Dienstag, 15. März 2005

viertelgeschichten.



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es soll warm werden heute, der frühling beginnt. im viertel spürt man das aufatmen fast körperlich, die nachbarn aus den südlichen gefilden bekommen das grinsen nicht mehr aus dem gesicht, der rest auch nicht. es ist kurz nach acht am morgen, der rush-hour ists egal.



die berber feiern den sonnentag ausnahmsweise mit bier aus glasflaschen, die plastikbuddeln sind für die regentage, da ists auch egal. sie sitzen auf den bänken an der spielplatzwiese, die krokusse kommen minütlich mit einem fast hörbaren plöpp aus dem noch kalten boden, und machen alles knallbunt. ich gehe am taxistand vorbei, und die türkischen fahrer haben grad teezeit, es ist eh ruhig, die leute gehen zu fuss an tagen wie diesen. es duftet nach starkem schwarztee mit frischer minze, und bei den berbern kreischt eine frau auf, der gerade in den hintern gezwickt wurde. alle lächeln, auch die ewig muffigen an den haltestellen, die schlechtgelaunten VRR-opfer, warum auch immer.



"darf ich sie beide vielleicht photographieren, bitte?", frage ich die beiden klönenden frauen, und die eine lacht und sagt, "kindchen, ich han mir die haar janich jemacht."
"macht nix", sage ich, "ist genau richtig so", und beide kichern, während ich sie zweimal knipse, schnell, damit es ihnen dann nicht doch noch peinlich wird.
"macht zwei fuffzich", sagt die eine. "ich wusste, dass die das jezz sacht!" die andere.
auf dem rückteil des autos sind drei aufkleber. "jetzt hab ich die schnauze voll, steuern runter" und "mit mir nicht!" oder so ähnlich, und als ich um die ecke biege, kichern sie noch immer.



ich laufe durch ein viertel im viertel, es ist eine häuserrunde die sich gegenseitig vom rest ein bißchen absondert, eine mitte entstehen läßt und in der mitte hängt viel wäsche, wird viel getratscht und durch die reihen gerufen, von einem offenen fenster ins nächste offene fenster, zur not auch in ein offenes ohr einer vorbeigehenen, wen kümmerts.
in diesem viertel im viertel haben die klingelschilder an den häusern viele ü’s und sehr selten endet ein name auf *itz oder *mann. dafür wehen dort blaue arbeitslatzhosen im abendwind, die man meist in den mercedes werken trägt, oder die weißesten laken seit OMO. manchmal auch nur eine einsame grüne badematte. es duftet köstlich nach gemüse, welches im ofen in sich zusammensinkt, nach scharf und würzig, nach zitrone und melisse, und wenn ich aus dem viertel im viertel hinauskomme, trage ich eine pfütze im mund gassi.



über die strasse hinüber geht es in die strasse, wo keine wäsche auch nur in sichtweite hängt, die häuser sind alle gleich, hier wurde der begriff „reihenmietshaus“ gezeugt und unter schmerzen geboren. auf den türschildern stehen jetzt nur noch ganz wenig ü’s, dafür aber viele *itz’s und *mann’s, und auch das hat was. nämlich geräusche. es ist mittlerweile mittag, die sonne knallt, die fenster sind auf sperrangel geöffnet.



brüllte mir minuten vorher noch die anatolische omma das türkische vater-unser ins ohr, so hört man hier herzliches pfannenbrutzeln, wellensittiche die gegen staubsauger ankreischen und es hängt eine aromatische wolke aus fischstäbchen und kartoffeln in der luft. wenn man den geruch noch einmal feste durch seine kammern schleift, dann erahnt man sogar noch den gurkensalat mit essig-oil-dill-mehrkommtdanichdran-sauce. die strasse ist lang, hat keine punkte zum verweilen, aber dafür ist heute eh keine zeit, es ist ja jetzt frühling.



es sind 15 grad über plus, und das leben kommt zurück in mensch, wohnung und somit auch auf die strasse. es werden fenster aufgerissen und die betten ausgeschüttelt, als passant bekommt man also eine neue aura aus hausstaubmilben und gänsedaunen verpasst, ob man will oder nicht. die möwen fliegen hoch, die amseln rotten sich zu schwarzen haufen zusammen und halten abendschnack auf gebüschzipfeln. am ende der strasse mischt sich das volk. *ül’s an *itz’s, papas kombi mit den kindersitzen und muttis winterschuhen im hinteren teil parkt an erdals flachschüssel mit dem wumms-bässen im heck, sarah connor trifft auf bushido.



im rücken die dönerbude mit wochenangebot, vor mir die grillstube der strasse, das halbe hähnchen auf der reklame wird dort schon seit jahrzenten blasser, abends sitzen immer die gleichen männer am fenster, jeder für sich. man kennt sich trotzdem.



ein nachbar geht mit seinem greifvogel gassi, der cockerspaniel pinkelt dreimal arg konzentriert auf einen centimeter erde. ich grüße alle drei, frage wie es geht, der mann sagt wie immer "no et muss", der cocker pinkelt mit lachender schnauze und der greifvogel wackelt mit dem kopf. "mag er immer noch nicht unter menschen?", frage ich und der mann sagt "neee, aber er muss. müssen wa doch all', nich ?".



wieder kommt eine flach-schüssel vorbeigerauscht. die scheiben, die nicht runtergekurbelt sind, wummern im takt, orientalische klängen tauchen die strasse kurz in musik, ein mann singt traurige verse, die ampel wird grün, und die musik wird leiser, der greifvolgel guckt genervt.

es ist frühling im viertel, und es kommt wieder leben in die strassen. auf der wiese nebenan, nah an der haltestelle, da liegen die listenhunde schnarchend in der sonne, ihre schnauzhaare flattern bei 15 grad plus. rechts in der nebenstrasse werden die SAT-schüsseln neu ausgerichtet, man hört russische sprache direkt neben italienischen nachrichten, und ein haus weiter stehen einmachgläser auf der fensterbank.

der erste warme tag, unbezahlbar.

( wo sind eigentlich meine flipflops ? )

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Großartig. Hier ploppt es auch.

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au fein, endlich!
wenn frau lu nach ihren flipflops ruft, kann der sommer nicht mehr weit sein!

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nice ! :)

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Nizza?

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Moinsen.
Gerade erst hier eingelaufen finde ich doch beim ersten Landgang eine schöne Beschreibung der "Insel" meiner Kindheit: Lierenfeld.
Interessant ist der Nachbar mit dem Greifvogel. Könnte das der hier gewesen sein? http://www.willy-hagen.de/
Der wohnte jedenfalls mal in einem der Häuser, die man hinter der Pommesbude mit dem Hähnchenschild sieht.

Verglichen mit einem älteren Beitrag hast Du Dich mit Lierenfeld ja scheinbar mittlerweile arrangiert.

Gruß aus Flingern,
Michel.

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genau der ist es, der nachbar. die seite an ihm kannte ich allerdings noch nicht.

zu lierenfeld an sich - ich mags doch, das viertel. nur zwei sachen stören mich : der 21er und der 24er, die beide jedes schlagloch mitnehmen und die strasse laut machen, und der mangel an grünflächen um mich herum. ich bin buga-verwöhnt, ich hab da direkt vor der tür gewohnt, früher.

gruß zurück nach flingern, da komm ich grad her.

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