Mittwoch, 28. Mai 2008

zustandsdinge bei 80%iger luftnässe.

Ich habe die Tage dann halt einfach so ausgelegen. Also den gestern. Natürlich Un_mengen zu tun, theoretisch und auf Listen, aber alles aufschiebbar bis hin zur feinsten Prokrastinierung. Mit Hut.

Dafür ein sehr frisch upgedateter Tischkalender. Mein Fetisch: Knallfolie und Tischkalender. Da soll noch einer was sagen.
Jedenfalls stehen dort die nächsten sozialen Termine (Grillen ausser Haus / BBC bei <…> / Kaffee B., MUTTER-SCHLÜSSEL-10Uhr Kö, und das alles in grün.
Dann die offiziellen Termine, also Arbeit und die EM-Spiele, alles in Brombeer, dann Todestage in schwarz, Sommeranfang auch (wird erst in grün geschrieben, wenn der Lebensmittelpunkt nicht mehr direkt in der Stadt liegt), Geburtstage in orange, und in blau all die Sachen, wo ich es auch nicht wusste. Zu warm für tiefgründige Entscheidungen, nur schwarz und gelb haben ihre festen Grundregeln. Gelb kann zu schwarz werden, schwarz aber nie zu gelb. So ist das in der kleinen Welt meines Tischkalenders.
Da ist die Sache mit der Knallfolie wirklich übersichtlicher.
Finden, greifen, poppen.
Fertig.

Jedenfalls gestern nur gelegen, und wenn mich dabei einer ertappt hat, direkt die zwei aktuellsten Buzzwords in einen Satz gepackt: Wetter & Kreislauf.
Das dann mit den Wörtern 'müde/schlapp/durstig' kombiniert und dann wohlig grunzend umgedreht und mein aktuelles Krebs-Buch weitergelesen.
Ich habe in letzter Zeit und ohne festen Grund nur Krebs-und Kochbücher gelesen. Wollte ich dann auch mal etwas genaueres darüber wegtippen, aber nicht heute.

Heute ist auch wieder Wetter & Kreislauf und im Buch geht nach der Chemo grad die Bestrahlungsorgie los. Die muss ich heute noch wissen, da muss ich mich gegen Mittag noch einmal irgendwo hinlegen.
War ja gestern auch so eine Sache.
Am einzig kühlen Ort unter einer nach jedem Glas Rosé größer werdenden Riesenkastanie gegrillt.
Oft wurde der Hund der Gastgeber von uns allen fotografiert. (Ich muss dringend mein Mobiltelefon leeren.)
Oft wurde nachgeschenkt.
Mit den’n grill ich am libstn sagte ich dann zu Auto 'Ügo, als ich hineinfiel. M. fuhr. Und da das Glück mit den Verrückten und den Angeschickerten ist, klappte auch eine Eilbestellung ans Universum, geliefert wurde prompt und es war etwas sehr rares, sehr kostbares:
Ein Parkplatz nach 20 Uhr abends im selben Viertel wie die eigene Wohnung liegt.
Danke Gott!

Noch zwei Mails, dazwischen hin und her bei German Wings, YouTube und dem iTunes-Store.
Fühlt sich betriebsamer an, und vielleicht fällt mir so das Lied ein, welches ich gestern noch unbedingt zum weiteren Leben brauchte.

Noch zehn Tage durchhalten, dann ist für ein paar Wochen wieder kuschelig und die Termine werden mit Spielzeiten abgeglichen.
Frisuren diskutieren, Luca Toni zugucken, am Ende vielleicht doch wieder bodenlos emotional zu Deutschland wechseln- mal sehen. Oder vielleicht diesmal direkt, ich denke das mache ich. Tolle Strategie übrigens, bald halte ich in meiner globalen Superloyalität zu allen. Hänge aber der 20jährigen Gewohnheit halber trotzdem zuerst die italienische Flagge aus dem Fenster.
Dann mal weitersehen.
Sowieso.


Montag, 26. Mai 2008

-

"So, Schluß jetzt mit der Elenderei. Jetzt wird Medizin gekocht, ein ganzer Topf frische Tomatensauce zur Pasta.
Paps, Du bist eingeladen, wenn Du es schaffst."


friedliche höfe an traurigen tagen, oder wie ein staat ameisen zu einem unverhofften fest kam.

Fahre ich also doch los, nachdem ich 26 Minuten auf die Uhr geweint habe.
26 Minuten, das war die Zeit, die Du zum gehen gebraucht hast, heute vor drei Jahren. Ich gehe rückwärts, sehe uns, sehe mich, sehe Dich, Mutter, Mülltonnen, Lufterfrischer, Morphium, Würste aus Taschentüchern und dieser penetrante und plötzliche Sommer vor den Fenstern der Intensivstation.
Eigentlich sehe ich nichts; eigentlich fliegen Eindrücke vorbei. Ich am Telefon mit meinem halben Bruder. Ich die Hiobsbringerin, und er dann auch schon Tod, wie man das so sagt, keinen Monat später.

Geht nur alle, denke ich später, als ich mit dem Rad durch den Volkspark fahre. Schwere feuchte Luft, flotte Schnecken, Junkies. Ich mag es alles nicht. Gut, bis auf die Schnecken, der Rest, den nehme ich nicht wahr. Ich denke an Warnemünde, an Stade, an Krabbenkutter und an die Backstube, in der ich als Kind so gerne war. Ich denke an den Spielplatz vor der Bäckerei, den Lessingplatz, und wie Du mit mir auf die Rutsche gegangen bist, unermüdlich. Bis zu dem Tag, wo Du gesagt hast, das ich es alleine schaffe. Dann hast Du mich losgelassen, und ich hielt mich fest und stieg die Metallstäbe hinauf. Und immer höher. Und ich wusste, dass Du hinter mir stehst, und Kinder können plötzlich Dinge, nur weil Eltern daran glauben.
Das geht, auch später.

Ich glaube nicht, dass irgendetwas auf dem Friedhof Wert auf meine Anwesenheit legt. Ein paar Eichelhäher freuen sich über den Keks, Dein kleines Grab wie frisch gefegt, rechts steht schon wacker gegen die Schwüle brennend Mutters Kerze.
Ich stelle meine links, lege die Butterblume neben die Rosen, die ich eben von der Wiese wegpflückte. Ich stuppe gegen Deinen Stein und bin ratlos.
Wie lange war ich nicht hier?, sage ich zum Stein. Knapp ein Jahr? Oder ein ganzes? Ein halbes ist es, ein halbes. Dann stehe ich auf und setze mich auf die Bank am Ende der letzten Urnenreihe. Jetzt muss ich an alle denken, die weg sind. An Dich, an den halben Bruder, an A. und an Mike, und an mein Leaderfellchen, der mir jetzt seit über einem halben Jahr an der Seite fehlt. Ich denke an Tante Gisela, und wie sie bei der Beisetzung plötzlich haltlos in Tränen ausbrach. Ich fragte mich damals schon, ob es aus Trauer um Dich ist, oder aus Trauer um sich selbst. Man denkt ja auch an sich, wenn andere in die Erde gelassen werden, und das man irgendwann selbst dran ist und die seiten wechselt. Da kann man schon einmal richtig in Tränen ausbrechen, ich finde das toll, Tante Gisela hab ich da noch gedacht.
Geht nur alle, denke ich, und kippe den Rest aus der Kekspackung neben eine Ameisenautobahn. Helle Freude, alles trägt.

Ich hab hier leider nichts zu tun, sag ich in die nasse Luft und wische mir die Augen trocken, und Du, Du bist auch nicht da, das merke ich doch. Dann -
( - sei nicht so traurig.)
Ich halte inne. Einbildung, Unterzucker, vielleicht der Gedanke einer Ameise.
Trotzdem gehe ich danach, versuche nicht traurig zu sein und bin es doch. Auf dem Weg zurück fahre ich fast gegen einen Mann, der aus einem Weg von rechts in meine Fahrlinie kommt. Er erinnert mich an Dich, er guckt belustigt aus meerblauen Augen. Und ich denke 'aha' und das da vielleicht doch irgendwo einer aufpasst.

Was ich sagen wollte: Ich klettere noch immer, Sprosse für Sprosse, die Hände riechen dabei nach kaltem Eisen.
Und der Platz hinter mir ist jetzt leer.

26mai08

seemannsgrab | © Lu um 18:04h |

Sonntag, 25. Mai 2008

don't panic.

(...)"Ein Handtuch ist so ungefähr das Nützlichste, was der interstellare Anhalter besitzen kann. Einmal ist es von großem praktischem Wert – man kann sich zum Wärmen darin einwickeln, wenn man über die kalten Monde von Jaglan Beta hüpft; man kann an den leuchtenden Marmorsandstränden von Santraginus V darauf liegen, wenn man die berauschenden Dämpfe des Meeres einatmet; man kann unter den so rot glühenden Sternen in den Wüsten von Kakrafoon darunter schlafen; man kann es als Segel an einem Minifloß verwenden, wenn man den trägen, bedächtig strömenden Moth-Fluss hinuntersegelt, und nass ist es eine ausgezeichnete Nahkampfwaffe; man kann es sich vors Gesicht binden, um sich gegen schädliche Gase zu schützen oder dem Blick des Gefräßigen Plapperkäfers von Traal zu entgehen (ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh, es nimmt an, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen – bescheuert wie eine Bürste, aber sehr, sehr gefräßig); bei Gefahr kann man sein Handtuch als Notsignal schwenken und sich natürlich damit abtrocknen, wenn es dann noch sauber genug ist."

(Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis")

Heute ist Towel-Day, also vergesst euer Handtuch nicht!


boots-gelage | © Lu um 10:54h | keine meldung | meldung machen?

Freitag, 23. Mai 2008

und- wie war dein tag?

Die Frau in den Riemchenschuhen hat sehr blasse, sehr dicke Füsse. Ich gehe an der Ampel dich hinter ihr, schließe auf, überhole und kann den Blick nicht von ihren Füssen lassen und wie sie da so hilflos und eingesperrt ihrem Tod ins Auge blicken.
Überhaupt, Tod. Meine Lektüre über den letzten Monat war sehr Krebsdingens, das fiel mir gestern Abend in einem engen Gespräch über Bücher auf. Und auch neulich, als ich mit der Nachbarin Brüstungslungernd so das Neueste, und man kommt dann ja doch immer wieder auf Bücher, wenn man weiß, dass der andere ja auch und so. Sie also freute sich über meine Kluun Empfehlung, und fast hätte sie die Reihenfolge vertauscht und erst "Ohne Sie" gelesen, wo doch "Mitten ins Gesicht" den Anfang, aber das merkte sie dann auch schnell und jedenfalls fand sie beide toll, und ob ich schon "Heute bin ich blond" gelesen hätte. Nein, rief ich rüber, aber das stünde als nächstes an, und das wäre ja seltsam, dass ich wirklich gern die niederländischen Schriftsteller lese, aber es ginge dann doch immer über das Sterben und den Tod. Da steht man dann so zwischen seinen Rosmarin-Büschen, jeder auf seinem Balkon und denkt kurz darüber nach, und über die Sache mit den Perücken und der Belastung einer Krankheit.
Na ja, rief ich dann, ich muss, und sie löste sich auch und beide gingen wir mit den Staubsaugern den greifbaren Dingen an die Krägen.

Die Frau mit den armen Füssen verschwindet im ALDI, ich finde mich Minuten später sehr lachend in der Philosophie-Abteilung des Buchladens wieder. Da sitz ich gern mit lustigen Büchern, das irritiert den Rest, weil was gibt es in der Philosophie schon zu lachen, junge Frau.
"Senk ju vor träwelling" hat es mir kurzweilig angetan, immerhin funktionieren meine Lachmuskeln im Gesicht noch, die Tränenmaschinerie hat Pause bis auf weiteres, und dann ist da ja noch -
- SMS-Magie. Gerade als ich denke, warum steht denn in der Comic-Abteilung nix vom Flix, da schwebt eine Kurzmitteilung in mein Mobiles:

Ly 23.05.2008 14:02

Flix Signatur ist geschafft.
Er hat sich extra sehr bemüht
und lässt Dich ganz lieb grüßen.


Ich meine - HURRA!

Stunden später blogge ich das, koche Kaffee, bringe jetzt das Buch zum Ende, und das alles in der Waagerechten auf dem Balkon. Verstehen sie mich nicht falsch, ich muss das tun.
Man liegt viel zu wenig in seinem Leben einfach mal so. Viel zu wenig.

logbuch | © Lu um 18:07h | keine meldung | meldung machen?

Mittwoch, 21. Mai 2008

sms an draussen # 2.

Sie sind unterfordert und gelangweilt.

Wenn Sie es sagen...

Hausaufgabe für in zwei Wochen: Exposé mitbringen. Ach, und was ich noch fragen wollte: Wenn Sie ein Auto fahren würden, welches wäre es dann?

Kein Hummer.


Mittwoch, 21. Mai 2008

der alberne moment zu vollmond:

cat
more cat

(seht es mir gnädig nach, aber ich lache seit geschlagenen vier minuten.)


wien in bildern.

Bitte, blättern Sie sich durch Fleisch und Schlösser, durch Möpse und Tand.
Auch ein Teppich wird noch vermisst.


Sonntag, 18. Mai 2008

reisenotizen. /wien in drei tagen.

Es ist ja nicht so, dass ich keinen Spaß verstünde. Aber einmal in kurzem Ernst Herr Taximann- diese Witze mit Frauen und artgerechter Haltung, abgegebenen Ehemännern und generell diese Lebenshaltung, da bin ich morgens in der Früh von fünf Uhr weiter von entfernt als der Weg nach Wien hergibt.
Im Flugzeug dann kaltes Vollkorntoast mit Eisbergstrunk und Käse. Dazu der Nachgedanke an den Mann vom Bodenpersonal, der durch die prall gefüllten Air Berlin Schalter lief und immer in die Menge rief: "Ist hier noch ein Gast nach Malaga? Mala-gi, Mala-ga?"
Schreibe über Frankfurt in mein Moleskine folgende Notiz:
Hochphase aller Witzemänner morgens zwischen 5 und 6 a.m.

Bei der nächsten Kurve wo der Flugzeugflieger rechts nach Wien abbiegt, da setzt mein Verstand sich ab. Ja, ich habe Flugangst, aber ich glaube langsam, dass ich eine sehr seltene und sehr komische Form der Flugangst habe. Andere sind blass, wollen eh gar nicht fliegen, atmen ab Start schwer in die Leisten-und Pogegend und halten die ganze Zeit links die Tablettenpackung gegen Reiseübelkeit und rechts die Kotztüte parat.
Ich bin da anders.
Ich fliege, beteuere aber immer und jedem, dass ich es wirklich hasse. Dann steige ich ein, und habe nie mehr im Bauch, als ein Glas Wasser mit drei Tropfen Rescue Remedy. Manchmal vergesse ich selbst das. Ich trinke nie Alkohol vorab, esse alles, was man mir an Bord serviert komplett auf, gehe nur auf Flügen um die drei Stunden auf Toilette, ansonsten bleibe ich während des gesamten Fluges über angeschnallt und sehr angepasst auf meinen Platz sitzen. Die Fensterplätze überlasse ich hier gern allen anderen, mir reicht Mitte oder Gang. Ich lese immer eine Zeitung, welche man sich zu Beginn mitnehmen kann. Wenn ich im Flugzeug lese, ist es anstrengend als würde ich einen John Sinclair Roman auf Latein lesen. Ich_lese_jedes_Wort_einzeln. Das_nervt!
Nach cirka einer Stunde krame ich meine Kamera aus der Tasche, photographiere das was ich sehe mehrfach, maule kurz, wenn wieder eine Kurve geflogen wird, und die komplette Landung über klebe ich förmlich an der Scheibe.
Dann, kaum den Boden wieder unter den Füssen, bestaune ich sprachlos die über mich hinweg fliegenden und kann mir nicht vorstellen, dass ich selbst ...
Doch, ich habe Flugangst, aber eine sehr seltene wie komische Form. Nach New York bin ich deshalb bis jetzt noch nie gekommen.
M., der während des Starts meine Hand hält, meint, es fühle sich an, als hätte er einen Tintenfisch an der Hand. Einen Tintenfisch, der nach Orange-Minze riecht.
Ich hatte stressbedingt kalte Hände und statt eines Kaugummis ein Ricola im Mund. Warme Männerworte sind in solchen Momenten Gold wert. Ich erwähnte nicht den Zusatz, dass der Tintenfisch in hautfarbenden Thrombosestrümpfen steckte. Ich wollte die Situation nicht noch anheizen.

Das Hotel ist um die Ecke Praterstern. Hotel KUNSThof, wo der erste Eindruck der Beste ist. Wir haben Glück und ein Zimmer zum Hof hinaus. Die Baustelle auf der anderen Seite des Hauses weckt uns trotzdem täglich ab sechs. Kann man alles machen, auch empfehlen, aber ich muss dazu sagen, dass die Trennung Schlafraum und Bad leider nicht durch eine Tür gezogen wurde, sondern durch nichts. Ich sags mal so: Auch als langjähriges Paar sollte man nicht alles voreinander machen müssen. Kann man mal machen, muss man aber nicht sollen, meine ich. So. Ach so, das Frühstück kostet übrigens 12 Euro pro Person. Es gibt keine goldenen Eier.

Ansonsten ist Hotel wie Stadt mächtig auf die anstehende EM gebürstet. Es gibt sogar Zuckertütchen in Ballform zum Espresso, und handgemalte Zettel, auf denen Cafés 'Fußballfreie Zone' versprechen.

Überhaupt, die Cafés. Die ganze Stadt.
Wie Prag bei schönem Wetter, mit dem Unterschied, dass ich mich hier allein verständigen kann und das Essen besser ist. Es gibt mehr Bio-Angebote, die Preise sind moderat und machbar und die Auswahl ist groß. Großen Dank an die beiden Empfehlungen, das Wrenkh war sehr gut, und das Gasthaus zu den drei Hacken ebenfalls, auf eine ganz andere Art. Dort wollte ich ein Schnitzel und bekam gefühlt alle Schnitzel der Stadt auf einem Teller vereint.
Der Naschmarkt besticht durch seine Üppigkeit, die gelangweilten türkischen Verkäufer könnten allerdings ihre lauen Fütterungsversuche der Touristen einfach so einstellen, das würde der Szenerie keinen Abbruch tun. Auch dort essen wir gut und gern. An einer Ampel steht Sarah Wiener in einem apfelgrünen Kleid und telefoniert sich krumm. Ich frage mich, in welchen Städten ich sie noch treffe, und generell:
Wie oft trifft man wohl an unterschiedlichen Orten auf Menschen, die man nicht kennt, und somit auch nicht wiedererkennt, wie oft streifen sich Lebenswege, ich wüsste es so gern.

Was ich auch noch sehr gerne wüsste, und das fragte ich mich kurz darauf und ebenso ausgiebig im Café Sperl:
Auf wie vielen Urlaubsfotos fremder Menschen ist man wohl vertreten? Und wie guckt man darauf? was macht man in genau dem Moment, wo ein anderer auf den Auslöser drückt. Ich würde eine Tugend dafür geben, würde ich das als letzte persönliche Ausstellung zu sehen bekommen, statt des eigenen Lebens als Abspann beim letzten mal Luft holen.
Über so etwas kann man an einem sehr warmen Stadttag übrigens im Café Sperl wunderbar nachdenken, wenn man draußen unter dieser Platane sitzt und sekündlich fette, grüne Blattläuse auf einen hinabstürzen, abprallen und mit Schmackes in die Melange fallen.

Diese ganzen Schösser, dieser Prunk, dieses Eis!
Was hat Sissi wohl an diesen Stufen auf Schloß Schönbrunn gemacht, auf denen ich früh morgens hocke und meine hohen Schuhe gegen gemütlich flache tausche? Ich stehe in den Schlafgemächern, vor ausgestopften Vögeln, vor Seidentapeten, in Spiegelräumen und Zimmern, in denen Napoleon und so. Ich denke, dass Franz kein gutes Leben hatte.
Früh morgens noch vor fünf am Schreibtisch, mit einer Frau, die lieber weg war, die -wenn anwesend- nichts von Tafelspitz und Eheleben wissen wollte. Im Schlafgemach der Maria Theresia, vor der ich nach einem ganzen Schloß vor Ehrfurcht fast einen Knicks mache, bin ich erst einmal Fan von dieser, und nehme mir alle Sissi-Schinken für das nächste Weihnachtsfest feste vor. Geschichte muss man mitleben, und Sissi war für mich immer etwas rein homosexuelles, das haben nur meine früheren Arbeitskollegen auf DVD geguckt, so wie den Käfig voller Narren und Lady Dianas Hochzeit.

Nach dem Schloß ist vor der Kirche. Die Menschen gehen heute anders in Kirchen, als früher. Zumindest die Touristen. Sie stürmen hinein, nehmen kein einziges Hinweisschild (kein Eis, keine nackten Schultern/Brüste/Knie, KEINE PHOTOS!) wahr und bevor sie auch nur einmal etwas Atmosphäre einschnuppern, ist die Digitalkamera auf Anschlag und auf gehts. Da wird sich vor betende Omas in die schiefe Körperhaltung positioniert, um ja den ganzen Jesus ohne doofe Gläubiger auf dem Bild zu haben, da wird ein Blitzlichtgewitter abgefeuert (Japaner in Gruppen), dass fast die Fresken an der Decke nach einer Minute ausbleichen, und man sieht auch gerne einmal ein Arschgeweih, wenn Mutti sich niederhockt und lustige Figuren macht, vor dem Beichtstuhl.
Als wir rausgehen, klingelt laut ein Motorola, und eine Frau geht ran. Sie sitzt genau neben den betenden Omas und sagt, dass das Wetter toll seie, und den Rest hören wir nicht mehr. Aber Jesus war Zeuge.

Wiener rauchen stark, sind gerne leise und sagen das auch auf sämtlichen Schildern in Cafés und Restaurants. Sie ernähren sich überwiegend von Kürbiskernöl und Ingwer, trinken grünen Veltliner und große Braune, und PLUS heißt dort ZIELPUNKT, und Langnese eben Eskimo. Leid taten mir viele Hunde wegen ihres Beißkorbes, nett fand ich das Schwimmschiff auf der Donau und überbewertet das hippe Innenleben des Museumquartiers. Ich mag lieber Orte, die aus Versehen toll sind, als Orte, wo es ungemein angesagt ist, rumzusitzen und interessiert zu sein. Die Kellner dort waren muffelig, der Kaffee fad, aber die Ausstellungsdichte natürlich phantastisch. Den Berbern im oberen Belvedere Park ging es gut. Uns auch.

Drei Tage, in denen wir Wien erlaufen haben, aber nicht alles sehen konnten. Der Narrenturm hatte leider zu, und den Zentralfriedhof begehen wir im Herbst. Natürlich.
Und eins habe ich vergessen, was eigentlich zum Anfang gehörte:
Es ist ein sehr majestätisches Gefühl, als Erste ein Flugzeug zu verlassen, wenn die Sonne mit einem aufgeht. Sissiesk werde ich das ab heute nennen.

Danke Wien.

(PS: Alle Bilder kommen, nachdem der Kampf zwischen mir und meinem Klapprechner entschieden ist. Zwischenstand aktuell: 12:4 für Frau Sony Vaio, ich geh derweil den Müll zur Tonne tragen.)