Freitag, 15. Dezember 2006

stadtdinge.

Sie schieben alle gegeneinander. Auf meiner Seite der Prachtallee, also rechts in Laufrichtung, nah bei den Auslagen hinter Hochglanzscheiben vor denen Security steht, dort läuft die Elite von morgen brav an Mutters Hand. Teenager mit auf brav geföhnter Doherty-Frisur tragen Taschen von hochkarätigen Designern, Italien baumelt an der Kordel neben Skandinavien, alle lächeln. An der Ampel liebevoller wegstrich durch Muters Hand gegen Goldlocke. Ihm ist es nicht peinlich, er scheint alles gewohnt zu sein.

Direkt daneben eine Jungfamilie mit Sonnenbank im Heim. Der Vater läuft breitbeinig, Mama auf zu hohen Heels, das Baby liegt unter Decken, unsichtbar. Vor jeder Auslage mit Schmuck zieht sie ihn wortlos und ruppig am Arm bis er neben ihr zum stehen kommt. Falsche Fingernägel auf blankem Glas, tippen hier und dort, sondieren innherhalb Bruchteilen einer Sekunde was schlecht und was ins Töpfchen.
Als ich an ihnen vorbei gehe, versuche ich einen Blick in die Tiefe des Kinderwagens. Ob Baby auch schon dunkelbraun ist? Ich kann nichts sehen, aber höre das Geräusch falscher Nägel mit Strass auf Glas.

Dann sind da die Niederlande. Alle hier, stöhnt der gemeine Düsseldorfer, und ich halte mich da raus. Ich zeige Wege zum Taxistand, bestaune die großen Zähne unserer nahen Nachbarn, helfe einer knarrigen Alten bei Starbucks ihren Kaffee zu finden, sowohl auf der Tafel, wie kurz darauf an der Ausgabe. Und denke, dass als Ausgleich der ganze Umkreis in den Niederlanden ist, zum einkaufen. Das alljährliche Feindbild im Weihnachtsstress ist immer der böse Holländer, der laute Nachbar. Fällt im Dorf ein Sack Reis um, dann war es in der Weihnachtszeit ganz sicher der Holländer. Selbst Mutter klagt, dabei war sie noch nicht mal in der Stadt. Wegen der Holländer.

Ich laufe seit geraumer Zeit mit einer Serviette in der Hand, geknüllt und gebraucht, ich wurde am Stand mit dem Flammkuchen schwach, und konnte noch nicht einmal etwas dafür.
Die Weihnachtsmärkte, die früher nur mal einer waren, sind nun überall, flächendeckend und um den Stadtbegeher drum herum gebaut. Die ganze Stadt eine einzige Fressbude mit der Möglichkeit auf gravierte Tassen mit Namen, die sich in den nächsten Jahren auch gravierend ändern werden. Man kommt dann mit Max, Paul und Marie und Lena aus, fertig.
Wie, sie heissen Susanne? Ham wa nich'.

Der nächste Laden den ich aufsuchen muss, liegt genau zwischen drei Weihnachtsmärkten. Ich stehe im Stau an einem Laden mit Handarbeit und komme mit der Frau ins Gespräch. Wie denn der Flammkuchen sei, und wo es den gibt. Mit meinem neu gewonnenen Düsseldorf-Patriotismus kaufe ich ihr einen Button ab. "Don't mess with De-dorf" steht auf der kleinen Fläche, daneben ein Revolver.
Passt zu meiner Stimmung und ich finde nach umrunden einer Eisbahn, die bei 13° leicht suppt, den Flammkuchenstand und meinen Laden. Ich wurde dazu durch einen Schlauch von auf fröhlich gestalteten Holzbuden geführt, alternative Wege waren durch Metallbarrieren gesperrt.

Anstehen, Flammkuchen misstrauisch beäugen, dann aber doch essen, weil Wartezeit und Geldaufwand zu hoch waren.
Mit der Flammkuchenserviette die Kö zurück, natürlich liegt die Grünstrasse wieder ganz hinten, ich reihe mich in den Fluss der Fussgänger ein. Die Serviette werde ich an keiner der wenigen Tonnen los, weil in jeder ein bedürftiger Körper kopfüber drin steckt und in diesen maßlosen Tagen massig hervor befördert. Halbe Pizzen, noch warm, Brötchen mit Krakauerflavour und Senfspuren, Starbucksbecher in XL, noch halbvoll, da komm ich doch nicht mit meiner fettigen Serviette ohne was drin und frag, ob mal eben wer rücken kann. Das hier ist Weihnachtsgeschäft auf allen Ebenen, und ich stopfe meine Serviette in das Müllfach meiner Tasche, finde dort Kleingeld, was ich dem nächsten Obdachlosen mit Hund in die Schale werfe.

Überdosiert mache ich mich nach meinem Einkauf auf den Rückweg, beschließe, zur Arbeit zu laufen. Eine gute halbe Stunde, wenn man nicht trödelt. Die nächste Hauptstrasse -natürlich- komplett verbarrikadiert mit fröhlichen Holzbuden mit genervten Menschen im Innern. Ich laufe Slalom bis mir schwindelig wird, kaufe mir einen Brownie für die Nerven und stöpsel mich an die Musik. Französische Chansons mit Plattenknistern, so geht es Kilometer um Kilometer. Bei einem bestimmten Lied schlage ich einen Haken in einen Hinterhof, die Stadt ist so laut, dass ich das Lied kaum höre.
Wat ham wa denn? fragt mich ein knurriger Mann im Blaumann.
Nichts, ich wollte nur kurz hier sitzen und was notieren, sage ich übertrieben freundlich. Nur nicht verjagen, nur zwei Minuten.

Und so zücke ich meinen Stift, in diesem Hinterhof, wische mir die Browniekrümel aus dem Schal und schreibe auf, dass ich in einem Hinterhof sitzen muss, um ein Lied hören zu können -