Samstag, 24. September 2005

friedhofsdialoge.

"ich war lange nicht bei dir, tut mir leid", sage ich zu dem stück erde, wo mein vater jetzt wohnt. unschlüssig, das gefühl, hier überflüssig zu sein.
ich atme, alle anderen modern. während ich mich mit dem nachrechnen der unbesuchten wochen ablenke, habe ich einen knoten im bauch. meinem vater war es immer wichtig, besucht zu werden, die letzten jahre immer mehr. er freute sich halb tot immer schon vor, wenn ich mich in den zug setzte, und auch die letzten tage im krankenhaus, das letzte telefonat mit meiner mutter, bevor er in die narkose ging, da fragte er auch, ob sie ihn am nächsten tag sofort besuchen würde. sie sagte "natürlich", und ich denke, das gab ihm die routine und zuversicht. wenn man besuch bekommt, dann ist man ja verabredet, dann ist man da. vor allem : man ist.
ich weiß nicht, ob er so dachte, in diesem moment, und vor diesem stück erde stehend könnte ich genau so lange fragen, wie auf eine antwort zu warten.

falls er es irgendwo sehen sollte, genaues weiß man ja nun nie, dann sähe er mich ein wenig reuig an seinem grab stehen, die kerze von dm in der hand, die hatte ich ihm vor ein paar wochen vom einkaufen mitgebracht. diese friedhofskerze und eine flasche alt-bier, weil ich ihm immer düsseldorfer bier mitbrachte, bei meinen besuchen.
ich wartete mit der kerze, bis es dämmerte und die besucher den friedhof verließen. und als sie brannte, öffnete ich die flasche und goss den ganzen inhalt auf sein grab.
prost buchsbäumchen, dachte ich, als der letzte schaum in die dunkle erde sickerte.
prost paps.

"wen machen sie denn hier noch betrunken?" fragte plötzlich jemand neben mir. ein älterer mann, ich hatte ihn nicht kommen hören, und er schaute mich an mit einer mischung aus neugier und skepsis, so wie man besonders große grillen oder hummeln anguckt, mit diesem mißtrauen im blick, ob sie nicht vielleicht doch beissen können.
"einen haufen markierter asche mit einem stein drauf. "antwortet ich. "und sie ?"
"meine frau, also das, was von ihr blieb. in etwa so viel wie von ihrem vater, nehme ich an, es sind ja nachbarn.
asche und einen schlechten charakter, wenn dieser nicht mit verbrannt ist. sie hatte die seele einer räudigen katze, wenn sie wissen, was ich meine."

"und warum sind sie dann hier ? katzenliebe, oder wollten sie ihr jetzt auch etwas übers grab schütten ?"
"ach nein, ich komme nur wegen der familie, damit ich den kindern irgendetwas sagen kann. wenn sie fragen, ob ich "am grab" war, und das tun sie immer. sie sagen das unheilschwanger, so als wenn ich "ja" sagen würde, und sie dann kontern, dass es nicht sein könnte, weil das grab seit letzter woche schon und vor allem plötzlich weg gewesen wäre oder so, ich weiß es auch nicht. immer der selbe tonfall … "warst du am grab, vater?" egal. sie besuchen also ihren vater und schütten altbier auf seine erde. ich gehe davon aus, das es eine nette geste sein soll ?"
"ja. er mochte altbier. und besuche. er war gesellig, so nennt man das wohl. und jetzt denke ich so sachen wie, dass er hier allein in seiner urne liegt. und das es nachts dunkel ist…. all so zeug. "
"deswegen die kerze ?"
"deswegen die kerze! ich denke, das ist der grund, warum ich selten hierhin gehe. ich handle nicht rational, ich denke so sachen wie, dass es nachts kalt wird, dass er alleine ist, dass ... ich meine, er ist doch nur noch asche. ich komme mir blöd vor. asche kann es nicht zu dunkel sein, auch nicht zu kalt. er fehlt mir. ich würde mich gern kümmern."
"sie fehlt mir nicht. jedenfalls nicht so, wie es richtig wäre. ich würde ihr gerne die meinung sagen, und einen leidigen, aber eben meinen sieg davontragen. aber das geht ja nun nicht mehr. also gehe ich für meinen kleinen frieden hierhin, merke mir, welche blumen aktuell auf dem grab stehen und bestehe somit den familientest am telefon."
"und ich kann morgen erklären, warum der buchsbaum dreh - und treffpunkt für besoffene mistkäfer ist ..."
"schönen abend dann..."
"ja, ihnen auch."

der friedhof war dunkel und ruhig, als ich mein rad durch die schmalen reihen lenkte. ich merkte, dass ich jetzt wieder an einem punkt bin, den ich einst verlassen hatte. angst vor dem tod. vor dem eigenen.

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keine angst.
vor dem eigenen schon gar nicht. geniesse den augenblick, jeden. mache ich auch. jetzt, nach wiederaufnahme des richtigen kurses ;-) und die angst steht irgendwo, weit entfernt, dahinten. lass sie warten, du kommst da noch rechtzeitig hin. und, wie gesagt, geniesse jede sekunde, denn das verschiebt die angst weiter nach hinten.

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ja, genau

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ich möchte den sehen, der jede sekunde genießt, als wenn es seine letzte wäre. ich kann mit großen löffeln und wenig reizstoff sehr gut die kleinsten dinge genießen, aber es gibt momente, da denkt man halt drüber nach, wie zerbrechlich das alles ist. und es schiebt nichts nach hinten, sonder holt alles nach vorne.

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