Mittwoch, 27. Juni 2007

orte.

Ich wurde an einem Sonntag gezeugt, in einem Altbau Gustav-Poensgen-Strasse, Ecke Bunsen, in der dritten Etage, ab der Mitte linke Tür. Das Schlafzimmer ging zu den Rangiergleisen hinaus, und der Akt an sich fand nach dem Mittagessen statt. Es gab Schweinebraten, Kartoffelklöße von Pfanni und Gurkensalat. Meine Mutter betont, dass sie und mein Herr Papa es den ganzen vorangegangenen Urlaub von 16 Tagen in Stade an der Elbe versucht hätten, aber irgendwas schien nicht geklappt zu haben, die Details liegen im Dunkeln.
Meine Mutter betont ebenfalls und mit einem anzüglichen Lächeln, welches sie nur für diese Geschichte zu besitzen scheint, dass sie, also sie und mein Herr Papa, völlig doll gewesen wären, und das ich genau an diesem Sonntag, nach Braten und Mittagsschlaf, gezeugt wurde, mit viel Dollheit.
Mich wundert nicht wirklich, wie mein Ich beschaffen ist, und dass es jeden Sonntag Braten, Klöße und Gurkensalat gab, bis mein Herr Papa das Dollsein nicht mehr ausüben konnte, und nun vielleicht an anderen Orten Gurkensalat bekommt, wer weiß.
Meine Mutter erzählte diese Geschichte jedem, der ansatzweise eine Brücke zu diesem Thema anschnitt, was mir früher eher peinlich war. Heute finde ich es nett, dass eine der sexuellen Glanzstunden im Leben meiner Mutter genau die war, wo bei mir der göttliche Funken zündete.

All das hatte ich lange vergessen, bis ich neulich aus Köln kam, und den ersten nächtlichen Heimweg zu Fuß angetreten habe. Plötzlich stand ich vor diesem Haus, abgewirtschaftet, dreckige Fassade, die Eckkneipe, die irgendwas mit Bunsen hieß, damals, geschlossen und zugemauert.
Ich stand da und fragte mich, wie viele Leute eigentlich wissen, wo sie gezeugt wurden. Ich finde dieses Wissen genau so wichtig, wenn nicht sogar noch etwas wichtiger, als der Moment, wo wir per Schwerkraft, Druck, Drogen, zupackende Hebammenhände oder Glocken aus einem Unterleib gezerrt werden und vor lauter Entsetzen erst einmal verstummen. Wüssten wir, dass es noch schlimmeres geben wird in einem ganzen Leben als einen Klaps auf den Hintern und kalte Hebammenhände, wir würden aus dem Brüllen sicher nicht mehr herauskommen.

Ich stand ein paar Minuten, es war ganz still, und versuchte mich zu sehen, wie ich mit meinen blonden Locken durch diese Haustür rannte. Wie habe ich dieses schwere Ding überhaupt halten können, und wie kam ich an die Klingelknöpfe? Und die Nachbarn? Kam mir ein Name bekannt vor? Bilder im Kopf, ich beim Rad fahren, ich mit Gehirnerschütterung kurz darauf, 'Das Temperament' sagte der Arzt, 'wird ihre Tochter noch zu einigen Erschütterungen verhelfen.'
Unsere Couch war grau und für drei, und mein Herr Papa lag immer im Querformat und schlief den Mittagsschlaf eines Bäckermeisters. Bilder, wie wir aus dem Viertel wegzogen, kurz bevor ich in die Schule kam. Das Viertel war zu Bahnhofsnah, die Gegend nicht gut für ein Mädchen, meine Eltern zogen mit mir näher an den Stadtrand. Der erste Morgen in der neuen Wohnung war ein sehr heller Morgen in einer sehr hellen Küche, keine hohen Altbaudecken, keine dunklen Räume, sondern Sonne und der Eiermann, der mit lautem Hahnenschrei vom Band auf sich Aufmerksam machte. Alles anders, und an die Klingelknöpfe kam ich wieder nicht, dafür wußte kurz darauf die gesamte Nachbarschaft das ich die 6-jährige war, die es stimmgewaltig schaffte, ihre Mutter im Dachgeschoss ans Fenster zu rufen, damit sie die Haustür aufdrückte.

Diese alte Wohnung ist schon lange frei, ich habe sie vor Monaten in der Immobilienplattform im Internet gesehen. Die Zeugungswohnung ist bewohnt, und ich zurück im alten Viertel in einer Wohnung mit hohen Decken. Die Gegend ist noch immer nicht gut für kleine Mädchen, und auch die großen könnten Mühe haben.
Ein halber Tag neulich. Beim Kaffee kochen konnte man einige Nachbarn missmutig um ihre Autos laufen sehen, die Polizei notierte Namen und schien sich über den Regen zu ärgern. Nachts wurden wieder eine Reihe Autos aufgebrochen, ohne große Beute, wie meist. Ich gehe einkaufen, die Polizei ist längst weg und die meisten Scherben der Seitenscheiben auch. Ich treffe auf die Bio-Berberin, wie ich sie nenne, weil sie ihren gesamten Haushalt in Taschen von Öko-Marken mit sich schleppt. 'Haste n Tempo?' fragt sie, und sieht sehr alt und sehr verschnupft aus. Ich gebe ihr meine ganze Packung und ein 2Eurostück für einen heißen Kaffee, und laufe in Gedanken versunken in einen Mann hinein, der mich mit einem 'Gerade jetzt ey!' anzischt. Als ich mich das dritte Mal irritiert umdrehe, kapiere ich, dass ich ihn beim Äpfelklauen im Supermarkt umgerannt und somit gestört hatte. Der Mann war um die 60 und sah eigentlich nicht nach klauen aus, aber wie er so mit seiner vollen Einkaufstasche davonging, wo nun auch noch zwei Packungen dazugekommen sind, da musste ich auch an den Securitymann denken, der abends in dem Supermarkt am Eingang steht, und immer sehr höflich und hilfsbereit ist.
Beim Türken dann ein Gespräch zwischen zwei Frauen.
'Ecke nix gut, zu viel Sindel und Diebe' meinte die eine, und die andere dann 'Ja, und Melone hier auch immer teuer, viel mehr teuer als bei uns.' wobei ich jetzt nicht wusste, wie der Ort uns gemeint war, was für die gesamte Geschichte vielleicht ganz gut gewesen wäre, aber nun gut. Ich kaufte Melone, ich kaufte Käse, ich ging zurück und sah die Bio-Berberin in einen großen Apfel beißen, und zwischen zwei kräftigen Happen maulte sie eine Frau mit Hund an, die diesen über den Gehweg schleifte. 'Der ist zu alt, der will nicht in den Krach hier' meinte sie, und ich fand meine 2 Euro und die Taschentücher genau richtig angelegt, weil sie hatte Recht, Hund alt, Gegend laut, Tussi doof.

Könnte ich mir Orte ausmalen, würde ich den Zeugungsort so lassen, das mit dem Gurkensalat auch, und die Zukunft liegt an einem Ort, den man auf keiner Internetplattform findet, wo Opas keine Äpfel klauen müssen, sondern sich einen vom Baum pflücken, wo alte Hunde in der Sonne liegen und nicht über Gehwege gezerrt werden. Mein Ort hat keinen durchgehenden Sonnenschein, sondern auch besondere Regentage, und der Fisch auf meinem Teller hatte ein Leben und eine ernstzunehmende Chance.

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Danke.

("Diebe & Sindel": Das verläuft am Fürstenplatz in Wellen von rund zwei Jahren, je nachdem, wo die OSD-Sheriffs grad die Junkies hin treiben. Als ich 02 hierher zurück zog, war's schlümm, da wurde meine damals 18jährige Tochter zweimal bedroht und zur Übergabe ihres Taschengeldes genötigt. In 04 dagegen kam es mir vor wie Penny Lane. Jetzt isses so halb und halb...)

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gute frage...werde mamitschka gleich mal fragen, wo ich produziert wurde. wie schön daß du all diese dinge weißt und das gebäude auch noch kennst. dieser text ist potentiell der einzig mir spontan bekannte grund je wieder eine bloggerlesung zu besuchen.voll schön.

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'voll schön' wollte ich auch mal wieder einführen, und auf lesungen erzähle ich doch nur noch witze, das ist so 1.0. ;-)

danke.

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so, für dieses jahr is aber wohl mal besser schluß mit netten worten im blogzusammenhang an ms. miagolare, sonst werden mir womög noch stalkertum, jagd nach geldwerten katzencontentwerbeverträgen oder sonstige undinge vorgeworfen. momentan, in diesem komischen 2.0 Ding is man ja vor nixe sicher.

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2.0 sucks, dich hab ich lieb.

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huch, jetzt mache ich aber echt mal den schmittchen schleicher, ich werd ganz verlegen auf einen doofen donnerstag. *knicks*

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