raus aus diesem taucheranzug, aber es geht nicht. ich kann mich nicht ausziehen. ich gucke über die felder und heule. ich sehe wald, während er kämpft.
ich kann nichts tun. nichts.
die klinik erkenne ich wieder, auch die allee dorthin. hier war ich nie angstlos, dachte ich.
beim letzten mal rannte ich genau so schnell die treppen hoch, letztes jahr.
papa.
da wollte ich ihn endlich sprechen und anfassen können, nach der operation. er sah blass aus, damals. sie haben ihm wehgetan, aber seine augen waren blau und strahlten. ich dachte immer, warum habe ich nicht dieses volle blau bekommen, statt diese mischung, die das raten bei mir oft ausufern läßt.
vor der tür der intensivstation atme ich drei mal bis zum schwindelig werden durch, schlucke meine angst weg und versuche mich in meine rolle zu fügen. stark sein. lächerlich.
meine mutter kommt mir in steriler kleidung entgegen, ich sehe ihre beine zittern, und sauge sämtliche wörter auf, aber es gibt keine neuen. ich höre immer nur schlecht, nicht durchkommen, schwere operation. ich will mir die ohren zuhalten, ich will nichts mehr hören, ich will klein sein und in papas arme laufen, weil der böse mann um die ecke wartet.
( … sie können noch nicht zu ihm, wir müssen messungen machen … bitte noch ein wenig geduld … )
geduld. lasst mich endlich durch. bitte.
man sitzt, wie man es immer in filmen gesehen hat. irgendwer bringt kaffe. irgendwer bringt wasser. noch mehr wasser. keine worte mehr, die lippen wollen gar nicht auseinander, während man aus taschentüchern papierwürste rollt. es wird geputzt, es werden schläuche mit urin entsorgt, es
( … ein arzt BITTE ! schnell … )
papa.
ich gehe auf toilette, ich halte diesen geräuschen nicht mehr stand. alles wie watte, mein kopf platzt fast beim gehen. klospray mit ozean-duft. die sinne halten sich an kleinigkeiten fest, wenn sie überfordert werden. ich heule statt zu pinkeln.
das erste was mir beim zurückkommen auffällt, war der gesichtsausdruck des oberarztes, als er den satz sagte, den ich nie wieder vergessen werde …
( … der letzten minuten. es kann jetzt sehr schnell gehen, wenn sie also mitkommen möchten … )
es kann jetzt sehr schnell gehen.
sehr schnell gehen.
ich kann den satz nicht mehr begreifen, ich drehe ihn hin und her, als ich den kittel um mich herumwickel und meine mutter am arm halte.
alptraum, unwirklich. ich schaue im vorbeigehen einem mann in die augen, der in seinem bett zwischen maschinen liegt. er schaut mich an und ich kann seine gedanken fast anfassen, sehe schnell weg. er sollte nicht so anguckbar da liegen.
ankommen. die türen sind auf, ich erkenne seine unterarme, mehr sehe ich von ihm nicht.
beissen, mit voller wucht auf die zunge, gegenschmerz, bloss nicht die kraft verlieren jetzt.
der direktor der klinik, die oberärztin, zwei schwestern und der intensivpfleger. alle gucken uns schweigend an. ich begreife den monitor mit jeder verschissenen kleinen frequenz. ich hasse die daten, das darf nicht sein. mein vater kann das anders, der ist doch stark.
darf ich an die seite, bitte ? darf ich an ihn ran ?
ich schiebe die schläuche zur seite, ich streichle seine stirn, mir fällt auf, dass er keine bartstoppeln hat. warum nicht ? wer hat ihn rasiert, und wer hat ihm dabei ins kinn geschnitten ? und er ist so schön braun geworden. wie kann er sich so kühl anfühlen.
ich bin bei dir, paps, bitte halt durch.
der direktor zählt die chancenlosigkeit auf, er ist abgeklärt und kalt, dafür gucken die anderen mitfühlend auf unser kleines familiendrama, letzter akt.
ich will weg, aber er wohl auch.
sie lenken meine mutter ab, sie soll nicht auf die monitore schauen, während medizinische vorgänge erklärt werden und die operation mit allen tücken. ich habe eine medizinische ausbildung sage ich motorisch, und ja, eine sepsis sagt mir was.
anstarren der maschinen, hand halten, und die frage, ob die geräte gleich abgestellt werden sollen. augenpaare, alle auf mir. mutter weint, ich sage ja, ja zu mehr morphin, ich sag noch was von, er hätte ja sonst kaum laster gehabt, sei ihm der freiflug gegönnt. man sagt so bescheuerte dinge in so ratlosen momenten.
die maschine wurde auf off gedrückt, es wurde um ein technisches geräusch leiser im raum.
ich hielt seine hand und sah durch die rollos, dass draussen sommer war. ich starrte auf die müllbehälter und legte „kontaminiert“ , feucht / trocken auseinander, dachte über das lied nach, welches ich im kopf hatte, und dass ich das ab jetzt wohl nicht mehr hören kann …
minuten, die ich nie wieder vergessen werde. ich weiss noch, dass ich zu meiner mutter sagte, lass ihn gehen, er will nicht mehr. ich weiss noch, dass ich mich die ganze zeit fragte, ob er uns hört. ich liess seine hand los, weil man sagt, dass die seele über die hände entweicht, und man solle besser die füsse halten, wenn man denn halten muss. ich streichelte seine arme, sein gesicht, ich zog die linien seiner seemann tattoos nach, und hatte in diesem moment schon angst vor dem tag, wo ich vergessen haben werde, wie sie aussahen.
er ging. einfach so. ich biss mir in die hände, ich drückte ihm die arme, um zu sehen, wie das blut weicht und zurückkommt, noch leben in ihm ist.
papa.
ich konnte ihn nicht einmal mehr sprechen.
( … wir haben ihm ehrlich gesagt, dass wir alles auf eine karte setzen. fifty-fifty.
„macht schnell“ hat er gesagt … )
tschüss paps.
( … machs gut spatz. )
---
ich habe überlegt, ob ich oben stehenden text ins blog setzen soll. er ist eins zu eins, er ist erlebt und ungeschönt.
würde ich dieses für mich grenzwertige erlebnis auslassen, hätte ich das gefühl, ich würde das leben verleugnen, welches einen hart rannimmt ab und an.
ich wüßte auch nicht wo ich anknüpfen sollte, die nächsten tage. es gehört jetzt zu mir, es prägt mich, ich bin um eine erfahrung reicher. die neue wunde, die zeig ich jetzt her, der text war wie eine salbe, ich konnte diese bilder ein kleines stück weit verarbeiten.
und gerade deshalb, und wer weiss für wen.