Dienstag, 15. März 2005

viertelgeschichten.



( weiter in den komentaren ... )


Donnerstag, 10. März 2005

lehrgeld.

heute morgen habe ich etwas gelernt.
ich ging beschwingt richtung arbeit durchs viertel, zog die noch schlafende schweinehündin hinter mir her und machte von hier und dort ein photo.
die sonne schien, über allem lag gefrorener nebel und die welt war gut, denn es war donnerstag, und ich, ich brauchte nur noch eben schnell eine fahrkarte.

einen druckfrischen 10euro-schein in der kalten hand stand ich also an einem organge-farbenen fahrkartenkasten und gab entsprechende drücker auf entsprechende tasten, steckte vertrauensvoll meinen schein in den schlitz und es machte knarks und wusch und das ding kam retour raus, während mich hektisch und böse ein rotes lämpchen anblaffte.
ja was denn?, fragte ich die kabel, die schweinehündin bekam spontan einen PMS-anfall und ich wurde es dann nicht müde, diesen schein immer wieder aufs neue in den schlitz zu packen, schließlich brauchte ich doch ein ticket herrgott.
nach vier mal scheinrein-scheinraus hatte ich die nase voll, ließ die schweinehündin einen xxl- bach an den automaten strullern und zog von dannen, einen unheilschwangeren gedanken im kopf tragend, der in etwa so ging: ach was solls, in der bahn sind ja auch ticket-automaten, und die sind auch moderner. genau.
sprachs und stand ein paar minuten später an besagtem automaten, den schein schlaff in der hand hängend. denn so viel ich auch guckte, die augen bluteten förmlich aus allen poren, so wenig konnte ich einen schlitz ausmachen, in dem der schein verschwinden konnte. dieser ticketautomat verfügte einzig über einen münzgeldschlitz, und genau das hatte ich nicht. nur den schein. die schweinehündin jaulte laut auf, als sie sich der gesamtsituation bewusst wurde, und ich fragte so ein bißchen halblaut in die mürrische runde meiner mitreisenden : "ähm … und was macht man, wenn man keine münzen hat ? "
betretenes schweigen aus allen reihen, dafür sensationslüsterne blicke mit der überschrift: was macht sie jetzt ?
ich versuchte also die direkte ansprache, ich bin ja geschult was krisensituationen angeht. man muss nur jemanden das gefühl der verantwortung oder der weltweisheit geben und schon …
und schon hat man wie ich den erstbesten am wickel, der sich leider schwerhörig als hörbehindert herausstellt.
blöde lage, da kam ich nicht raus. ich konnte den ja jetzt nicht einfach so fallen lassen wie eine heiße kartoffel, die ganze bahn schaute ja zu, also schrie ich ihm klar formuliert ins mir zugewandte ohr : "WAS MACHT MAN DENN WENN MAN KEIN KLEINGELD *lufthol* HAT ?"
er : "HÄ ?"
ich : "haben …äh …HABEN SIE KLEINGELD ?"

sein gesichtsausdruck veränderte sich in der selben sekunde, er sagte in etwa : wieso schnorrt die mich jetzt an ? so mittellos sieht die gar nicht aus. komisch.

ich gabs auf, scheiß auf die soziale kompetenz, ich brauchte flugs ein ticket, und da der rest der mitfahrenden nicht wirklich nach rettung aussah, besann ich mich auf mein krisenmanagement und beschloss, direkt an die wurzel des übels zu packen und ging nach vorne. zum fahrer.
er sass hinter eine panzerglasscheibe, die auf tittenhöhe brustbeinhöhe etwa 15 kleine löcher aufwies, und durch die brüllte ich ihn so charmant wie möglich mit: "hallo ? hören sie mich ?" an
er: "ja, laut und deutlich, danke."
ich: "sagen sie …was muss ich tun, wenn ich ein ticket brauche, aber statt münzgeld nur einen schein besitze ?"
er dreht sich um, grinst gemein und sagt leise mit dem ton einer rasierklinge in der stimme: "dann müssen sie die anderen fahrgäste bitten, ihnen den schein zu wechseln."

die schweinehündin wurde auf der stelle nass unter den achseln und mir entfleuchte so was wie ein gewimmertes natoll.
ich drehte mich um, dachte kurz daran, ein photo zu knipsen, die optik brach förmlich über mich herein, denn vor mir breitete sich die bahn aus, die die stadt "silberpfeil" nennt, gerammelt voll und alle guckten auf, tataaa, mich.
sing oder stirb dachte ich, und fragte entschlossen " kann mir hier …"
genau in diesem moment gab es eine betäubende rückkopplung aus den lautsprechern, der fahrer schaltete sich dazu.
"kann der jungen dame hier vielleicht jemand geld wechseln?", bellte es aus den boxen, und jetzt hatte ich den groll mal so richtig gegen mich. aber immerhin : der schwerhörige hatte das zeichen des "jetzt habbichs verstanden" im gesicht, und zückte sein portemonnaie. mit ihm noch ein paar andere, und alle guckten ganz angestrengt, und so wurde aus meinem zehner erst zwei fünfer und aus einem der fünfer dann münzgeld. von den drei münzen wollte der automat keine einzige haben, also gruben nochmal alle ihre portmonnaies um, und endlich kamen die technischen peristaltikgeräusche aus dem ticketautomaten mit auswurf. ich hatte mein ticket, halleluja.
"ey, dat musste noch entwerten", steckte mir ein schüler hinter mir, ich also mit ultraschwerer, gnadenlos überladener laptoptasche durch die bahn wie ein kegel, den automaten fest im blick, rein mit dem papier, zackratter, fertig. als ich endlich sass, hatte ich gefühlt einen kampf hinter mir, und da war die fahrt auch schon wieder vorbei, ich war am ziel, aussteigen bitte.

man lernt sachen erst so richtig zu schätzen, wenn man sie mal missen muss, so heißt es doch, richtig ? ich habe seit heute morgen mein abo-ticket ganz dolle lieb, aber das gilt momentan erst ab neun, und somit bin ich zwar um zwei euro ärmer aber dafür um eine erfahrung reicher.


Montag, 14. Februar 2005

"rude boy", oder lu und der VAJM.

ich sags mal simpel, das putzen war die hölle.
heute, eine nacht zwischen entspannungsbad und zweitagesputzinferno, heute kann ich das sagen, die hand in den schmerzenden rücken gestemmt. und ja, es stimmt was alle um die statistiken munkeln. die meisten unfälle, und die dämlichesten auch (sage ich) passieren im haushalt, da beisst die maus keinen faden ab.
ich persönlich stand zwei mal auf der kippe. einmal wortwörtlich auf der besuchercouch, die genau in dem moment instabil nachgab (das erste mal übrigens, ich wußte gar nicht, dass sie so weit mit dem hinterteil hochkommen kann), als auch ich nachgab, und so hektisch mit dem fensterleder wedelnd halb aussen hing, den schwerpunkt des körpers noch in der wohnung, aber eher gerade noch, während seele und fensterleder gen hauptstrasse tendierten.
ich sags kurz, es ging gut, einen ghostwriter kann ich mir eh nicht leisten.

das zweite mal war der moment, als ich mit zusammengekniffenen augen die tadellos gewischten fenster gegen das orkantief prüfte, regentropfen bei 120 km/h, und dabei durstig hinter mich griff, das regemuster nicht aus den augen lassend. die vermeintliche wasserflasche war aber der glasspiritus, der sich gemütlich in einer evian-flasche suhlte. hätte nicht eine innere stimme "NICHdas!"gerufen, so wäre der nachmittag in der notfall ambulanz geendet, und die bude immer noch nicht frühjahrsfit.

es passiert auch nicht gerade viel, wenn man so ein wochenende zu zweit auf allen vieren kriechend verbringt, ist der grund der doggie-haltung das putzen allein. es werden besonders fette staubmäuse wie jagdtrophäen mit stolz nach vorn geschwellter brust und so lauten wie "hmguckmalgeil" präsentiert, und auch sätze wie "ey, DU hast das sidolin, ganz sicher" gehen nicht in die geschichte der beziehung oder der sprachgewalt ein.
es gab aber zwei vorkomnisse, die unseren nachbarn alles bestätigt, was sie sich jemals zu uns ausgemalt haben.
das erste war der verschwundene kater.
wäscht man zig maschinen mit kissen, überdecken und anderen großen teilen in eiliger folge, und schmeisst alles was weg soll in große mülltüten, und ganz plötzlich ist beim durchzählen eine katze weg, dann kommt zum adrenalinschub auch gleich ein flaues gefühl im magen und hektik auf.
der erste weg führt schnurstracks auf den balkon, dessen tür eben noch offen stand. balkon katzenleer, aber dafür rappelt es unten in der großen mülltonne. kurzer blickwechsel. in meinem stand "du hast doch wohl nicht den katz mit den alten plörren in die tüte gepackt und entsorgt ?", während in seinem blick mehr so "du denkst jetzt nicht wirklich, was ich grad in deinen linsen funkeln sehe, oder?" mitschwang. eine sekunde später rannten wir die paar stufen hinunter, richtung mülltonne. unten kam uns der sohn der nachbarin entgegen, man kennt sich von geburtstags-sektchen und kurzen gesprächen im treppenhaus. draussen schüttete es aus kübeln, m. und ich stolperten kalkweiss um die nasen und auf wollsocken in den hof, warfen uns satzteile wie "hey, wenn der da drin is …" und "...das hat gewackelt, die tonne hat gerappelt, echt." entgegen. wir sahen aus, als wären wir auf einer neuen droge aus süd-amerika, aber da war die tür schon zu, und wir aus seinem staunenden blickfeld.
das fellchen war natürlich nicht in der mülltonne, aber mir dafür speiübel.
zurück in der wohnung, triefnasse wollsocken an den füssen und müllgestank an den händen, da sass der verloren geglaubte katz auf dem stuhl und guckte einfältig.

das zweite war mein erster anruf bei der polizei, passiert gegen mittag.
ich wusch gerade den kühlschrank aus, und wunderte mich gelangweilt über die hartnäckigkeit von marmelade, da sah ich einen „verdächtig aussehenden jungen mann“. das allein ist hier im ghetto ja nichts neues, die wohnen ja alle hier, nur drehte dieser runden um unseren wagen, und das allein machte ihn schon mal unsympathisch. er versuchte hektisch, ob unsere zentralverriegelung mit seinem schlüssel zu öffnen sei, und verschwand wieder. ich fand das alles am hellichten sonntag ziemlich dreist, wollte aber noch nicht auf das zeternde propellerweib hören. also ging ich auf die andere seite der wohnung zum nächsten fenster, und der verdächtige probierte sein fragwürdiges glück an fast jedem auto.
ich kann nicht sagen, was mir in den nächsten sekunden so durch den kopf ging, aber da war ich auch schon mitten drin, hatte einen freund und helfer am telefon, und der wollte wissen, was er denn tun könnte. ich umriss die geschichte, sagte noch, dass ich mir grad vorkäme wie der letzte denunziant, hätte am liebsten noch hinzugefügt, dass ich ja früher gern auf demos war und so, und das "die polizei anrufen" nun gar nichts mehr mit punkrock zu tun hätte, aber das liess ich dann doch, und beschrieb statt dessen den verdächtig aussehenden jungen mann.
vier minuten später hatten wir zwei herren in grün in der frisch geputzten küche. und während ich ihnen noch einmal kleidung und gesinnung des verdächtigen erklärte, wunderte ich mich sehr über m., der komisch lächelnd, irgendwie über-jovial guckend beide arme hinter dem rücken hielt und einen hektischen fleck unterhalb des rechten auges entwickelte. als sich die polizisten dann mit einem "danke schön" auf verbrecherjagd machten, liess m. die luft aus den lungen, den fleck in die freiheit und stellte das auf den tisch, was er die ganzen minuten während des intermezzos hinter dem rücken versteckt hielt : einen bong mit aufgemaltem canabis-blatt und der aufschrift Rude Boy.

dieses hässliche ding wohnt als geschenk in unserem küchenregal und ist so sauber wie eine jungfrau. ich gehe sogar so weit zu behaupten, das der lütte winz-bong das einzige in dieser wohnung ist, was keinen wischer gebraucht hätte, aber mich fragt ja keiner.
m. hält also unsere rauhe vergangenheit bedeckt, die polizei hat jetzt meine nummer, die fellchen suhlen sich auf frisch gewaschenen couchbezügen und seit neuestem finde ich kochsendungen extrem beruhigend.

( was wird das jetzt ? willkommen in einem neuen abschnitt ? ich meine, ist das jetzt immer so ? was kommt als nächstes ? wildlederpumps in beige und club-urlaube in spanien ? )


Sonntag, 16. Januar 2005

sonntags im seichtwaschgang.

die sonne brennt hellgelb vom himmel, dieser babyboyblau. vor dem fenster steht mein baum, knorrig und im tief seufzend im winterschlaf. aber wenn man ganz hoch hinauf klettert und seinen langen ästen nachläuft, dann sieht man die knospen wackeln. sie drücken sich gegen die dunkle rinde, sie stossen die letzten schoten mit klimpernden samen hinab in die tiefe und kichern dabei. die insektenanwohner drehen sich noch einmal um, kommt doch die kalte zeit erst, zumindest war das früher so. wenn die erdbewohner ihre spitzen hütchen schief auf den kopf setzen und die tröte in den mund, die apfelkornboddel in die hand nehmen, dann wirds noch mal zünftig, und danach kann auch ein käfer mal nachsehen, wie das jetzt aussieht, die sache mit dem frühling, und unter günstigen umständen das weib wecken.
ein vogel singt und mir fällt ein lied ein, welches man den winter über vergisst, er singt es ab frühling täglich und den fellchen läuft der saftr aus den lefzen, wenn dieser schwarze federball auf der dachrinne des nachbarn heftig vibrierend den abend in grund und boden singt.
eine elster reisst einen wurm, ein hund kackt auf einen weggeworfenen einkauszettel, die griechen-homies holen mit unter sound vibrierendem bmw ihre letzten aus der runde ab, die mädchen stehen hinter den gardinen und hinterlassen schatten.

sonntag im viertel, ich liege am fenster und sauge hellgelb auf. mir fehlen die hohen wohnungen, ich brauche am ende des tages das restlicht, wenn die bodenhaftung geht.
hellgelbe sonne, warm, und ein fragezeichen seitlich am tag.
rausgehen, rauslaufen, eine knospe bilden, ganz oben am kopf, direkt bei den rosinen.

(himmelhilf.)

seemannsgarn | © Lu um 13:56h | keine meldung | meldung machen?

Samstag, 15. Januar 2005

spaziergang

tage mit sollbruchstellen, und das licht ist zu dunkel.
will nicht sprechen, will nicht machen, will nur sehen, egal, ob augen offen oder zugedrückt.
ich gehe die strasse hinunter und denke plötzlich an gustav, der sich damals um diese jahreszeit immer von der arbeit als abwesend meldete und dabei so seltsam lächelte. seine abwesenheit verbrachte er in spanischen hügeln bei einer hexe maja, er sagte, das sei seine jährliche kur, voll eigenfinanziert, das übernimmt keine kasse. kam er dann ende februar zurück, gebräunt, gefastet und generell auffallend aufgeräumt, dann machte gustav ein bißchen arbeit und seine saison-bilder. jedes jahr im märz konnte ich es kaum ertragen abzuwarten, was er als thema aus den hügeln mitgebracht hatte, was seine bilder als roten faden trugen.
eine saison lang malte er nur schrotgewehre, jedes bild eins, und er sagte keinem warum. ein gewehr ums andere zierten die atelier-wände, und gustav schwieg sie an, während ich ein fragezeichen losschickte.
ob gustav in diesem moment in irgendwelchen spanischen hügeln eine neue saison erfastet, das weiß ich nicht, während unter meinen schuhen der winter knirscht. es liegt kein schnee, knirschen tut es trotzdem. meine atemwolke streift die einer alten türkin, und ich sehe in zwei glasklare augen in einem ur-alten gesicht. sie lacht mich an, macht ein paar laute gurr-geräusche, aber sie erreicht mich nicht.
ich hatte auf „diskret“ gestellt. ich mochte sie, die paar sekunden.
den schal noch einmal um den kopf geschlungen treffe ich ein paar alte pappeln, sie fühlen sich an wie freunde, und es sieht aus, als wenn sich alle zu mir hinunterbeugen. das kann sein, die kennen mich schon seit meiner eigenen spriesszeit. sie beugen sich zu mir herunter, wie das tanten tun, wenn die kinder klein und klar sind. auge in auge, denke ich, rubbel ein paar stämme und gehe hindurch, während ich „weiß nicht? „sage. sie wissen es auch nicht, aber ja, bis bald.
wie schützt man sich vor einflüssen, wenn man die regeln nicht schreibt ?
wie nehmen einen andere wahr, die sagen, ich kenne dich, du bist so und so ?
automatismen des lebens, alles schon gesehen, alles schon gehört. unlust denken.
der papa bekommt immer das größte stück fleisch, so bin ich aufgewachsen. ich bin erzogen, den menschen die ich gern habe, immer die großen stücke zu geben, und für mich das kleine zu behalten, satt wird man an der freude der anderen. es kann vorkommen, dass man da hungrig wird. es kann vorkommen, dass andere zu oft nachschlag nehmen, einfach so. köche und esser, licht und dunkel. kannibalen am eigenen tisch.
die ampel, fast wäre ich bei rot gegangen, fast wäre der bus, gott wär das ein scheiß ende. vom bus erfasst, sie war grad in gedanken. nein danke, ich laufe weiter, ich gehe gern zu fuss. lebendig.
da, die sonne kommt heraus und direkt wird es warm überall. die atmenwolken sehen aus wie schornsteinrauch, und ich denke, stimmt ja auch, jeder ist doch sein eigenes haus, und man hat gäste und man muss eine hypothek an die eltern, und fassade pflegen sowieso.
mein haus mit garten, mit teich und einem zaun, aber den sieht manch einer nicht.
im garten wachsen die rosinen, im teich schwimmt die katz, und überhaupt ist das mein haus und das kann ich überall mit hinnehmen, das steht nicht wirklich fest.
und während ich eine tüte obst kaufe, steht die ur-alte frau wieder neben mir, wackelt mit zwei auberginen und schnalzt die zunge.
bei der wackelt das dachstübchen, sagt der mann an der kasse.
nein, sage ich, sie hat nur ihre zauntür auf. man könnte sie besuchen, wenn man wollte.


Samstag, 18. Dezember 2004

drei, sie zu knechten.

als ich es nach sekunden des desorientierten herumdenkens schaffte beide augen geichzeitig zu öffnen, starrte ich direkt in die roten ziffern meines radioweckers. 05:08 leuchtete es mir grell mittig in die iris, bevor sich der rest des körpers einschaltete.
draussen finsterste dezembernacht, sturmgeräusche und prasselnder regen, als ich warm und nackten fussen über die laut aufknarzenden holzdielen tapste, ewig versucht, die kreischenden holzgesellen auszulassen, erfolglos.
ich ließ die augen geschlossen, kenne die transitstrecke „rechte betthälfte- toilette“ quasi aus dem ff, und selbst die vier fellchen lagen tonlos in ihren ecken und schliefen den schlaf der domestizierten.

in meinem alter laufen körperliche vorgänge meist ohne unterbrechung und ohne komplikationen, so wurde ich erst aufmerksam, als meine hand im dunkeln ergebnislos die normale vorfindestelle des klopapieres abgriff. leere, nichts als schwarze leere.

also doch die augen aufmachen, dachte ich mürrisch und prompt starrte ich in der dunkelheit in drei augenpaare und auf eine in die luft gehaltene klopapierrolle.

"was zur hölle…???" stammelte ich.
"kein grund zur aufregung, wir sind geschlechtslos." kam es von augenpaar rechts aussen, der auch die klopapierrolle in seiner gewalt hatte.
ich beschloss, ausnahmsweise mal die klappe zu halten, weil die erklärungsnot eindeutig bei den drei eindringlingen lag, deren rest ich in der dunkelheit weder ausmachen konnte, noch wirklich wollte. also raffte ich ein badehandtuch, welches dort hing, wo ich es stunden zuvor nach einer dusche hingehängt hatte, und wickelte es um mich herum, geschlechtslose augenpaare hin, körperlose wasauchimmer her, gucken konnten sie immerhin.
und klopapier in die luft halten auch. und wer hände und augen hat …

„okay … was soll das ? und könnte ich netterweise zwei-drei blatt haben ? danke“.
es raschelte übermäßig laut in der dunkelheit, und plötzlich hatte ich erfragtes auf den beinen liegen.
“umdrehen. alle! wittwitt.“
es wurde kurz rabenschwarz, als sich sechs augen nach unten schauend verdingten, während ich die spülung zog, und das badehandtuch festzurrte.
drei belustigte augenpaare schauten wieder in meine richtung, und das mittige fing an zu sprechen:
“ lu -wir sind die drei geister deines blogs. der geist der vergangenheit, der gegenwart und der zukünftigen einträge. wir sind gekommen, um mit dir zu sprechen. wir haben not.“
„ habt ihr einen location-scout oder richtig billigen humor ? es ist kurz nach fünf in der nacht und ich wollte nur kurz pinkeln gehen.“
„ das tut uns leid, aber die letzten tage hatten wir mehrfach versucht, zu dir kontakt aufzunehmen, aber du hast uns schlichtweg entweder überhört, oder übersehen und sogar überrannt.“
„das tut mir jetzt leid, aber ich hatte stress und viel zu tun.“
„deswegen sind wir hier. du hast das alles nämlich
nicht gepostet!“
„ ihr wollt mich verarschen, oder ? das ist ein schlechter scherz oder ein scheiß nerd-traum, oder beides zuammen. oder war der fisch gestern abend um? ich muss mich mal eben kneifen --- AUTSCH! … shit. ihr seid also echt, ja?“
„ – „
„ okay, und nun ? „
„wir möchten, dass du die lücken in deinem blog füllst, dann sind wir auch wieder weg.“
„welche lücken denn, verdammt ?“
„ na, die ganze letzte woche. du warst doch zum beispiel am montag beim friseur … fünf stunden hast du in diesem hardcore-lesben-schuppen gesessen, rumgefeixt, zwei mädchen überredet, sich einen pony schneiden zu lassen, und bist am ende auf lächerliche nur_noch_zwei haarfarben reduziert im dunkeln aus dem laden gestolpert, unterzuckert und mit starkem rotanteil und fibre-gum im haupthaar. da hätte sich doch etwas draus machen lassen.“
„hm.“
„oder der dienstag und deine thermometerdiskussion mit m.“
„da wart ihr hier?“
„ na klar. wir haben alles mitbekommen. du hast ihm das thermometer gegeben und gemault, weil er seine temperatur unter der achsel messen wollte. da hast du die arzthelferin raushängen lassen und gesagt, dass alle typen anal-verkrampft wären, sobald sie ein fieberthermometer sähen. dann habt ihr kurz das pro und kontra ausgefochten und wir haben ganz genau gesehen, wie du in der küche gelacht hast, als du gesehen hast, wie er sich das thermometer trotzig in den mund steckte. und wir wissen genau, dass du daran gedacht hast, dass das dein thermometer ist, und das du nur „richtig“ misst, und das du zwar immer alles mit alkohol sauber machst aber trotzdem… es war dir ein innerer vorbeimarsch, das musst du zugeben. und wir haben uns bes_tens amüsiert. aber deine leser nicht, weil du die sache nämlich ebenfalls einfach ausgelassen hast. kein satz, nix.“
„ähm, ja-stimmt, aber … „
„oder der mittwoch, als ihr DSL bekommen habt. die ganze konfiguration, der kabel-gau, die fehlermeldungen, dein erstes mal wireless … keine phantasie ? du hättest es ja aufsexen können, zur not. aber es wäre auf jeden fall eine information wert gewesen, unserer meinung nach.“
„....“
„ganz zu schweigen von dem traum den du hattest. der war mal richtig gut, aber nein, bloss keine informationen an die spektakel-fraktion da draussen, madame postet lieber ihre prag-bilder, das ist ja einfacher und geht schnell.“
„ genau – da liegt nämlich der hase tief im pfeffer. ich hatte keine zeit. das war mal wieder eine woche der prioritäten, und irgendwann muss ich ja auch mal an die luft, und nur weil ich jetzt DSL und so habe, ich meine, das ist doch keine lösung. oder so. „
„deswegen sind wir hier. wir haben geduldig aufgepasst und gesehen, dass du soweit fertig bist und heute eine lücke hättest, so zwischen 16 und 18 uhr dreißig. da könntest du doch dein blog updaten und alles wäre gut.
der geist an meiner linken seite, der der vergangenheit hätte wieder was zu tun beim archivieren, ich hätte aktuell den kurzfristigen spass am gegenwärtigen, und der geist zu meiner rechten könnte mit seinem trübsal blasen aufhören und sähe wieder einen sinn in seinem dasein der zukunft.“
„okay.“
„einfach so?“
„einfach so. und ich setz vielleicht noch einen drauf und verspreche euch ein neues outfit, unter umständen ein kleiner ausflug und nabelschau galore noch vor 2005. wär das was ?“
„perfekt.“
„und ich kann jetzt einfach so wieder ins bett und ihr zieht leine ? ich muss nichts unterschreiben und kann einfach so weiterschlafen?“
„natürlich. Wir sind die drei geister deines blogs … ohne dich wären wir überflüssig.
Schlafe dich aus und aktualisiere morgen, dann geben wir ruhe. Ade.“
„tschüß.“


drei augenpaare verschwanden im nichts meiner badezimmerkacheln, und das weiche geräusch der zu boden gefallenen klopapierrolle riss mich aus den gedanken.
als ich mich sekunden später zurück ins warme plümo sinken ließ, dachte ich an charles dickens und das mir das eh keiner glauben wird.


Mittwoch, 10. November 2004

stiefel und nylons

sie schmiss sich in der bahn geräuschvoll auf den 4er-sitz direkt rechts neben mir, und das erste was ich von ihr wahrnahm waren ihr hohen stiefel und ihr stolz.
sie selbst war unauffällig, langweilige haarfarbe, irgendetwas rausgewachsenen mit aubergine-anteil, triste frisur, viel zu viel make-up, angedickte hüften und unförmiger hintern in stretchjeans. aber all das war drittranging, weil sie hatte neue schuhe, das war deutlich spürbar, die luft brannte, während sie mit den absätzen auf den boden tippte.
tack-tack-tack.
ihre stiefel hatte sie neu, ganz sicher. sie wird in einem schuhladen gestanden haben, auf der suche nach soliden winterboots, irgendwas warmes und in beige, die gibt’s ja gerade oft, die sind in diesen winter.
und dann blieb sie vor diesen stehen, genau vor diesem paar. es wird ein 20% rabatt schild in orange an der seite gehabt haben, und sie haderte, ob sie und wie sie und wozu tragen? ihr wird dieser eine kollege eingefallen sein, dieser dunkelhaarige aus der abteilung neben ihrer. sie wird sich seinen blick vorgestellt haben, wie er ihr mit seinem blick durch den gang gefolgt wäre, tack-tack-tack , die phantasie an den absätzen, tack-tack-tack.
er hatte sie nie länger wie nötig angeschaut, aber mit diesen stiefeln könnte sie das ändern.
all das wird ihr durch den kopf gegangen sein, während sie still das rabatt-schild zwischen ihrem daumen und zeigefinger gedrückt hätte, ihre mutter im ohr, das wäre doch alles nuttenzeugs, so was trägt ein mädchen nicht, das etwas auf sich hält. dann der ruck, raus aus den beigen tretern, das kalte leder an den nackten waden spüren.
sie wird aufgeregt gewesen sein, als sie den langen reißverschluss centimeter für centimeter hochzog, sie wird es gemerkt haben, dieses gefühl, etwas anzuziehen, was eindeutig ist, einen zweck erfüllen soll, vielleicht das letzte ist, was sie einmal anlassen soll, wer weiß.
dann wird sie schnell den zweiten angezogen haben, dieses unsichere gefühl beim aufstehen, die absätze zu hoch, sie trägt doch nur flach, ansonsten. ein paar schritte, einmal den gang zwischen den anderen frauen hindurch, die ebenfalls mit gebückten rücken auf kleinen sitzmöbeln hockten, schuhe und taschen um sich verteilt, die haare im gesicht, rote wangen, weiberglück schuhkauf. sie wird unsicher gelaufen sein, die fesseln hatten nicht den gewohnten halt, wackelten ein wenig, und ihr wird diese artikel in der zeitung einfallen, dass männer frauen in hohen schuhen aus zwei gründen anziehend fanden, der unsichere gang und der hochgestuppte hintern, stammhirn-alarm, alle mann an deck.
sie wird den preis überdacht haben um zeit zu schinden, 20% rabatt von 79,00 euro, und verdammt, werde ich jemals mehr als fünf meter am stück würdevoll in diesen teilen laufen können ? ich könnte ja auch sitzen bleiben, schuhe zum herumsitzen, was solls.
noch ein paar momente wird sie gehadert haben, beide stiefel ausgezogen in den händen wiegend, ihre körperwärme noch im material spürend, und dann auf socken zur kasse gegangen sein, ja, ich lass’ sie gleich an, danke.
beim zweiten mal anziehen war es dann fast schon vertraut, leder auf haut, zurechtgedrückter jeansstoff unter dem leder, ihrem leder, frisch erbeutet.
tack-tack-tack. Sie fühlte sie wie die hure der fussgängerzone, attraktiv und unnahbar, die stiefel waren eye-catcher und schutz in einem. alle schauten sie an,
tack-tack-tack.

als sie ich sie einsteigen sah, fiel mir ihr stolz auf, ihr stolz auf ihre stiefel. Der stolz machte sie selbstsicher, und das machte sie auf ihre art sexy. sie schlug die beine so übereinander, dass jeder sie sehen konnte, während sie mit glühenden wangen wohinauchimmer fuhr. und ich sass da und musste an früher denken, an meine ersten stiefel, an meine erste lederhose, an wäschekauf in erotik-shops, weil woanders gab es die klamotten nicht, die frau vor gefühlten 120 jahren in der schwarzen szene anzog. dünnes leder, latex, gummi, hohe stiefel, schwarz und eng. das material ist kalt wenn man es anzieht, ungemütlich und verursacht mindestens drei mal gänsehaut. nach ein paar minuten nimmt es die körpertemperatur an, heizt diese noch zusätzlich auf. sie wird warm und geschmeidig, dehnt sich wie das ego, beides wird warm miteinander und es fühlt sich einzigartig an, zweckgebunden, nur für den abend, ausgehen. tanzen. zeigen.
tack-tack-tack sie stieg aus und stolperte, hielt sich am erstbesten menschen fest der in greifbarer nähe stand, und es war ein mann, und er lächelte ihre stiefel an, und sie lächelte ihn an, und dann verschwanden sie aus dem sichtfeld, und ich kuschelte mich gemütlich und warm in meinen schlammfarbenen mantel, und sah mich in der fensterscheibe grinsen, weil ich heute noch nicht einmal kunstfasern und plastik in pullovern dulde, und nylons nur unter stiefeln - aber das hatten wir ja schon.


Freitag, 10. September 2004

der schlüssel, die klemme, das klo und ich

am ende sah es so aus, dass ich, nur mit panties und bh bekleidet, auf den knien vor der kloschüssel hockte, und meinen rechten arm in dieser stecken hatte, als der hausmeister die bildfläche betrat.

wie es dazu kam?
relativ schnell erklärt, eigentlich.
mittagspause, fitnessstudio, alles gewohnter ablauf, an diesem tag mit sonne und guter laune.
ich war höchst motiviert, meine schweinehündin ließ ihr strassband in der sonne glitzern und der kleine kinski sang ausgelassen in meiner sporttasche.

im studio selber herrschte donnerstägliche ausgelassenheit. die beiden ukrainischen boxer waren schon durchgeweicht, die trainer chillten draußen in der sonne mit pasta und schorle, in der halle lief salsa-zeug, und ich tänzelte mit ausfallschritten in richtung umkleide.

an dieser stelle lasse ich jetzt mal 1,5 stunden weg, in denen ich 30 minuten mehr up-statt downhill fuhr, anschließend durch ein kleines weltmeer ruderte, den achselschweißfleckencontest gegen die boxer verlor, wie ein sack nasser muscheln in einem gerät hing, dessen namen ich noch nicht mal weiß, und mir auch sonst recht rotwangig aus den spiegeln entgegenguckte. der schwefelkerl und das propellerweib klammerten sich derweil draussen an der schweinehündin fest, die wie schmitz katze über die wiesen rannte, sich laut junxend auf dem rücken schubberte und vor zwei rüden billig mit dem arsch wackelte.

als mir mit blick auf die uhr meine arg überdehnte mittagspause wieder einfiel, ging ich in die umkleide und trank auf dem weg dorthin knapp zwei liter wasser, mein bauch meldete hochwasser, die blase gleich mit. trotz- oder gerade wegen dem tänzelte ich weiterhin zu den salsa-beats, die laut aus den boxen kamen.
den nicht vorhandenen fön, der an diesem tag nicht in der für ihn angebrachten halterung hing, den bemerkte ich nicht.

arschwackelnd raus aus der trainingshose, das verschwitzte shirt riss ich mit schwung hinterher, trocknete mich damit erst einmal halbwegs ab, während ich weiterhin dem lied folgte. jeder, der schon mal alleine in einer großen umkleidekabine war, kennt das gefühl des platz habens und unbeobachtet seins. hoffe ich. also nutzte ich völlig frei von allem die gunst der minute, und inklusive einiger echt gelungenen drehungen erreichte ich samt salsa-schritten die nasszelle, die toilette, das klo.
nun ist es in diesem studio usus, dass man zu beginn ein vorhängeschloss ausgehändigt bekommt, an dem ein kleiner schlüssel hängt. dieser klitzekleine schlüssel wiederum ist an einer kleinen, bunten metallklemme befestigt, die man sich total nett an sein shirt, an seine hose, oder woran auch immer klemmen kann, während man trainiert. man macht klemm-klick, und muss sich um diesen winzig kleinen schlüssel keine gedanken mehr machen. mache ich mir in der regel auch nicht. nur gestern, da war das ein wenig anders. der klemmmechanismus wirkte ein wenig ausgelatscht, die klemme wollte nicht so wirklich richtig fest zuschnappen. beim training flutschte sie mir einmal halbwegs ab, ich sah es grad noch rechtzeitig und dachte ein laffes "puh.", mehr nicht.
doch in diesem moment, als ich grad mit einem mal so richtig tollen bouncer mein shirt über dem kopf rotieren ließ, da machte es ganz ganz leise *plitsch*, kaum zu hören gegen die musik, aber ich hörte es in diesem moment überlaut.

*plitsch*

in einer halben sekunde war ich am klo, auf den knien und sah, wie dieser winzigkleine schlüssel mitsamt metallklemme durch das rohr schlingerte, richtung kanalisation, richtung rhein, richtung ozean, raus halt. freiheit. es bedurfte einer weiteren millisekunde, in der ich den inhalt des spindes, der durch das vorhängeschloss geschlossen wurde, zu dem nur dieser winzigkleine schlüssel passte, kurz überschlug und feststellte, dass alle (!) klassiker wie haustürschlüssel, portemonnaie mit allem, handy und eine tafel schokolade mit kaffeebohnen drin in der tasche sind, von meinen klamotten mal ganz abgesehen.
und just in diesem moment, als ich beherzt "scheißenocheinsneeeeene" dachte und meinen rechten arm ins klo steckte, um die metallklemme noch am wickel zu packen, hörte ich in meinem nacken aus herrenkehle ein leicht irritiertes "junge frau, wat machen SIE denn da aufm boden?".
als ich mich zu tode erschrocken umdrehte, stand hinter mir der hausmeister, der einzige mann, der zu diesem bereich zutritt hat. und in seiner hand hielt er den fön, den er repariert wieder in seine halterung stecken wollte.

und ab diesem moment steckten wir beide in einer echt blöden lage. ich, in unterwäsche auf den knien, einen arm im lokus versenkt, er, im blauen kittel mit dem fön in der hand, beide mit leicht violetter gesichtverfärbung, augen weit aufgerissen.
" was erlauben...was MACHEN sie hier eigentlich ? sie dürfen hier nich' rein, nur wenn keiner da ist." versuchte ich meine blöde lage zu retten, oberwasser und so. gut, der mann ist um die 100, aber darauf wollte ich jetzt nicht rumreiten.
" ich hab' nichts gehört, weil diese busch-musik so laut is, hia ..." maulte er, steckte den fön in die halterung, brummte sich in den kittel und ging, ohne weiter zu fragen, ohne sich zu sorgen, ob ich denn unter umständen von der gemeinen toilettenschüssel gefangen gehalten werde.
ich griff ein letztes mal ins ungwewisse, packte die klemme, wusch mir danach knappe 5 minuten lang den arm blank, zog mich um und rauschte draussen am hausmeister vorbei, ohne ihn noch eines weiteren blickes zu würden. er ignorierte mich ebenfalls, wir hatten jetzt quasi ein süßes geheimnis.
an der theke gab ich das schloss mit den worten "gebt das mal dem hausmeister zur reparatur, das ist langsam altersschwach." ab, und ging nach draußen, in die sonne, mit salsa im blut, kloreiniger am arm und dem kleinen kinski in der tasche, der vor lachen keine luft mehr bekam.


Dienstag, 7. September 2004

im kontra mit kinski

da stand ich dann an der kasse, die objekte meiner gier in beiden händen haltend. eine ananas, spitz und zuckrig duftend, ein liter pfirsich-maraquja-eis im topf, mit eisblumen seitlich.
vor mir dieser elendige kerl, der mit seiner asbach-flasche in der hand schon durch den halben supermarkt nach augenkontakt gerungen hat, und jetzt mir und meiner ananas vertraulich auf die pelle rückt.
schnell schmeisse ich das trennholz zwischen seine und meine einkäufe, damit die grenzen gleich um so klarer gezogen werden - in meinem viertel muss das.
ich starre also auf mein eis, welches sekündlich an eisblumen verliert und auf fräulein schieber, welche stoisch und mies gelaunt die waren über den scanner wuchtet. die flasche asbach, die flasche froillein-glück von den ruinen-geistern, das goldbarschfilet, die ...
"macht vierzehnneunundachzisch" gähnt das fräulein, und dem angegähnten bricht auf der stelle der schweiß aus.
"oh...äh...ähm...ich...hhaha...ich...ich hab nur...moment, ich mein, bin ich blöd? bin ICH BLÖD?" gackert er und wedelt komisch mit den armen, während das fräulein schieber, ich und der rest der mittlerweile 6 meter langen schlange auf sein portemonnaie glotzen. er dreht es um, schüttelt es, aber kein cent mehr fliegt aus dem kleingeldfach, nur der zehn-euro-schein schwebt in richtung meiner ananas. er schwitzt, fräulein schieber schwitzt, mein eis schwitzt, und ich überlege kurz, ob ich schon mal die wartezeit mit dem finger in der leckeren, kalten pampe überbrücken soll, als fräulein schieber der dienstägliche kragen laut und deutlich platzt.
" na watt denn nu, storno oder haste noch wat inne taschen, hä?" blafft sie ihn an, und kappt somit jeglichen willen seinerseits, noch irgendwo nach geld zu suchen. er schweigt, wir alle schweigen.
mittlerweile ist die schlange bis hinten an der frischfleischtheke angelangt, genervte gespräche entstehen, die meute hat keine lust mehr, gelüstet nach rache.
" jetzt mach do mal hin, da vorne..." baut sich eine rüstige hundertjährige in der mitte der schlange auf, und da will keiner widersprechen, man hat ja schließlich nicht ewig zeit.
von ihm ist mittlerweile nur noch eine feuchte pfütze im hemd übrig, seine einkäufe und fräulein schieber, die ihn böse anschaut, und drohend mit einem trennholz ein lied antaktet, welches nur sie allein hört.
er tut mir leid, ich vergesse seine dumm-plumpen augenaufschläge, die erst minuten zurück lagen, und lächle ihn breit an, während mein eis ihm folgt, und einfach wegschmilzt. ich und die ananas halten die stellung und plötzlich höre ich ein lautes kichern aus meiner tasche.
>>du bist zu weich für diese welt, weib!<< donnert es gut betont aus meiner tasche, die sich aubäumt.
ich stöhne innerlich auf. ein unauffälliger blick in die tasche, und ich weiß, dass ich sie schließen muss, noch bevor das theater erst richtig losgeht. der schwefelkerl hat gesellschaft bekommen. das hat frau davon, wenn sie sich wochenlang mit kinski auseinandersetzt, sich durch seine gesamten ergüsse liest, bildbände guckt, filme guckt, interviews liest. da hat man schnell mal einen kleinen kinski am hals, oder wie ich in der tasche. ich mache alle drei magnetverschlüsse fest zu, und lächle einfach mal so in alle richtungen.
mittlerweile sind drei frauen in der schlange die krägen geplatzt und fräulein schieber schreit nach dem leiter des supermarktes, der gefühlte zwei stunden später quer durch die regalreihen gerannt kommt. er schnauft, hat fleckige wangen und das hemd halb offen, halb falsch zugeknöpft. alle rücken auf, um ihn besser sehen zu können.
"so, wat ham wa denn,hm ?" ruft er fröhlich aus, und unterdückt dann doch das in die hände klatschen, welches er ansatzweise schon begonnen hat.
"storno...der hat zuwenig jeld dabei." sagt fräulein schieber, und guckt beifallheischend in die runde. die menschenschlange grinst gemein, alle sind mucksmäuschenstill, keiner will was verpassen.
>>der hat im kühlhaus gevögelt, die sau, dem hohen stiez der azubine in ihrem billigen mini hat er nicht mehr standhaft gegenüber stehen können, da stand...<< schaffte es der kinski in der tasche grad noch, bevor ich einmal kräftig gegen die seite boxte. AU! kam es aus zwei empörten hälsen, teufel links, kinski rechts, dann war ruhe.
"himmel, frau schieber, wat machen se denn hier für nen aufstand. kommt er halt später wieder und zahlt den rest."
"ich, ich kann aber später nich kommen, schon gut, aber danke." sagte der flüssig gewordene kunde und wedelte zahlungsfreudig mit dem zehner vor der nase des marktleiters.
der grinste satt, verlor langsam die hektischen flecken im gesicht und zog die flasche asbach, das goldbarschfilet, das froillein-glück von den ruinen-geistern ...eins ums andere storno, storno, storno.
jetzt, wo alles von höchster stelle geregelt wurde, wich die mordlust aus den gesichtern der frauen, die nur mal eben noch schnell einen becher sahne brauchten, ich bezahlte ananas und eis, unterdrückte plump-vetrauliche anspielungen auf falsch zugeknöpfte hemden und verließ eiligen schrittes den kontra-markt, während in meiner tasche laut gröhlend villon's ballade von der ewigen unzufriedenheit zitiert wurde...

(...) Zuletzt hat auch Villon schon mancherlei
erfahren, was wohl mit der Liebe sei.
Er war zum Beispiel in Margot verknallt,
die liebte ihn mit Lüge und Betrug
und lockte ihn in einen Hinterhalt,
wo man ihm alle Knochen blutig schlug.
Da lag er wie ein Frosch im faulen Stroh
und wurde nie mehr seiner Liebe froh.

seemannsgarn | © Lu um 23:20h | keine meldung | meldung machen?

Montag, 6. September 2004

mittags im espresso, oder "braune suppe"

ich sah sie reglos auf der oberfläche treiben.
kurz meine aufmerksamkeit umgelenkt, das telefonat rückte ein stück weit weg, während ich einen finger in die espressotasse hielt.
sie zappelte kurz, begriff, und griff zu, die kleine quälgeist-fliege, die noch eine stunde zuvor mich und meine pasta-ration umsegelte, dass mir ganz wirr im kopf wurde.
während ich weiter telefonierte, setzte sie sich zappelnd auf die mitte meiner handinnenfläche, und ich pustete ihr gegen die kleinen flügel, klemmte den hörer zwischen ohr und schulter, um beide hände frei zu haben. im espresso war eine brisante ladung zucker, sie wirkte klebrig. ich nahm den deckel der evian-flasche ab, kippte vorsichtig ein bassin voll wasser hinein, und stupste die arme hinterher, zwangsbaden. aber sie hielt still, schien mir zu vertrauen. ließ sich kurz durchs wasser ziehen, ausserdem konnte sie noch stehen. dann wieder eine fingerspitze als leiter hineingehalten, den hörer ans andere ohr geklemmt, weiter zugehört, weiter trockengepustet. die beine hingen schlaff, der rüssel ging hektisch an meiner hand entlang.
"sag mal...wie viel koffeein vertragen eigentlich gewöhnliche stubenfliegen ?" hörte ich mich fragen. "bitte WAS ?" kam die antwort. ich ging nicht näher drauf ein, hörte weiter dem monolog zu, pustete nun den rest der überkoffeinierten fliege trocken.
während ich das tippe, rennt sie meinen nackten arm brummend rauf und runter, rauf und runter, und ich mache mir ein wenig sorgen, ob sie das alles ohne folgeschäden hinbekommt.
ja ja, ich weiß, aber einer meiner absoluten grundsätze ist :
respekt allem leben gegenüber

( ausnahme : diese beiden jungen baustellen-hiwis heute morgen in der bahn, welche übels braun angehaucht über alle kollegen hetzten, sie wegplanten, intrigen schmiedeten, kaum aufrecht gehen konnten, und statt einem hirn eine kleine, dürre wasser-zyste ans rückenmark gekoppelt mit sich herumtragen... nebenbei hatten sie die übelsten schweißmauken ever, aber hey, ich möchte nicht mies erscheinen. )