Donnerstag, 13. April 2006

sie mit ihm.

Sie zurrt den Kajal enger um das Auge, malt aus und über, zieht die Konturen der Lippen nach und schließt keine Minute später lautlos die Tür. Kalter Wind, eine klare Nacht, in einem nahen Hinterhof bellt ein einsamer Hund Schatten an.
Wenn er kommt bin ich weg, denkt sie, zieht die Jacke enger und läuft. Natürlich wird er dort sein, der ganze Mann, komplett in schwarz gepackt. Er wird sie sehen, sie werden sich auf den Boden setzen und ineinander verstricken, den ganzen Rest der Nacht. Tauschen, fühlen, gehen.
Am Morgen wird sie ihn an ihrem Shirt riechen, den ganzen Rest des Tages. Das Gefühl welches er ihr mitgibt, das kann sie nicht abwaschen. Und sie würde. Es schmerzt, es haftet, es geht mit ihr mit. Nach ein paar Tagen schwächelt es aprupt, ab dann wird sie süchtig. Sie will es zwischen ihren Zähnen haben,
darauf beissen, es spüren und schlucken, verinnerlichen, anhalten und ausscheiden.
Einmal durch und dann weg, das scheint ihr eine einzige Möglichkeit.

Er steht an der Mauer, schwarz an Beton. Sie sieht durch ihn hindurch, läßt sich ziehen, sinkt in ihn hinein, verschlingt sich. Kein Centimeter Platz zwischen ihren Hirnen, eine perfekte Idee an Worten, ein Mensch wie flüssige Schokolade, eine Seele wie Opium.
Sie legt ihre Wange an seinen nackten, warmen Hals und ihr schwarzer Kajal überschattet eine Fläche seiner Haut, setzt ein Mal und verschwindet exakt eine Stunde nach ihr in einem Schwall Wasser. Sie liegt betäubt in seiner Welt, er schaut angetan von dieser Nacht, beide sind glücklich an sich.

Später dann. Er hängt das Handtuch an einen kalten Haken aus abgeliebtem Metall, sein Hals sauber und die Nacht hört just in diesem Augenblick auf. Sie liegt entfernt von ihm sehr kalt in ihrer Decke, braucht kein Shirt mehr für einige Gedanken an ihn, ist in Gift aufgegangen und geht jetzt langsam unter, atmet aus und schläft ein.


Mittwoch, 14. Dezember 2005

juli & mars, oder warum juli nicht "hi" sagte.

[auf den letzten drücker mein kleiner beitrag zu don alphons DADA und DALI award 2005 ]

Der regen war draussen, die tropfen finden sich in der mitte der scheibe, verbinden sich zu etwas großem und schwimmen den rest nach unten gemeinsam.
sie, wir nennen sie einfach mal juli, stand drinnen, gepfercht wie in einem zwinger, so würde sie später situation und lage am telefon beschreiben.
die scheiben im bus waren beschlagen, die welt draussen nur durch spektralfabene lichtreflexe in den rinnsalen an der fahrerscheibe und an den geräuschen zu erahnen. irgendwo weiter hinten sassen jugendliche mit knoblauchpizzen, der ganze bus wurde aromatisiert, schals vor empfindliche nasen gedrückt, missmutige, vielleicht auch hungrige blicke nach hinten verschickt.

warum ich, warum hier, warum nicht alles woanders, fragte juli sich, und bekam auch prompt keine antwort, wie sie es von sich gewohnt war. antworten, die hatten die anderen, sie nur die fragen. plötzlich die stelle, an der es bei regen besonders in den scheiben funkelte, der weihnachtsmarkt, der umfahren wird. die bustüren öffnen sich wie pforten, mandelduft, bratwurst und glühwein, alles huschte in den bus und kämpfte gegen knoblauch und den geruch nach nassen mänteln.
er stand direkt am stand vor der offenen bustür, und er sah sie in genau dem moment in ihrer sardinenlage, in dem der bus mit einem lauten seufzen aufgab und sich ausstellte. ein kurzes vibrieren, ein hüpfer, ein seufzer aus dem auspuff, dann stand er still und wirkte ein wenig ausgelassen. fragende gesichter der sardineninsassen, böse worte, feirabendgroll und ein augenpaar, welches nur eine kleine sache tat, und zwar den blick von aussen auffangen.
mars sah juli, juli blickte zurück und das karussell neben ihm fuhr eine extrarunde, aber das merkte keiner der beiden. überhaupt merkt ja nur selten jemand, wie sehr maschinen und geräte dem zauber der liebe verfallen sind, die romantische seite derer, denen noch nicht einmal eine seele zugemutet wird, aber der mensch an sich, er braucht sie und ihre angeblichen ausfälle, ist doch der bus der wahre amor dieses abends, und kein dicker engelsbub mit nacktem hintern und dem letzten pfeil in seiner hand.
aber gehen wir zurück zu juli und mars, die sich unbekannterweise neugierig anschauen, mit einem gefühl in der bauchgrube, das auch mit einer verstimmung bezeichnet werden könnte, je nach lage und grund. juli dachte, das er schöne haare hat, dunkle locken die scheinbar mit dem schal um die gunst des nackens kämpfen. das karussell lässt schnellstens seine hellen lampen ausfallen, um die macht der sekunde nicht nur zu nutzen, sondern schonungslos zu potenzieren, so dass sie mars, kaum erblickt, in einem neuen licht sieht, umrahmt, böse zungen würden sagen, kitschig in szene gesetzt. aber es ist ein erster eindruck den man behalten könnte, für später, für die geschichten, für die freunde, denen man zu silvester beim bleigiessen dieses erste treffen erzählt, und warum man immer nur kleine bleibusse giesst, denen die technik ausfällt.

mars, den wir just in diesem moment in gedämpften licht sehen, hat leider keine hand frei um a) arglos in julis richtung zu winken, oder b) hilflos, wie juli in diesem moment, mit der hand in der jackentasche ein taschentuch zu wringen. so steht er da, eine ahnung, was michelangelo damals meinte, links eine gestreifte papiertüte mit gebrannten mandeln, und rechts sein handy, noch ohne julis nummer, aber dennoch vibrierend.
sie sahen sich an. etwas knisterte, mars dachte an seine mandeltüte, juli an die brötchenrtüte in ihrer tasche, keiner kam auf den anderen und die luft drumherum. sie stand immer noch im bus, er meter entfernt draussen, die maschinen warteten, leicht verärgert, keinen pfeil zur hand zu haben.
ihnen geht es zu langsam ? sie möchten gleich hier und jetzt ein happy end, zwei getauschte telefonnummern, das noch vor weihnachten, damit wir uns vorstellen können, juli und mars kaufen schon nächste woche wilden lachs, limetten und frische äpfel für weihnachten ein, während die stadt einschneit, und sie gäben sich endlos verknallten küssen an supermarktkassen hin und verbrächten ein leben wie jeder andere auch ?
nein.
ein bus gibt nicht umsonst einer ausserfahrplanigen pause nach, ein karussell dimmt nicht mal eben seine elektronik, wenn es nicht um etwas ginge, um etwas hohes, um liebe nämlich.

während in mars papiertüte die mandeln kalt werden, überlegt juli konzentriert, was jetzt zu tun sei. sie denkt an ihre lebensjahre samt aller erfahrungen was männer angeht. zeitraffer an, wir sehen mikel, thomas, andy, henning und, jetzt war es an der zeit etwas kleinlich zu werden, sie nahm ihren schulfreund luca-maria auch noch mit in die illustre runde, schließlich ging es um knallharte statistik. und da sie bis auf luca-maria, der relativ neu in deutschland noch alles und jeden mit einem "ciao" versah, alle bei ihrem kennenlernen mit einem "hi" begrüßt hatte, das "hi" scheinbar eine eintrittskarte in zukünftige ex-beziehungen zu sein schien, beschloss juli in diesem moment, nie wieder "hi" zu einem mann zu sagen. und weil ihr klar wurde, das diese entscheidung die eine tür schloss, und eine neue öffnete, bekam sie auf der stelle angst vor der eigenen courage, und dachte sich, dass es vielleicht klüger wäre, überhaupt nie wieder mit einem vertreter dieser spezies zu reden, auf ewig zu verstummen und einfach nur noch dazustehen wie jetzt, und diesen jungen mann anzuschauen, wie er ...

wie er, einerseits aus verlegenheit, andererseits sein bauchgefühl als hunger fehlinterpretierend, die tüte mit den gebrannten mandeln an den mund führte, juli dabei weiterhin fest in die augen sah, sich mit dem mund eine mandel herausfischte und sie zwischen den zähnen mit einem zuckrigen knack zerbiss. er wusste in diesem moment noch nicht, dass er seine kompletten noch folgenden erdenjahre nie mehr ohne den gedanken an juli, wie sie in dem bus stand, mit leuchtend roter nase und einem verwirrten blick, gebrannte mandeln würde essen können. kaum vernahm sein hirn den zuckerknack, spulte es das band *juli ab, und er nahm es als jährlich wiederkehrendes, süsses schicksal zur weihnachtszeit.

mars ass also, und juli sah ihm dabei zu. was weder mars, noch die menschen um ihn herum wussten, war, dass juli, heute morgen noch in einem wartezimmer den gesammelten theorien der frauenzeitschriften fröhnend, einen dreiseitigen artikel über wie-männer-was-essen-und-was-das-jetzt-wieder-bedeutet gelesen hatte. gebrannte mandeln wurden dort nun nicht unbedingt besonders erwähnt, aber es wurde unterteilt in sinnliche, praktische und in fresser. juli strauchelte kurz in betrachtung und einteilung. war der gelockte unbkannte nun sinnlich oder fresser, oder am ende ein mischtyp ? sinnlich wäre toll, dachte sie weiter, während sich das taschentuch in ihrer folternden, warmen hand in seine bestandteile auflöste. juli hatte ihr leben lang immer nur fresser, die, egal was juli, ihre mutter oder giacomo, der ungekrönte italiener der stadt ihnen vorsetzte, alles mit einem gesicht der notdurft hinunterschlangen, die serviette zum naseputzen nahmen und mit einem "so!" jede mahlzeit, und, wie sich später herausstellen sollte, auch jeden kinofilm, jedes buch, und : jeden sex beendeten. "so!"
aber der mann dort drüben, der seine aufmerksamkeit nun zwischen ihr und seiner papiertüte aufteilte, der schien nichts zu sagen, keinen ton.
ich sollte hingehen, dachte sich juli, ich sollte hingehen, bloss nicht "hi" sagen, mir eine mandel nehmen, und warten, ob er "so!" sagt, wenn er mit der tüte fertig ist. und dann entscheiden.
"geht’s da vorne langsam mal weiter ? ich habe hunger!" kommt eine viel zu burschikose stimme aus einer sehr zarten oma, sitzreihe zwei.
"ich auch!" irgendwo hinter juli. niemand gab seinen platz auf, die sardinenlage lockerte sich um keinen centimeter, nur die jugendlichen, im grunde waren es gerade mal zwei, ein er und eine sie, beide bissen an den gegenüberliegenden enden ihrer pizza, der käse zog sich lang, es lag etwas in der luft, das schwerer war als knoblauch und trocken-oregano.

"ich weiß ja auch nicht..." der busfahrer seitlich des motors. ein beherzter griff des fahrers, ein
aufheulender laut des busses, mars wirkte in der darauffolgenden sekunde sehr unzufrieden und juli bekam den teint eines salzcräckers. was, wenn die türen schlossen, der fahrer sich in seine sitzmulde gleiten liess, den bus startete und wegfuhr ? wie lange würde der mittlerweile für juli fast wichtig gewordene junge mann, der auch noch sympathisch, attraktiv, ach was, dachte juli, zum anfressen war, dort an dieser stelle verharren und auf sie warten? wie lange reicht eine gestreifte papiertüte voll mit gebrannten mandeln zum überleben ? wie lange bräuchte sie, um zu hause eine art schnell-restaurierung vorzunehmen, ihre haare in den griff zu bekommen, ansatzweise phantastisch und gegen die mandeln anduftend wie zufällig wieder seines weges zu kommen, nicht "hi" zu sagen, und ihn ... was eigentlich ?
gut, schnelldurchlauf die zweite, die was-wäre-wenn reihe, archiv hinten links. wir spielen den abend ab jetzt durch > klappe, abend die erste!

juli steigt aus dem bus, stellt sich wie zufällig neben mars, bemerkt nicht die exotische schlange an der indischen weihnachtsbude direkt neben sich und wird von einem männlichen prachtexemplar einer ungiftigen spezies durch den mantel in ihren unterarm gebissen. mars ruft "lassen sie mich durch, ich bin arzt" zu den nicht zwischen ihnen stehenden menschen, nimmt ihren arm in beide hände, streift juli den handschuh ab und den ärmel hoch und sieht ihre feine gänsehaut, die sich von dieser stelle am arm über ihren ganzen körper zieht. ein dünner faden blut bahnt sich seinen weg durch die aufgestellten, feinen härchen, mars befeuchtet sich die lippen, nimmt ihr fleisch zwischen beide lippen und saugt das nicht vorhandene gift und sämtliche gegenargumente aus ihr heraus. juli währenddessen kann nicht glauben was sie sieht, bekommt zittrige beine, sagt "so!" und wird ohnmächtig.

schniiittt! furchtbar, so soll es nicht weitergehen.
klappe, abend die zweite bitte !

juli steigt aus dem bus. mars ist von ihrem entknautschten anblick so gefesselt, dass er die in seinem mund befindliche mandel unbeachtet und unzerkaut herunterschluckt. sie bleibt kurz hinter seinen tonsillen stecken, hadert wie beim flipper, ob sie rechts oder links will, entscheidet sich für die luftröhre, tillt und bleibt stecken. mars röchelt kurz, juli bemerkt es und ruft in die nicht vorhandene menschenmenge " lassen sie mich durch, ich bin ärztin!"
sie fängt ihn auf, sinkt mit ihm zu boden, legt eine hand in seinen nacken, und denkt, dass der schal und die weichen, dunklen locken jetzt konkurrenz bekommen, im kampf mit den nacken.
sie sehen sich an, ihre nackten hände in seinem nacken, eine sekunde, zwei, er hält still und sie haut ihm im gleichen moment so heftig in den rücken, wie sie ihm ihre lippen auf seine legt, vorbereitet, falls er luft bräuchte.

schniiiiitt! geht’s schlimmer ? dritter anlauf, jetzt aber bitte mit konzentration.
klappe, abend die dritte, ruhe bitte!

juli denkt, das könnte ihr schicksal sein, während das karussell die jukebox manipuliert und
dean martin lossingt. sie schraubt sich aus der sardinensituation des überfüllten busses, klopft sich den mantel glatt und wird unschlüssig, während mars das gefühl eines pfeiles in der rechten schulter hat und die tüte mit den mandeln sinken lässt. sie sehen sich an, sie denkt an schlaflos in seattle, er, das sie bitte keine tchibo-unterwäsche trägt und beide kommen sich näher, schritt für schritt, und wir sprechen hier von centimetern.
können sie sehen, wie langsam sie läuft ? können sie auch sehen, wie die luft dichter wird, der bus den atem anhält und die wolkendecke aufreisst ? ein sternenhimmel leuchtet über ihnen, als sie vor ihm steht, noch einmal tief luft holt und mit fester stimme und amok laufender seele den mund öffnet und ein "hey" haucht, welches formvollendet und schillernd in seine richtung schwebt, kurz inne hält und ihn dann betäubt. "hey" sagt auch mars, eine oktave tiefer als seine telefonstimme, aber das merkt er nicht, das merkt sie nicht, das wissen nur wir, die stillen beobachter.
juli. ich bin juli, sagt juli, und an dieser stelle lassen wir die beiden alleine, schauen noch einmal kurz zu dem bus, der anspringt und einen erleichterten fahrer aufnimmt, sehen, dass das karussell wieder auf normalbetrieb schaltet und wenn wir uns auf die zehenspitzen stellen, und einmal über die menge schauen, dann sehen wir dort hinten juli und mars, wie sie die seitenstrasse hinuntergehen, einzelheiten aufsaugend, sich ansehend.
wir hatten beide rote nasen, werden sie später sagen. aber das dauert noch.


Freitag, 2. Dezember 2005

Auf ein Ende.

Es kann nicht sein, sagte er, Geh weg, geh einfach los und hau ab, Geh!
Sie sah ihn an, und das lange genug, um 12 Jahre später auf die Frage einer flüchtigen aber lieb gewonnen Bekannten, die zwei weitere Jahre später eine echte Freundin werden sollte, in dieser kleinen Berliner Küche in Neu-Kölln, als sie sich ihr Shirt hoch und den Rock herunter zog, als sie also auf die Frage, ob er wenigstens schöne Augen gehabt hatte, mit
Ja antworten konnte. Ja, die hatte er. Braun, grün, so halt.

Aber es ist ja zwölf Jahre zuvor, die Nacht nass und beide haben Hunger, aber so Sachen wussten sie nicht mehr voneinander. Sie wusste auch nicht von vorhin, dass er genau vier Stunden und zweirundvierzig Minuten zuvor noch seine Brieftasche hat aufklappen lassen, bei dieser demütigenden Situation in diesem Drogerie-Markt, als ihn dieses runterbringende Ding an der Kasse mit abgenutztem, zu rotem Lippenstift diesen kleinen Moment zu lange anlächelte, und er liess die Brieftasche genau so aufklappen, dass diese Schmatze ihr Bild sah, mit einem feinen Netz überzogen, direkt neben VISA und der HEJ-Karte.
Als er seine vier Dinge in eine der umsonst aushängenden Plastiktüten packte, machte er sich Gedanken über ihre wirklich andere art. Sie passte nicht in sein Denken, war zu lebendig, und genau das war es, was ihn später Geh weg! sagen liess.
Sie machte ihn zu etwas, was er nicht kannte, sie miaute beim ficken, stapelte Klopapier zu türmen und klaute für ihn im Supermarkt seine Fachzeitungen, die er sich nie leisten wollte. Da stimmte etwas nicht. Er war nie mit Frauen zusammen, die er wirklich unglaublich fand.
Geh, sagte er genau deshalb, Geh einfach los und hau ab.
Und als sie ihn wie oben beschrieben sehr lange ansah, da dachte sie an die Zeit nach ihm. Sie wußte in diesem langen Moment noch nicht, das er der letzte Mann war, bei dem sie sich zu Hause fühlte, deshalb verspielte sie diese ein Liebe lieblos, ungekonnt und zu schnell.
Sie machte nämlich nichts. Sie sagte nichts, sie weinte nicht, keine Schwüre, keine Gnade. Er wollte sie nicht ? Gut, dann bekam er sie nicht. Da draussen, da sind ja viele, und mindestens drei davon sicher richtig, ganz sicher, und keine Augen sahen seinen ähnlich, das war gut so.
Was willst du mit ihm? fragten ihre Mutter und Hanne, die sie gern als Schulfreundin ersten Grades vorstellte, ergab es sich mal, das man Schulfreundin sagen konnte.
Leben, sagte sie damals, und bei Hanne lächelte sie sogar dabei.

Er ist nicht so wie du die Männer magst, sagte sie sich selbst einmal in die Augen, als sie abends in einem Schaumbad mit ihrem Handspiegel diskutierte, wer und ob.
Erträumen, so muss man sich einen Mann, und alles weitere auf das aufwachen schieben. Aufwachen.
Gehen wir zurück zu beiden, als sie noch zusammen und sich gegenüber standen.
Die Luft war so etwas wie dünn, sie sahen sich an und dachten rückwärts. Zwischen ihnen hing eine kleine Liste an Plänen in der Nachtluft, von denen zwar einige abgehakt, aber der größte Teil noch offen war.
Was wird aus Malta?, dachte sie.
Wer bringt sie durch die Nächte? er.
Ein Abwägen der Eitelkeiten, kurz flammte Eifersucht in ihm auf. Sie ist unglaublich.
Einer, der mich will, der sagt nicht GEH, dachte sie, drehte sich etwas zu schnell in die falsche Richtung und setzte den ersten Schritt an.
Es wäre seine Sekunde gewesen, es zu sagen.
Sie wäre stehen geblieben. Sie wäre ein ganzes Leben geblieben, hätte er in dieser einzigen Sekunde, die ihm dafür zur Verfügung stand, etwas gesagt, das sie zum stillhalten gebracht hätte.
Hat er aber nicht. Geh, hatte er gesagt, Minuten zuvor.
Sie ging.

und weg war sie.

Nachts, da drehte sein Hund Freddo sich um, reckte seine Tatzen ein wenig zu theatralisch in die Luft und seufzte tief. Er dachte an ihre kalten Hände, die sie Nachts in der Diele gerne mal durch sein fell schob, auf dem Weg zur Toilette im Flur.
Freddo schmiss sich auf die andere seite, streckte die Hinterpfoten erneut nach oben und mit einem genussvollen Geräusch schlief er sich schnurstracks hinein in seinen Hundetraum.

ein Ende.


Dienstag, 8. November 2005

andere welten.

geh! geh endlich über diese scheiss strasse, um die scheiss ecke, und raus aus meinem scheiss leben, du scheissigstes arschloch aller scheiss zeiten rief sie, und ihre augen fingen ein bißchen an zu glänzen.
jetzt hat sie oberwasser, dachte ich für mich, und antwortete mir, die arme, gleich heult sie los, wenn er erst um die ecke ist.
er bog um die ecke, drehte sich genau kein einziges mal um, und ihre schultern fingen an zu zucken, während sich träne eins aus der verankerung riss.
weg! dieses scheiss arschloch ist einfach weg! rief sie in meine richtung, scheinbar empört, aber eher zu sich selbst.
handtasche auf, handysuche, zitternde finger und eine bebende unterlippe.
mein auftritt, ich griff ein.
sie rufen den da jetzt aber nicht an, oder ?
klar. der kann sich doch nicht einfach so aus dem staub machen, dieser riesen arsch.
er sollte doch …
klar, und wenn jemand sagt, spring von der brücke, dann soll der das auch, oder wie ? soll ich ihnen mal was stecken?
bitte.
der hat mich die letzten zehn jahre nur beschissen, nur. mit meiner schwester hat er es getrieben, während ich mit unserem hasen beim tierarzt gesessen bin. mit meiner besten freundin hat er mich betrogen, während ich arbeiten war, meine möbel hat er verschlissen und auf den hamster von justin hat er sich auch fast gesetzt. er schnarcht laut, er bumst miserabel, er vergisst alles und seine mutter ist die hölle. aber trotzdem … ich kenn es nur mit ihm, was soll ich denn jetzt machen ?
lassen sie um gottes willen ihr handy stecken.


Mittwoch, 19. Oktober 2005

in einer sternennacht.

auf dem balkon, es ist schon dunkel. mein atem dampft und ich halte die arme fest um mich geschlungen, friere. der mond ist keksrund, und ich fühle diesen kreis als loch in meiner mitte.
er kann ihn nicht mehr sehen, den mond und diesen wundertollen herbst. der erste seit 64 jahren, den er scheinbar verpasst. kein anruf mehr, dass er den steinpilz seines lebens aus dem wald mitgebracht hat, und ich ihn zu weihnachten im elterlichen eisfach bewundern könnte, wenn ich dann komme.
momente, wo mir jeder knochen schmerzt, wo ich hilflos mit mir selbst bin, weil mir jede einzelne sekunde durch die gedanken geht, die ich mit ihm ging, bis er starb.
und ich kann die bilder nicht einkleben und ins regal aus dem sinn stellen.

*

der mond, wie er hinter dem hügel am see in den himmel aufsteigt. eine ente quakt und ein hund bellt. ich schließe beim laufen fest die augen. mein atem schneidet, ich bin zu schnell, schinde meine müden beine, trete mich, weil ich lieber im dunkeln liegen würde, reizlos, in einem vakuum. dieses hundebellen, es könnte überall sein.
ich hörte genau dieses bellen nachts in prag, als wir die dunklen strassen zu einer bushaltestelle gingen, tief in unsere warmen jacken versunken. ich hörte es nachts in frankreich, direkt neben dem wald, während ich versuchte, in finsterster nacht die badehandtücher aufzuhängen, die noch herrlich nach salzwasser und sonne dufteten.
ich hörte es als kind, tief in die matratze gedrückt, auf dem hof meiner großmutter, dieses bellen und das gleichzeitige schlagen einer axt die auf holz trifft.
das bellen ist nicht ortsgebunden, aber es passiert nur in der nacht. am tage bellen sie anders, nachts sind die katzen wohl wirklich grau.

*

diese unlust an dingen, die angeblich das salz in der suppe sind. wortnutten. es verpufft, kaum sitzt der erste arsch mit feuchtgeilen pfoten auf seinem bezahlten platz. der glanz stimmt nicht, der 5-minuten-ruhm schmeckt schal, das wahre können könnte doch auf einer ganz anderen bühne… das hier ist die vorhölle, die KITA der netzmenschen. katzengold.
ein schlachtfeld der eitelkeiten. und kaum passiert echtes leben, die liebe nur als beispiel, da wird es zertratscht, vermailt oder in passende sms gepackt, nur für die falschen zugänglich.
der inhalt verbindet, nicht das medium. nicht auf meinem mist gewachsen, aber verinnerlicht bis es kracht.

*

auf der anderen seite diese herzliche affinität zu bestimmten. gedankenmomente, wo mir alle herzkammern schier überlaufen, so phantastisch finde ich die und den, mit all deren geschichten. ich möchte sie behalten für immer, stricke die gedanken, wie wir telefonieren, später, dabei "damals" sagen, mit weißen haaren und einem strunk trauben in der hand. es gibt sachen, die sind für immer, aber sie pflegen es nicht plump daherzupalavern, ziehen sich lieber fein durch das alltägliche.
das schöne : die merken das auch.

*

seltsam, von älteren damen am telefon mit "liebchen" angesprochen zu werden. ich fragte mich, wie mich meine omas und opas jetzt nennen würden, oder generell genannt hätten, hätte ich sie überhaupt je gehabt, oder etwas länger.
ich opa-lose und frühe omawaise. der eine über alle berge, quasi postkoital, der andere im krieg über polen in seinem flieger abgeschossen. er war professor der physik und hätte mir einen adelstitel in den namen gejubelt, wären nicht beide eltern unehelich gewesen. war ja krieg.
die eine oma teilte ihr bißchen butter mit den stadtspatzen und kämpfte ihr kurzes leben lang immer für das recht der tiere, die andere brachte eine sau über die schlechte zeit und dann ums leben. blutsuppe und brot. sie hat der schlag getroffen, es war das erste mal das ich meinen vater richtig heulen sah.
als der erste familienkater starb ging er in den garten zum weinen, aber es dauerte länger. der mensch und seine trauer ist seltsam.

nur mein liebster familienmensch, mein urgoßvater, den alle immer für ein bißchen gaga hielten, und der mit mir im pyjama über den deich in stade ging, der hatte einen spitznamen für mich. es war der erste ausserelterliche, und er war "lütte sprotte", gesprochen "lüdde sprodde".
er wäre ein wahrer freund, würde er noch leben. aber er wäre 107 jetzt, und das wäre absurd.

*

passend zum opa den ganzen tag hans albers im kopf gehabt, fatalerweise ein lied, dessen text mir nicht geläufig ist. so sang ich durchgehend "in einer sternennacht am hafen…" und wußte dann nicht weiter, was zu songus interruptus führte , mit zwanghafter wiederholung dieser einen liedzeile.
üben für später, mit 107. ur-opa malte wär stolz auf seine senile sprotte.

seemannsgarn | © Lu um 00:14h | keine meldung | meldung machen?

Samstag, 24. September 2005

über stade.

und dann gab sich gisela einen ruck.
sie wußte, sie kann fliegen.



Montag, 4. Juli 2005

guss.

die töpfe wackelten unternehmungslustig auf ihren wohnplätzen, die ameisen bildeten hektisch versorgungsketten, die amsel vom baum nebenan zog noch flugs den 8 cm wurm aus der versandeten ecke des gartens. ich mitten drin, zerrte am basilikum und an herrn kowalz, unserem tannenbaum. der zweite donner, merklich lauter als der erste, und mit genuss produziert, da oben. die sat-schüssel der nachbarn ist von polen wieder weggeruckelt, der wind macht sturm, und statt polen empfängt maria nun vielleicht die russen, wer weiß.
es blitzt grell und mir tut keine narbe weh. ich lasse die schuhe aus, hole mein rad aus dem hof, und kann mich am himmel nicht satt sehen.
den ganzen tag schon dieser urlaubshimmel. heute morgen tiefblau mit verhuschten wolken, wind und hitze. auf unserer immobilien-tour versagte einem makler das deo, er ersoff in seinem steifen hemd. überhaupt immobilien und menschen. wenn man wie wir seit monaten dem einen gebäude hinterhersucht, dann lernt man seine stadt von einer ganz neuen seite kennen. nämlich von innen. man bekommt geschichten von badsanierungen erzählt. von dingen, die da ans tageslicht traten, tief unten in der welt der kanalisation. man hört von bruchlandungen, bauchlandungen und mitarbeitern, die gar nicht schnell genug rauskommen konnten, aus den insolvenzgebäuden, später. man sieht katzenphotos an den wänden hängen, die seiten eingerollt. der ficcus, mit dem schild "bitte nicht gießen" ist mittlerweile wirklich nicht mehr übergossen worden und steht tot im raum, anklagend seine blätter um sich herum verstreut. und ganz unter uns ... die härtesten geschichten erfährt man von den hausmeistern. ich hab einen draht zu hausmeistern, und am ende immer eine information mehr als nötig. hausmeister haben auch so vokabular wie "fiese jeck" und "voll vor die wand, mitte firma". und wenn man glück hat, und er zeit, dann erzählt er noch die geschichte von '86, als das alles anfing, mit dem cheff und seiner sekretärin da, da fing dat an und dat war der anfang vommen ende, wie imma, wenn man inn eigene firma nich die finga bei sich läßt, wissense froillein ?
nee, weiß ich nicht. meine liebe oma sagte immer "kind, scheiß nicht da wo du isst". und das ist quasi das selbe.
aber wie kam ich jetzt von gewitter und basilikum auf firmen, insolvenz und hausmeister ? ach ja, der himmel-
der verbindet ja eh den menschen mit der hölle, oder eben dem paradies. wenn ich mir mal vorstelle, wie viel der himmel mit seinen hochformatigen sonnenuntergängen zu weiteren knutschereien geführt hat ? schwache momente inklusive "klar ruf ich dich an" schwüren, die so in bottrop unter novemberhimmel bestimmt nie geschworen würden.
oder nachthimmel mit seinen listig funkelnden sternen. wie viele schlüpfer wären um hitzige hüften geblieben, wäre nicht die nacht so lau und vor allem der sternenhimmel so schön gewesen ? noch heute sitzen bestimmt hunderte von frauen nachts ratlos auf ihrem heimischen balkon und fragen sich zu recht, wie sie das letztes jahr so ungemein beeindrucken konnte, das mit dem großen wagen, und das er genau zeigen konnte, wo der große wagen denn da oben sei. und was hatte das mit ihrem höschen zu tun gehabt ? und mit seinem ? eben.
aber ich war ja bei meinem mittagshimmel, der da gewittrig in vorbereitungen war, die wettermänner unkten heute morgen nach sieben ja schon von unwettern der superlative, hagel, frösche, sünde und massenweise wasser, das alles soll es regnen. und ich finds herrlich. draussen prasselt der regen, mir klingeln die knochen und es ziehen die gelenke, es blitzt, die fellchen liegen seit dem dritten donner wie ein einziges fellsandwich unter der couch und es flirrt nur so vor energie in der luft. der schwefelkerl rutscht jauchzend durch die pfützen, das propellerweib sieht sich die sache mit nassem leibchen von drinnen an, und ich ? ich habe eine süße halbe stunde pause, bevor ich da durch muss. darf. sollte. wenn die arbeit ruft.


Montag, 16. Mai 2005

grundlos.

sie trafen aufeinander wie eine schlechtwetterfront. es blitzte kurz, jeder im raum stöhnte traurig auf, ohne eine ahnung warum.
bei einem punsch ging er an ihr vorbei, streifte arm und kleid und sagte etwas belangloses, es klang ähnlich wie "geh nie wieder aus meinem leben, bitte." sie sah erstaunt auf, es donnerte, die anderen gäste gingen hinaus, den regen in ihren gläsern fangen.
lange sah sie ihn an, wie er sein glas hielt. sein herz dröhnte im ganzen raum, sie hielt ihn kaum aus, und ging auf ihn zu.
"ich will mich neben dich legen, auf ein leben, und das irgendwann." sagte sie und ließ ihn mit dem glas allein.

er sah sie rückwärts durch den regen laufen, und behielt dieses bild fester als alles andere, als er durch die welt ging.

immer wenn er im regen stand, sah er sie durch diesen laufen und es ging wieder mit ihm.

in diesen jahren dachte sie an ihn, wenn sie sich in leeren räumen verlor.
trank sie bei geselligen anlässen einen schluck punsch, dann dachte sie an den kuss, der sie erwartete, irgendwann. er musste schmecken wie er, und sie freute sich eine weile, während er an ganz anderen orten regentropfen trank und an sie dachte.

sie trafen aufeinander wie die komponenten eines gewitters, und durch ihre welt ging ein leiser ruck.

er sagte "endlich", und sie sagte leise "ja", im raum verstummten alle gespräche in genau diesem einen moment.

dann, über sämtliche nächte, schauten sie sich in die gesichter und entschlüsselten für sich die letzten jahre, die sie ohne einander umbrachten.
nach einer langen weile meinte er, sich endlich so voll wie ein ganzes meer zu fühlen, und sie zog sich aus, ging langsam hinein und schwamm.
als ihr die luft ausging, hatte sie noch ein bißchen kraft. als ihr diese auch noch verschwand, schloss sie beide augen ganz fest, hiel sich die nase zu und tauchte langsam unter, bis sie seinen grund erreicht hatte. erst dort blieb sie liegen, dicht neben ihm, und als die letzten luftblasen aus ihrer lunge nach oben wirbelten, fielen dort ersten tropfen.


Mittwoch, 11. Mai 2005

sex mit walter.

Heute Mittag hatte ich Sex. Der war schnell, feucht und unfreiwillig, aber aus solch lapidaren drei Punkten werden auch erschöpfend Filme gedreht, von daher will ich mich gar nicht beschweren.

Ich stand mit meinem Shuffle verbunden vor Ali Babas Gemüseauslage, war dank eines Koffeingaus etwas wabbelig auf den Beinen, und hielt prüfend eine Melone gegen die Wolkendecke. Mia sang in meine Ohrknöpfe, die Sonne kam raus, und genau in dieser friedlichen Sekunde wurde ich von hinten gepackt und hart gegen eine Weisskohlkiste gedrückt.

“Walter, lass das !" rief irgendwo ausserhalb meines Blickfeldes jemand, weil das, was wohl Walter war, sich gerade ganz schlimm mit mir und meinen Kabeln verhedderte und dabei mächtig ins Schnaufen kam.

"Walter !"

Ich konnte mich plötzlich nicht mehr von der Stelle bewegen und wurde massiv im Nacken beleckt. Das wiederum fühlte sich Dank Walters heißem Atem so suspekt an, dass ich spontan einen Kicheranfall bekam, während wir langsam zusammen in die Knie gingen.

"Walter! Jetzt machen sie den doch nicht so bekloppt …"

"Ich mache WAS?" brachte ich durch ein Pfund dunkelbrauner Haare hinaus, weil Walter war mittlerweile gefühlt einmal um mich herum und klammerte sich fester, als mich jemals ein Mann gehalten hatte.

"Walter!" sagte auch ich jetzt empört, und das war auch das letzte was ich sagen konnte, dann nämlich gab mein Körper unter diesem Kalb hingebungsvoll nach und wir fielen engumschlungen in Babas Obstauslage. Das wiederum verursachte so viel Lärm, dass jetzt auch die sechs Söhne des Hauses zu uns nach Draussen eilten.

Mia sang unbeeindruckt ihr „wie weit willst Du gehen?“, ich nahms als Ironie des Augenblicks, beschloss aber, diesen nicht zu geniessen, sondern mich aus dieser fragwürdigen Lage zu befreien, also weg mit Walter.
Wer es schon einmal mit einem Grizzly zu tun hatte, der das Gemüt eines rolligen Hamsters besitzt, der kann in etwa nachvollziehen, was ich in diesen Minuten an Walter hatte, und ich betete zu Gott, nein, zu Allah (ich lag ja bei Ali Baba im Salat ) dass ich mich jetzt nicht noch irgendwie blöd drehe und dann quasi aus Hundesicht genau richtig hocke, auf dass dieser Verwirrte Köter mich rein Naturgemäss und Doggystyle … aber da dachte ich dann lieber nicht weiter, beglückwünschte mich noch rasch zu meiner Wahl „Jeans statt Rock“ und kniff Walter beherzt aber link in die rechte Flanke.

Das heizte ihn erst richtig an. Er leckte mir quer über Hals und Wange, und rammte weiter an meiner Hüfte herum. Die sechs Söhne Babas lachten, und Walters Mensch sagte so was wie "Ocheywalter, jetzt is aba mal gut."
"Genau!", rief ich aus dem Fell.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar gezielten Kneifern kam ich wieder auf beide Beine und Walter auf seine vier. Die Söhne Babas hatten ihn versammelt von mir heruntergeholt, Walters Mensch guckte verzweifelt und murmelte was wie, dass er gar nicht wüßte, was in Walter, und was ich denn für ein Parfüm benutzen würde …
"Frühling, iste Früüühling, merkte großa Hund auch, eh?" unkte ein alter Kunde, alle lachten, Walter putzte sich den Hintern.

Ich richtete derweil meine Klamotten, glühte Dank der Anstrengung zartrosa im Gesicht und überlegte, ob Walter jetzt eigentlich gekommen war.
"Ist der eigentlich kastriert ?" fragte ich den Menschen von Walter, und der guckte sauer und meinte, "Natürlich nicht", und das sei ja echt ne doofe Frage.

Walter drehte sich noch einmal kurz zu mir um, bellte, und zottelte von dannen. Ich blieb allein beim Obst zurück, fühlte mich ein wenig benutzt und legte die Orangen wieder in ihre Kiste, während um mich herum alle den Frühling und seine Vorteile priesen.


Freitag, 1. April 2005

ivar's kinder.

ich biete wohnraum für ca. 480 babys.
nein, kein scherz, ich habs lebend als beweis im wahrsten sinne des wortes vorliegen.
auf meinem balkon steht seit jahren, und das war anfangs nur als notlösung gedacht, ein altes IVAR regal. die IKEA-jünger unter euch werden jetzt weise mit dem kopf wackeln, und denken "aaah ja, IVAR."
mein IVAR ist mittlerweile durch einige farbphasen mit mir gegangen, und durch dick und dünn. er begann seine karriere als klamottenregal in meinen zwanziger-anfängen und wurde sofort schwarz gestrichen. okay, es wurde zu meinem ärger nicht richtig schwarz, eher so uncool-dunkel, aber das musste auch gehen. an ihm hingen nietengürtel wie schlangenlederimitate, jeanshosen wie latexoberteile, und auch ein stofftier stand beizeiten oben auf, kowalski hieß es und es war eigentlich ein ein er, und er war ein hund. kowalski.
in späteren jahren stand IVAR in sämtlichen räumen, wurde erst rot, dann blau, war quasi ein möbelspringer, und die arbeitsagentur macht aus diesem begriff sicherlich bald ein berufsbild. geschenkt.
in meinen anfängen der dreissiger hielt IVAR dann als wackeligster küchenschrank der geschichte der frisch-getrennt-erstwohnungen her. er wackelte dramatisch bei jeder uBahn die vor meinem haus vorbeirauschte, und mit ihm wackelte lustig und laut mein gesamtes hab und gut, also vier teller, acht gläser, zwei müslischalen ( mein ex mochte scheinbar kein müsli, ich allerdings auch nicht ) wahllos geschnapptes besteck und der alte kaffeebecher aus alten tagen, auf dem mein name trohnte, und den ich aus diesem grunde nie wegreduzieren, verschenken oder jemand anderem als kaffeebecher andrehen konnte. so heisse nun mal nur ich, und sollte ich jemals eine andere mit diesem namen antreffen, ich werde sofort ihre freundin und schenke ihr diesen echt hässlichen kaffeebecher, den ich seinerzeit von einem chef bekam.
als ich dann hermann, meinen gigantisch alten und gigantisch massiven wohnzimmerschrank aus irgendeiner jahrhundertwende bekam, stellte ich den wackligen und immer noch blauen IVAR auf den balkon, räumte hermann mit meinem hab und gut voll, und stellte auf IVAR sämtliche kräuter, alte blumenerde und diverse terracottapötte, selbstgesammelte samen nebst zeus, meinen einstandsolivenbaum aus griechenland. das alles wohnte jetzt in und auf IVAR dem blauen, alle waren wieder zufrieden, jeder hatte seinen festen platz.

was ich zu diesem zeitpunkt gänzlich vergessen hatte : ivar hatte noch eine höhere bestimmung, ivar wollte kinder.
ich oute mich mal eben, damit ich hier weiterkomme : ich war hobbythek-jüngerin.
und bevor sich jetzt meine geschätzten männlichen mitleser angeekelt abwenden, "iiiih" schreien und an die sagenumwogene gleitcreme denken ( ja, der abend, als sie jean pütz den saft abgedreht haben, bevor er weiterreden konnte ) und an total natürlich behaarte körperstellen und selbstgemachtes shampoo aus kartoffelabfällen : nein. so eine nicht.

ich gebe sehr wohl zu, dass ich mir das alles immer mit hellem interesse angeschaut habe, aber ich kam nie auch nur ansatzweise in versuchung, mir einen bausatz aus rohasche und klebrigen ölen zuzulegen, nur um nach 6 tagen arbeit ein kleines fläschchen shampoo in den händen zu halten, mit dem ich dann auch den teppich reinigen und die sitze im auto abreiben konnte.
ich habe in der küche selber käse gerollt, ja, ich habe auch frischen und mächtig drehenden joghurt gemacht und meine lichtdusche gegen den lichtmangel im winter wurde ebenfalls nach der hobbythek-anleitung gebaut, ja, aber für den rest gab es damals die trendmarke "body shop", da konnte man sich guten gewissens eindecken, und gerochen hat es auch noch lecker.
und jetzt komm ich mal auf einen punkt : als ich vor ca. vier jahren neben IVAR auf meinem alten balkon rumsass, die füsse in einer wasserwanne baumelnd, einen eiskaffee in der linken, ein buch in der rechten hand, und über düsseldorf eine schwere wärme waberte, da bemerkte ich eine gewisse unruhe neben mir. ich dachte noch "jessus, die ist aber fleissig bei dem wetter, die biene", und ahnte nicht, was da vor sich ging, centimeter neben meinen hirn in dem noch hobbythek-informationen von damals schlummerten. irgendwann ging mir diese betriebsame hektik auf einen nerv, ich gähnte von meinem burggipfel über die stadt und schaute nach dem rechten, also nach rechts. und da sah ich, was dieser brummer dort geschaffen hatte.
menschen mit ikea-regalen werden wissen, dass diese total praktisch verstellbar sind, und zu diesem zwecke ganz viele kleine löcher an den seiten aufweisen, in die man kleine metallstifte stecken kann, auf die dann die regalbretter zur ruhe kommen. pro seite und regalecke sind in meinem regal ca. 60 löcher, macht insgesamt 120 für jedes regalbein, macht summa summ 480 löcher für mein blaues IVAR-regal. und in eben diese, ich schätze mal es waren so um die 8, in diese hatte dieser lütte brummer was reingestopft und dann fest verklebt.
als in bio durchgenommen wurde, wie viele baby-bienchen eine biene auf einmal bekommen kann, da war ich wohl auf dem schulklo heimlich eine rauchen, aber es gab nur zweikommafünf möglichkeiten:
entweder lagen in meinen regallöchern nun kleine baby-bienen mit verpflegungspaket, oder bestes propolis, oder beerdigte drohnen. möglich war alles. ich konnte aber nicht gucken, weil die löcher pedantisch mit was grauem zugekorkt waren, quasi weggetuppert und abgeschlossen.
diese prozedur ging über tage so, es war ein reges treiben auf meinem balkon, und ich, die sich über nichts mehr wunderte im vieren stock über düsseldorf, an der A46, am park, ich hatte ja auch schon oliven gezüchtet und tomaten geerntet, chamäleoneier gebrütet und frösche über winter im kühlschrank gehabt, warum also nicht auch bienen.

was auch immer am ende herauskam, ich habs leider verpasst, am arbeitenden menschen an sich rauscht ja nicht nur das leben vorbei, sondern auch die brut des IVAR-regals.
aber jedes jahr aufs neue kamen die pelzigen weiber, stopften brummend die löcher, ich lächelte beschwingt und fühlte mich ein bißchen schwanger mit denen, und gut war.
ich hatte ja die pütz’sche information im kopf nebst bauanleitung :
nehmen sie holz, bohren sie mit der bohrmaschine löcher hinein und legen sie das in den garten oder hängen sie es an ihre häuserwand, die wildbienen brauchen brutplätze, die zeiten sind schlecht und aus beton.

und als ich eben in der sonne auf dem balkon sass, die fellchen ihre ersten fetten fliegen zum frühling fingen und die welt auch sonst recht friedlich schien, da kam wieder eine. sie war pelzig, dunkel und hatte einen roten hintern. und sie schlüpfte laut brummend in eins der 480 IVAR'schen löcher und fing an zu zimmern.