Freitag, 15. August 2008

24 stunden.

Auf die Minute vor 24 Stunden habe ich ein letztes Mal in den Korb gegriffen, ein letztes Mal -die anderen haben noch gelacht- auf den Korb geklopft, konnte mich nur schwer lösen.
Die Helferin erklärte den kurzen Ablauf der OP, ich kraulte Janis den dünn gewordenen Latz. Vor der Tür dann doch geheult, aber irgendwie froh gewesen, dass jetzt was passieren würde, Bewegung in die Sache kommt.
Augen zu und durch, hab ich gedacht.

Es ging letztes Jahr zirka zur gleichen Zeit los, als das Leaderfellchen in die ewigen Jagdgründe ging. Janis kotzte, ihr Magen gurgelte, sie nahm in relativ kurzer Zeit an Gewicht ab, und an Unruhe zu.
Fast 14, sagte ich zur Tierärztin, als wir sie zur Untersuchung brachten. Der Befund: Schilddrüsenüberfunktion.
Sie bekam Tabletten, sie sie nicht mochte, der Magen beruhigte sich, sie nahm im 100Gramm-Bereich wieder zu und das einzige Problem war, täglich die Tablette in die Katze zu bekommen. Sie wurde ruhiger, die Unruhe wich einer Gelassenheit, also alles im Lot.
Vor ein paar Wochen dann fing das Übergeben wieder an.
Meist täglich, der Magen gurgelte nach den Mahlzeiten laut, Blutabnahme, neue Dosierung des Schilddrüsenhormons, Geduld haben.
Janis spuckte Mal mehr, und mal nicht, aber wenn, dann roch es erbärmlich, und meine Alarmglocke bimmelte jetzt sehr laut und deutlich.
Zurück aus Amsterdam stand als nächstes eine komplette Untersuchung auf dem Programm, welche diese Woche stattfinden sollte. Janis ging mir aber letzten Samstag plötzlich leicht in die Knie, sehr plötzlich war sie schwach und bekam Schlagseite. Ich rief die Tierärztin an, und machte als ihr Arm ein paar Tests mit ihr, und glaubte zu Wissen, dass sie aufgrund des Erbrechens ein wenig schwach im Magen war. Ein sehr guter Schluck Wasser mit Traubenzucker, einer Messerspitze Meersalz und das alles mit Milch eingefärbt brachte der Katze Elektrolyte, Blutzucker und Appetit zurück, der Sonntag verlief ruhig und so konnte man bis Montag warten.

Den Montag habe ich unten längst beschrieben, ab da Sorge und mein Versuch, positiv an die doch angstbesetzte Sache heranzugehen. Es sah ja auch gut aus. Gute Blutwerte, beim röntgen keine sichtbaren Geschwüre, Lunge frei, Katze guter Dinge und sehr kooperativ. Alle zufrieden.

Augen zu und durch, hab ich gedacht, und wir stiegen in Auto 'Ügo, und ich sag noch, dass der Sonnenschein und dieses tolle Wetter bei mir kein gutes Zeichen seien, weil in meinem Umfeld immer bei schönstem Wetter und gegen Mittag diese Dinge passieren. Trotzdem war ich ruhig und sagte mir die ganze Zeit, dass es ja jetzt nur besser werden könnte, setzte mich zu Hause an den Klapprechner, schrieb auf, was passiert war und spielte die Zeit über Runde um Runde Freecell und hatte Janis Spielfisch in der linken und das Mobilfon fest im Blick.
Sie sagten, sie würden spätestens um halb elf mit der Operation beginnen, der eine Arzt hätte sich krank gemeldet, die Chirurgin müsse einen Teil der Sprechstunde abfangen.
Um halb elf zählte ich jede Minute un drückte den Spielfisch.
Ich ging in Gedanken mit durch die erste Spritze, durch die Narkose, das betten der Katze, Tubus, Blutdruckmanschette, EKG, steril machen, Bauch rasieren, öffnen ...
Um halb zwölf dachte ich, jetzt wird richtig operiert, nicht mehr nur geschaut und dann angerufen.
Um Viertel vor zwölf ging ich mit dem Mobilfon durch den langen Flur zu M. rüber, und sagte, dass wir jetzt zeitlich auf der sicheren Seite wären, als das Mobile in meiner Hand klingelte.
Ich hörte zu und sagte, ich dachte, sie wären schon lange bei der OP, und sie sagte, es täte ihr leid, und jetzt würde man das ganze Ausmass sehen und neben dem einen Tumor hätte Janis auf dem gesamten Darm kleine Stäbchen, Gewebeveränderungen, Metastasen in den Startlöchern. Würde man sie nun operieren, würde das Gewebe mit diesen Veränderungen sehr sehr schlecht (wenn überhaupt) heilen.
Eine Darm-OP ist ein schwerer Eingriff, Katze Janis hätte lange Zeit nicht fressen und trinken dürfen, Infusion, schwere Medikamente, Schwäche und Schmerzen wären die nächsten zwei Wochen sicher gewesen.
Sie sagte, es täte ihr leid, und wenn es ihre Katze wäre, sie würde sie auch schlafen lassen.
Sie wäre ganz brav gewesen und ganz ruhig eingeschlafen.

Ich sagte, wir bräuchten fünf Minuten.

Ich sagte, lassen sie sie schlafen.
Ich dachte, jetzt stirbt sie friedlich, und ich bin nicht dabei.

Das alles ist der Kampf gegen Ego.
Ego will nicht gehen lassen, den Strohhalm nutzen, die 2%, die sie dann doch gehabt hätte.
Ego trauert weil Ego fehlt jetzt etwas.

Heute Morgen kam eine SMS einer Freundin:
Liebe heißt auch, loslassen können.
Sie ist jetzt bei Dizzy, freu Dich darüber und denke in Liebe an die beiden, und Danke für die langen Jahre, die Du mit ihnen hattest.


Heute Abend holen wir sie aus der Praxis, wo die OP stattfand. Dann werden wir sie, wie das Leaderfellchen auch, für die anderen mit nach Hause nehmen und hinlegen, damit der Rest vom Rudel weiß, das sie nun weg ist, und das sie nicht mehr suchen müssen.
Morgen fahren wir nach Holland und lassen sie verbrennen.
Bald stehen zwei Töpfe in der Küche zwischen den Kräutern.

Mein kleiner Trost: Sie hatte ein strotzgesundes Leben im Rudel, ihr fehlte kein Zahn, ihre Organe waren fit und ihr Gemüt immer sonnig. Sie wurde nie schlecht behandelt, und ich habe sie von der ersten Milchflasche, die ich ihr in den rosa Schlund stopfte, heiß und innig geliebt.
Ihren Namen bekam sie von Janis Joplin.

Und jetzt weiter ein- und ausatmen.
Ein und aus.