Freitag, 23. Mai 2008

und- wie war dein tag?

Die Frau in den Riemchenschuhen hat sehr blasse, sehr dicke Füsse. Ich gehe an der Ampel dich hinter ihr, schließe auf, überhole und kann den Blick nicht von ihren Füssen lassen und wie sie da so hilflos und eingesperrt ihrem Tod ins Auge blicken.
Überhaupt, Tod. Meine Lektüre über den letzten Monat war sehr Krebsdingens, das fiel mir gestern Abend in einem engen Gespräch über Bücher auf. Und auch neulich, als ich mit der Nachbarin Brüstungslungernd so das Neueste, und man kommt dann ja doch immer wieder auf Bücher, wenn man weiß, dass der andere ja auch und so. Sie also freute sich über meine Kluun Empfehlung, und fast hätte sie die Reihenfolge vertauscht und erst "Ohne Sie" gelesen, wo doch "Mitten ins Gesicht" den Anfang, aber das merkte sie dann auch schnell und jedenfalls fand sie beide toll, und ob ich schon "Heute bin ich blond" gelesen hätte. Nein, rief ich rüber, aber das stünde als nächstes an, und das wäre ja seltsam, dass ich wirklich gern die niederländischen Schriftsteller lese, aber es ginge dann doch immer über das Sterben und den Tod. Da steht man dann so zwischen seinen Rosmarin-Büschen, jeder auf seinem Balkon und denkt kurz darüber nach, und über die Sache mit den Perücken und der Belastung einer Krankheit.
Na ja, rief ich dann, ich muss, und sie löste sich auch und beide gingen wir mit den Staubsaugern den greifbaren Dingen an die Krägen.

Die Frau mit den armen Füssen verschwindet im ALDI, ich finde mich Minuten später sehr lachend in der Philosophie-Abteilung des Buchladens wieder. Da sitz ich gern mit lustigen Büchern, das irritiert den Rest, weil was gibt es in der Philosophie schon zu lachen, junge Frau.
"Senk ju vor träwelling" hat es mir kurzweilig angetan, immerhin funktionieren meine Lachmuskeln im Gesicht noch, die Tränenmaschinerie hat Pause bis auf weiteres, und dann ist da ja noch -
- SMS-Magie. Gerade als ich denke, warum steht denn in der Comic-Abteilung nix vom Flix, da schwebt eine Kurzmitteilung in mein Mobiles:

Ly 23.05.2008 14:02

Flix Signatur ist geschafft.
Er hat sich extra sehr bemüht
und lässt Dich ganz lieb grüßen.


Ich meine - HURRA!

Stunden später blogge ich das, koche Kaffee, bringe jetzt das Buch zum Ende, und das alles in der Waagerechten auf dem Balkon. Verstehen sie mich nicht falsch, ich muss das tun.
Man liegt viel zu wenig in seinem Leben einfach mal so. Viel zu wenig.

logbuch | © Lu um 18:07h | keine meldung | meldung machen?

Mittwoch, 21. Mai 2008

sms an draussen # 2.

Sie sind unterfordert und gelangweilt.

Wenn Sie es sagen...

Hausaufgabe für in zwei Wochen: Exposé mitbringen. Ach, und was ich noch fragen wollte: Wenn Sie ein Auto fahren würden, welches wäre es dann?

Kein Hummer.


Mittwoch, 21. Mai 2008

der alberne moment zu vollmond:

cat
more cat

(seht es mir gnädig nach, aber ich lache seit geschlagenen vier minuten.)


wien in bildern.

Bitte, blättern Sie sich durch Fleisch und Schlösser, durch Möpse und Tand.
Auch ein Teppich wird noch vermisst.


Sonntag, 18. Mai 2008

reisenotizen. /wien in drei tagen.

Es ist ja nicht so, dass ich keinen Spaß verstünde. Aber einmal in kurzem Ernst Herr Taximann- diese Witze mit Frauen und artgerechter Haltung, abgegebenen Ehemännern und generell diese Lebenshaltung, da bin ich morgens in der Früh von fünf Uhr weiter von entfernt als der Weg nach Wien hergibt.
Im Flugzeug dann kaltes Vollkorntoast mit Eisbergstrunk und Käse. Dazu der Nachgedanke an den Mann vom Bodenpersonal, der durch die prall gefüllten Air Berlin Schalter lief und immer in die Menge rief: "Ist hier noch ein Gast nach Malaga? Mala-gi, Mala-ga?"
Schreibe über Frankfurt in mein Moleskine folgende Notiz:
Hochphase aller Witzemänner morgens zwischen 5 und 6 a.m.

Bei der nächsten Kurve wo der Flugzeugflieger rechts nach Wien abbiegt, da setzt mein Verstand sich ab. Ja, ich habe Flugangst, aber ich glaube langsam, dass ich eine sehr seltene und sehr komische Form der Flugangst habe. Andere sind blass, wollen eh gar nicht fliegen, atmen ab Start schwer in die Leisten-und Pogegend und halten die ganze Zeit links die Tablettenpackung gegen Reiseübelkeit und rechts die Kotztüte parat.
Ich bin da anders.
Ich fliege, beteuere aber immer und jedem, dass ich es wirklich hasse. Dann steige ich ein, und habe nie mehr im Bauch, als ein Glas Wasser mit drei Tropfen Rescue Remedy. Manchmal vergesse ich selbst das. Ich trinke nie Alkohol vorab, esse alles, was man mir an Bord serviert komplett auf, gehe nur auf Flügen um die drei Stunden auf Toilette, ansonsten bleibe ich während des gesamten Fluges über angeschnallt und sehr angepasst auf meinen Platz sitzen. Die Fensterplätze überlasse ich hier gern allen anderen, mir reicht Mitte oder Gang. Ich lese immer eine Zeitung, welche man sich zu Beginn mitnehmen kann. Wenn ich im Flugzeug lese, ist es anstrengend als würde ich einen John Sinclair Roman auf Latein lesen. Ich_lese_jedes_Wort_einzeln. Das_nervt!
Nach cirka einer Stunde krame ich meine Kamera aus der Tasche, photographiere das was ich sehe mehrfach, maule kurz, wenn wieder eine Kurve geflogen wird, und die komplette Landung über klebe ich förmlich an der Scheibe.
Dann, kaum den Boden wieder unter den Füssen, bestaune ich sprachlos die über mich hinweg fliegenden und kann mir nicht vorstellen, dass ich selbst ...
Doch, ich habe Flugangst, aber eine sehr seltene wie komische Form. Nach New York bin ich deshalb bis jetzt noch nie gekommen.
M., der während des Starts meine Hand hält, meint, es fühle sich an, als hätte er einen Tintenfisch an der Hand. Einen Tintenfisch, der nach Orange-Minze riecht.
Ich hatte stressbedingt kalte Hände und statt eines Kaugummis ein Ricola im Mund. Warme Männerworte sind in solchen Momenten Gold wert. Ich erwähnte nicht den Zusatz, dass der Tintenfisch in hautfarbenden Thrombosestrümpfen steckte. Ich wollte die Situation nicht noch anheizen.

Das Hotel ist um die Ecke Praterstern. Hotel KUNSThof, wo der erste Eindruck der Beste ist. Wir haben Glück und ein Zimmer zum Hof hinaus. Die Baustelle auf der anderen Seite des Hauses weckt uns trotzdem täglich ab sechs. Kann man alles machen, auch empfehlen, aber ich muss dazu sagen, dass die Trennung Schlafraum und Bad leider nicht durch eine Tür gezogen wurde, sondern durch nichts. Ich sags mal so: Auch als langjähriges Paar sollte man nicht alles voreinander machen müssen. Kann man mal machen, muss man aber nicht sollen, meine ich. So. Ach so, das Frühstück kostet übrigens 12 Euro pro Person. Es gibt keine goldenen Eier.

Ansonsten ist Hotel wie Stadt mächtig auf die anstehende EM gebürstet. Es gibt sogar Zuckertütchen in Ballform zum Espresso, und handgemalte Zettel, auf denen Cafés 'Fußballfreie Zone' versprechen.

Überhaupt, die Cafés. Die ganze Stadt.
Wie Prag bei schönem Wetter, mit dem Unterschied, dass ich mich hier allein verständigen kann und das Essen besser ist. Es gibt mehr Bio-Angebote, die Preise sind moderat und machbar und die Auswahl ist groß. Großen Dank an die beiden Empfehlungen, das Wrenkh war sehr gut, und das Gasthaus zu den drei Hacken ebenfalls, auf eine ganz andere Art. Dort wollte ich ein Schnitzel und bekam gefühlt alle Schnitzel der Stadt auf einem Teller vereint.
Der Naschmarkt besticht durch seine Üppigkeit, die gelangweilten türkischen Verkäufer könnten allerdings ihre lauen Fütterungsversuche der Touristen einfach so einstellen, das würde der Szenerie keinen Abbruch tun. Auch dort essen wir gut und gern. An einer Ampel steht Sarah Wiener in einem apfelgrünen Kleid und telefoniert sich krumm. Ich frage mich, in welchen Städten ich sie noch treffe, und generell:
Wie oft trifft man wohl an unterschiedlichen Orten auf Menschen, die man nicht kennt, und somit auch nicht wiedererkennt, wie oft streifen sich Lebenswege, ich wüsste es so gern.

Was ich auch noch sehr gerne wüsste, und das fragte ich mich kurz darauf und ebenso ausgiebig im Café Sperl:
Auf wie vielen Urlaubsfotos fremder Menschen ist man wohl vertreten? Und wie guckt man darauf? was macht man in genau dem Moment, wo ein anderer auf den Auslöser drückt. Ich würde eine Tugend dafür geben, würde ich das als letzte persönliche Ausstellung zu sehen bekommen, statt des eigenen Lebens als Abspann beim letzten mal Luft holen.
Über so etwas kann man an einem sehr warmen Stadttag übrigens im Café Sperl wunderbar nachdenken, wenn man draußen unter dieser Platane sitzt und sekündlich fette, grüne Blattläuse auf einen hinabstürzen, abprallen und mit Schmackes in die Melange fallen.

Diese ganzen Schösser, dieser Prunk, dieses Eis!
Was hat Sissi wohl an diesen Stufen auf Schloß Schönbrunn gemacht, auf denen ich früh morgens hocke und meine hohen Schuhe gegen gemütlich flache tausche? Ich stehe in den Schlafgemächern, vor ausgestopften Vögeln, vor Seidentapeten, in Spiegelräumen und Zimmern, in denen Napoleon und so. Ich denke, dass Franz kein gutes Leben hatte.
Früh morgens noch vor fünf am Schreibtisch, mit einer Frau, die lieber weg war, die -wenn anwesend- nichts von Tafelspitz und Eheleben wissen wollte. Im Schlafgemach der Maria Theresia, vor der ich nach einem ganzen Schloß vor Ehrfurcht fast einen Knicks mache, bin ich erst einmal Fan von dieser, und nehme mir alle Sissi-Schinken für das nächste Weihnachtsfest feste vor. Geschichte muss man mitleben, und Sissi war für mich immer etwas rein homosexuelles, das haben nur meine früheren Arbeitskollegen auf DVD geguckt, so wie den Käfig voller Narren und Lady Dianas Hochzeit.

Nach dem Schloß ist vor der Kirche. Die Menschen gehen heute anders in Kirchen, als früher. Zumindest die Touristen. Sie stürmen hinein, nehmen kein einziges Hinweisschild (kein Eis, keine nackten Schultern/Brüste/Knie, KEINE PHOTOS!) wahr und bevor sie auch nur einmal etwas Atmosphäre einschnuppern, ist die Digitalkamera auf Anschlag und auf gehts. Da wird sich vor betende Omas in die schiefe Körperhaltung positioniert, um ja den ganzen Jesus ohne doofe Gläubiger auf dem Bild zu haben, da wird ein Blitzlichtgewitter abgefeuert (Japaner in Gruppen), dass fast die Fresken an der Decke nach einer Minute ausbleichen, und man sieht auch gerne einmal ein Arschgeweih, wenn Mutti sich niederhockt und lustige Figuren macht, vor dem Beichtstuhl.
Als wir rausgehen, klingelt laut ein Motorola, und eine Frau geht ran. Sie sitzt genau neben den betenden Omas und sagt, dass das Wetter toll seie, und den Rest hören wir nicht mehr. Aber Jesus war Zeuge.

Wiener rauchen stark, sind gerne leise und sagen das auch auf sämtlichen Schildern in Cafés und Restaurants. Sie ernähren sich überwiegend von Kürbiskernöl und Ingwer, trinken grünen Veltliner und große Braune, und PLUS heißt dort ZIELPUNKT, und Langnese eben Eskimo. Leid taten mir viele Hunde wegen ihres Beißkorbes, nett fand ich das Schwimmschiff auf der Donau und überbewertet das hippe Innenleben des Museumquartiers. Ich mag lieber Orte, die aus Versehen toll sind, als Orte, wo es ungemein angesagt ist, rumzusitzen und interessiert zu sein. Die Kellner dort waren muffelig, der Kaffee fad, aber die Ausstellungsdichte natürlich phantastisch. Den Berbern im oberen Belvedere Park ging es gut. Uns auch.

Drei Tage, in denen wir Wien erlaufen haben, aber nicht alles sehen konnten. Der Narrenturm hatte leider zu, und den Zentralfriedhof begehen wir im Herbst. Natürlich.
Und eins habe ich vergessen, was eigentlich zum Anfang gehörte:
Es ist ein sehr majestätisches Gefühl, als Erste ein Flugzeug zu verlassen, wenn die Sonne mit einem aufgeht. Sissiesk werde ich das ab heute nennen.

Danke Wien.

(PS: Alle Bilder kommen, nachdem der Kampf zwischen mir und meinem Klapprechner entschieden ist. Zwischenstand aktuell: 12:4 für Frau Sony Vaio, ich geh derweil den Müll zur Tonne tragen.)


Dienstag, 13. Mai 2008

vienna. boarding time: 5:45 a.m.


(Bildrechte total ungeklärt. Bei Bedarf gerne melden.)

Bis die Tage. Wir werden viel <Platz für Gedanken>.


-

Und plötzlich, nach 7,8 auf der nach oben offenen Richterskala, ist von der Regierung in China "Menschlichkeit" enorm gefragt.


Montag, 12. Mai 2008

gefragte leser:

Diese Woche gilt es, die wunderschöne Stadt Wien zu erleben.
Wer mag mir verraten, was man nicht ausgelassen haben darf, wenn man Wien wieder verlässt? Wo kann man gut essen, was sollte nicht unprobiert bleiben?

Drei Tage, bitte helfen sie in den Kommentaren.


(Reiseführer kann jeder, deshalb.)


Sonntag, 11. Mai 2008

Sequenzen, oder "Der Versuch einer Freizeit im Stadtsommer", Teil 1

Heute: Gedanken über das Wort Sommergehege am offenen Wasser.

Ich wollte schon im Vorfeld nicht raus.
Dennoch, der Beginn einer Serie geht anders.
Sommer in Düsseldorf, den hatte ich ganz grob über den Daumen geschätzt knapp an die vierzig Mal,
unterbrochen von Urlauben an der Ostsee (Baden in der Kindheit), Andreas-Kirche Düsseldorf Altstadt (Schnorren in der Pubertät, Punk und ALDI-Bier),
Brighton-Beach (Gothik und das erste Male ohne Eltern) und viel französische Atlantikküste (Erwachsen bis dort hinaus und bis dato). Italien, Schweiz, Niederlande und Belgien,
quasi vieles außer den Vereinigten Staaten und Emiraten, ich flieg ja so ungern.
Aber jährlich und pünktlich zum ‚schönen’ Wetter steht fast täglich eine Frage ins Haus, und die geht so:
„Was machen wir denn heute?“
Die Betonung liegt in jedem Fall auf dem Wort „machen“, wobei man das auch am besten mehr so norddeutsch ausspricht, mit hartem C-H.
Anfangs, klar. Begeisterung, das war ich in Person.
Anfangs, vor allem Anfangs einer Beziehung, da macht man ja alles mit.
Ich kletterte in rosa Flip-Flops über Drahtzäune der Beton-Union um möglichst aufreizend in eiskaltem Wasser eines Baggersees zu glänzen.
Ich schmiss mich johlend in Tümpel, Weiher und auch in tiefe Pfützen, Hauptsache man macht (norddeutsches CH!) etwas.
Wetter ist ja schön. Da muss man raus.
Aber unter uns allen: So langsam werde ich zu zynisch für Freizeit.
Seit drei Jahren gebe ich öffentlich und ohne mich zu schämen zu, dass meine Sommer-Depression ärger sei als deren Winterversion.
In echt ist die Winter-Depression schon ewig Geschichte, ab Herbst geht es mir eigentlich super. Es ist angenehm muckelig, ist man vom Sauwetter endlich zurück im warmen Drinnen.
Beim Sport bekommt man keinen Kollaps, die städtischen Grünstreifen sind praktisch leer, der Mensch an sich mit seinem Terrier auf der Couch.
Da kann man gut raus, da ist Platz und Ruhe im Gebälk.
Aber jetzt?

(So, die Brücke ist geschlagen, wir kommen zu heute.)

Heute meinte der Mann so:
„Und? Was machen wir denn jetzt Schönes?“
Ich konnte kaum an mich halten, nicht sofort laut zu rufen „NIX! Ich will nur eins machen, nämlich NIX!“
Draußen schon vor Mittag über 20 °C, und das im Mai. Wonnemonat und so.
Ich in Schockstarre, was tun, welchen Weg, welcher See ist noch nicht gnadenlos von Sonnenhungrigen mit Tchibomützchen und Tupperdosen umlagert?
In Gedanken beneidete ich mehr wie üblich die Stadtrandlebenden, generell alle, die eine Einwohnerzahl unter der 4-stelligen hatten,
weil da kann es doch eigentlich nie wirklich irgendwo voll sein.
Oder?
Der Mann aber gibt sich gnadenlos. Draußen ist es schön, also müssen auch wir dorthin.
Rhein? Baggerloch? Wald? Schwimmbad? Freundes Garten? Altstadt? Stadtrand-Waldrand-Bauernhof-Künstlerkommune- wohin denn nun?
Ich immer steifer. Man weiß mittlerweile, was einen erwartet, und Auswahl haben bedeutet nicht immer gleichwohl einen Segen.
Und jedes Jahr bin ich die, welche schlimm fremdelt und spätestens am 4.Schönwetter-Tag meint, dass ich mich jetzt hinlege. Den Rest des kompletten Sommers.

Ich mach’s kurz. Am Ende brasselten wir uns mit Decke, Getränken, Melonenstücken und Büchern durch einen halben Quadratkilometer Brennnesseln, um eine
Kieselkuhle am Rhein (falsche Seite, als Info für die Düsseldorfer) unser Eigen nennen zu können.

10mai08

Wir durchlaufen die saisonalen Vorgärten von Zelten.
Im ersten Zelt: Berber, drei Stück. Sitzen alle fröhlich prall vor ihrem Inuit-Home aus Plaste und grinsen sich zahnlos einen. Als wir an ihnen vorbeigehen, bin ich benebelt vom Weinbrandaroma, welches wie eine zweite haut über ihnen und ihrem Platz liegt. Die direkte Nachbarschaft bildet eine Familie, wo beim normal schnellen vorbeigehen eher unklar bleibt, wer nun Papa und wer Sohnemann ist. Alle qualmen und sehen aus wie zwischen 25 und 50.
Dann ein knutschendes Pärchen. Während er ihr am Bikinioberteil zutzelt, fährt ein Frachter namens KARL-HEIN vorbei. Ich frage mich, ob da ein Z in den Rhein gefallen ist, aber da hat er schon ihr Oberteil laut johlend in der Hand und wir sind um die nächste Gebüschecke.
Dann endlich- eine ganze Kuhle ohne wen. Wir breiten schnell unseren IKEA-Überwurf aus. Nur wir, drei Liter Volvic, Lichtschutzfaktor 20 und Gevatter Rhein.
Leider herrscht in unserer Kieselkuhle zwar mediterraner Wellengang, aber ansonsten haben wir eine Schattenseite abbekommen.
Man beißt nicht die Hand, die einen füttert, und so lagen wir angenehm kühl für sagenwirmal 12 Minuten. Dann kam der nächste Schwung, das geht hier scheinbar in der Taktung der Dorfampel, und wie fix bzw. gnadenlos man mit der Parkplatzbeschaffung ist.
Fünf Erwachsene, gefühlt dreißig Kinder. Alle heißen Kevin (Kövvinn!) und Christian (Chrissiahn), die Mädels Ey (Öih) und Sarah (Soraah). In echt sind es genau vier Kinder, aber alle sind super im große Steine wegmachen. Ich liege unter einem Quadratmeter Sonnebrille versteckt und gucke das, was man früher das Proletariat genannt hätte. Das ist mir aber für diese Menschen zu liebenswert, deswegen nenne ich sie nur die Eys. Mutter eins ist um die vierzig, steckt in einer Hot-Pant aus Jeansstoff und Top mit ‚Willkommen’ auf der Vorderseite. Als sie Töchterchen Scharlott zum Pi-machen hinter das Zelt der drei Berber zerrt, sieht man in 58-Punkt ‚…und tschüss’ auf ihren Schultern prangen. Darüber in Tinte ein Tigerkopf auf Haut, darunter ein Name, den ich aufgrund der Entfernung nicht mehr Entziffern kann. Ich tippe auf Manni oder Walle, vielleicht auch Ereignisse wie BON JOVI oder Rock am Ring 2001. Man steckt nicht drin.
Die Berber genervt wegen pinkelnder Scharlott, ich mit zusammengekniffenen Ohren wegen Günni. Günni ist der Erzeuger von Chrissi, und beide sind sehr eifrig dabei, dicke Steine in den Rhein plumpsen zu lassen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Vatti redet mit Sohnemann wie Hausmeister Krause mit seinem Dackel. Dazwischen immer ein dumpfes PLATSCH, dann eine Denksekunde, und dann zweistimmig ein Boahgeiley.
M. schläft, und ich spiele verzagt Solitaire auf meinem Mobilen. Man fühlt sich oft einsam als Sommerdepressiver, gefühlt scheinen sich alle zu amüsieren, nur man selbst –

Der nächste Ampeltakt kommt. Jugendliche mit mehr Baguette als weibliches Lebendgewicht, die Jungs mit Sonnenbrand, die Mädchen in Hasi&Mausi-Uniform. Alle sehen gleich aus.
Ich drücke meine Sonnenbrille noch enger ans Gesicht. Die Jugend zieht weiter (zu viel Spießer hier), und die nächste Ladung kommt (nur noch eine Kuhle, Edith). Mensch an Hund. Mensch wird Gassi geführt, Hund ist Kategorie ‚Listen-Hund’ und hat Bauchfett. Auch angeblich böse Kläffer liegen gern auf der Couch und essen Käsehappen.
Ich halte es kaum noch aus, gerade die Gespräche der direkten Nachbarn mit Muddi, Scharlott und Vatti mit seinem enervierenden PLUMS der dicken Steine, gefolgt vom sicheren Boahgeiley.
Ich drücke energisch auf ‚Neues Spiel!’, bekomme kein Spiel zu Ende, keinen Gedanken zu Ende, denke an Gewalt und Hartz 4, an Kontrolle und an mein ruhiges Heim.
Kaum regt sich M. aus seinem tiefen Männerschlaf, rufe ich ihm ein enthusiastisches ‚Ich muss hier weg!’ ins Ohr. Direkt alle Schuhe an, Decken ausgeklopft, M. noch gar nicht richtig wach, da bin ich schon baren Beines im Stechschritt durch das Brennesselfeld, nur weg hier, zu Hause ist auch schön!

Wir haben noch zwei freie Tage und einen ganzen kommenden Sommer vor uns, diese Serie mach ich jetzt sowas von voll!
Schwimmbäder, Baggerlöcher. Überfüllte angesagte italienische Insidertipps und Boote mit Bio-Eis. Joggingstrecken und eigentlich leere Geheimtipps.
All das werde ich endlich einmal los; ach hätte ich schon vor Jahren diese Serie hier, aber es ist nie zu spät, weil:
Nach dem Sommer ist vor dem Sommer.
Wir sehen uns. Wenn nicht hier, dann ganz sicher an einem einsamen Ort. Ganz sicher.
Ich, Du, und noch einige Tausend anderer Großstädter, auf der Suche nach dem einsamen Ding und sich selbst.