Donnerstag, 7. Dezember 2006

ruht ihr auch sanft?

Es ist schwarz, dunkel schwarz und das überall. Ich stehe alleine, rieche Tannenharz und sterbendes Grün, höre Schritte von kleinen, flinken Füssen und in einiger Ferne die Autos fahren. Nirgendwo ein Licht, keine Kerze, kein Schlaf und auch kein Leben, alles um mich herum ist für sich allein still.
Nur das trapsen und tippeln, unsichtbar, in allen Ecken und Nieschen.

Ob sie sie fressen? überlege ich in meine Stille, und setze langsam den ersten Schritt. Buddeln sie Löcher dort, wo andere die ewige Ruhe erwarten, genau die, die alles Geld und die restliche Liebe in teure Kränze steckten, Tage oder Wochen zuvor? Kränze mit Pflanzen, die wegen der Toten ebenfalls tot sind, ohne Wasser, ohne Licht. Mit den Toten mitgehangen, mitgefangen, die letzte Schleife sagt
„In ewiger Liebe, Deine Tilla mit Hund“.

Ob sie sie annagen? Abfuttern? Oder sind nur die Beigaben von Wert? Beissen sie das Totenhemd zurecht und schlagen damit ihr Winternest aus?
Mäusetapeten, Totenhemden, nie wieder frieren Dank Hans Grauschild, die Sippe flirrt mit den Barthaaren, die seine gießt die Erika und macht wöchentlich Kerzen an.

Früher machte es mir nichts. Ich fuhr über die Brücke, die genau über einen normalen Teil und den der Kinderurnen führt. Der Teil mit den Kinderurnen ist der gefürchtete Teil des Friedhofs, da reden alle nur noch leise und am Ende dann gar nicht mehr. Man kommt nicht drum herum, diese kleinen
Flächen, die die Kleinen nur brauchen, und auf diesen kleinen Flächen liegen Bärchen, Teddys und kleine Matchboxautos, manchmal ein Photo. Dinge, die vorher in kleinen Kinderhänden lieb gewonnen wurden, die Nachts mit unter Decken verschwanden und die alle eins gemein hatten, einen Job. Sie hielten die Bösen ab, die unter den Betten, die im Schrank, die aus der Familie und die, die mit dem Gewitter kamen. Sie waren weiche Inseln im wilden Meer, abgeliebt und fest gehalten.
Alle Bösen hielten sie ab, nur den einen nicht. Jetzt ist ihr Schicksal gleichfalls besiegelt, sie liegen auf feuchter, dunkler Erde und starren gegen eine riesige Kastanie. Unter ihrem Markenzeichen wohnt eine Asselfamilie.

Früher fand ich die Stille schön, heute ertrage ich sie. Im Winter glimmen vereinzelt die Kerzen der Drogeriemärkte. Schlecker brennt neben dm, das Tengelmann-Angebot 5 für 3, gerade in der Weihnachtszeit wird viel an die Toten gedacht, da zündet man aus lauter Trauer über den immer noch leeren Platz am Tisch gleich täglich eine an, man kann ja sonst nichts tun. Und wenn man dann geht, dann dämmert es schon wieder. Im Winter dämmert es ganztags, man schaut mehr wie sonst nach oben, zum Horizont, ob sie schon weg ist, oder überhaupt da war, die Sonne, Lebensspenderin, Heizstrahler der Seelen.
Man zieht die Jacke enger um sich herum, liest ein paar Grabsteine und geht Meter für Meter schneller weg von diesem licht-und leblosen Ort. Die Gänsehaut und die Angst im Magen, die nimmt man mit nach Hause, die sitzt auf dem leeren Platz ganz gut.

Adventszeit. Totensonntage. Weihnachten. Warm schlafende Nager.
Ich bin mir da sicher.

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Sie ruhen sanft. Und die warmen, afrikanischen Steine warten. Immer noch.

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ruht ihr /auch/ sanft? - ruht ihr auch /sanft/?
Nur eine Frage zu deinem wunderschönen Text. Ist der Titel auf /auch/ zu betonen oder auf /sanft/ oder ist die Doppeldeutigkeit gar so gewünscht?

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knallhart gewünscht, gemünzt auf nager/weich und der letzten menschlichen /ruhe.

und patho: das schlimme wie verlässliche: die steine haben mehr zeit als ich. und dazu auch noch die ruhe weg. das wird noch!

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