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Donnerstag, 9. November 2006
hamburgs eimer 9.
(mit besten Dank an dogfood, der mich frisch über die neuesten
tonnentrends aus meiner lieblingsstadt informierte.)
Lu lernt Französisch, Lektion 8.
"Helga? Helga, bist Du das etwa?" brülle ich drei Stockwerke hoch, als ich ein vertrautes Schnaufen weit über mir vernehme.
"J- Ja, ich-warte-auf---Dich." kam es atemlos, und dann hörte ich, wie Helga sich schwer auf die Stufen fallen ließ.
Als ich sie einhole, grinst sie mich breit an.
"Irgendwas ist anders..." sag ich.
"Ich, ich bin anders, ich war nämlich in Indien!"
Triumphierend strahlte sie durch das Treppenhaus mit Ostzonen-Charme.
Ich darauf gerade "Oh, echt? Und -"
da brüllte uns Marie aus dem sich öffnenden Aufzug an.
"A! A-A! Alors, Salut zusammöhn, was sitzöhn sie noch auf die Anzahl von Stuföh, ä? --- Treppen! Ha, isch meinöh die Trepp."
In ihrem Schweif aus Chanel gingen wir im Marschritt in den Klassenraum, sortierten Taschen und Kaffeebecher und ich überflog kurz die Runde. Helga war also doch noch im Bunde, Tis-Ta-Ro tippte auf einem klitzekleinen Mobiltelefon eine ganze Doktorarbeit und lächelte beseelt, Herr Blume wie immer mit verzweifeltem Gesichtsausdruck, diesmal mit Fokus auf sein Vokabelheft, und ich. Es fehlten noch die durchsichtige Eva, Olga und der Exil-Italiener.
"A! Alors, ca va bien?" sang mich Marie plötzlich und unvermittelt an.
"ICH? Neee, ähm, nee, ich meine ... Mist, was heißt denn eigentlich Nein, danke, es geht mir leidlich, und das Leben tat heute Morgen alles, auf das ich nicht zum Kurs komme, und nun bin ich doch hier, mein Blutdruck ist trotz 5 Stockwerke noch im Tiefschlaf, und mir fehlten exakt 3 Cent um mir den mittleren Latte to go kaufen zu können. Nein, es ginge mir besser, läge ich noch im Bett! ?"
Marie fror eine halbe Minute kurz ein. Das macht sie immer, wenn sie längere Passagen vom deutschen in ihre Muttersprache übersetzen musste, und ich trank einen Schluck Kaffee.
"A! Mal könnte man sagen." Sie lachte.
"Und das beschreibt all das, was ich gerade gesagt habe? Ein Wort für Morgenelend deluxe? Das ist ja wie bei Tis-Ta-Ro zu Hause. Stimmt doch, oder?"
Tis-Ta-Ro wurde zart rosa und sagte laut und deutlich "Tres bien, merci".
Na gut.
Es kam heraus, dass alle irgendwie an diesem Morgen zu kämpfen hatten, ich war also in prima Gesellschaft. Der Club der Gestrandeten, aber immerhin mit petit peu Kenntnissen in der französischen Sprache, in Krisenzeiten nicht zu verachten.
Und was soll ich sagen? Das war mit Abstand die lauteste, fröhlichste und verlachteste Unterrichtseinheit, die wir bis jetzt hatten. Olga kam, wie immer, genau zwanzig Minuten zu spät, und erklärte das erste mal, warum. Sie würde nie zu lange schlafen, auch wenn das sicher alle dächten, nein, sie bekäme (und jetzt wäre ein Podcast toll, weil wie sie dieses Wort gesagt hat:) Hypersensibilisierung. Danach kam erst einmal eine Kunstpause, so lang wie Olgas Wangenknochen, und dann zeigte sie ihrem erstaunten Publikum die Stelle der Spritze, fügte noch eine Kurze Exkursion über ihren Bauch, den sie als zu prallen Makel bemängelte, hinzu und schmiss sich mit einem "ausserdem habe ich Allergie gegen Katze!" direkt neben mich.
Ich hielt mich schweigend zurück und zuppelte ganz vorsichtig ein paar Katzenhaare von meinem Pullover, entsorgte diese aber zu meiner linken, Richtung Helga. Ich dachte, wenn diese durch Indien gereist ist, hat sie entweder nie eine Allergie gegen Fell gehabt, oder ist jetzt davon befreit. Helga hustete nicht, alles bestens.
Überhaupt Helga. Immer wenn wir uns abfragen mussten, was wir denn mögen würden, und was so gar nicht ginge (Teil der Übungen, nix privates), hatte ich ausreichend Zeit, Helga anzuschauen. Sie hatte sich verändert. Ihre eher biederen Anziehsachen (Typ: nicht auffallen, aber läßt sich um die 30 jahre auftragen) hatte sie nun eingetauscht gegen ganz viel rot, sonnigem orange und vor allem Tücher. Die ganze gute Helga wirkte mehr so gewickelt, und ich dachte an die Aussage, die ich schon öfters im Leben hörte, nämlich das keiner als derselbe Mensch aus Indien zurückkehren würde.
Hat also auch bei Helga gewirkt, dieses Indien, ich fands gut, rot steht ihr, Tücher auch.
Irgendwann ein empörtes Hämmern an der Tür. Der Kurs nach uns war dran, wir hatten über unsere ganzen "Elle aime, elle aime beaucoup, elle adore" und "il" natürlich auch, die Zeit vergessen, und der Kurs nach uns war stinkig und ließ seinen Frust durch Hämmern an der Tür aus. Ich erwähne an dieser Stelle, und das völlig wertfrei, dass dieser Kurs einzig aus Menschen um die 70 besteht, die kochen lernen. Theoretisch. Weil es gibt in dem Raum keine Küche, nur eine Tafel, und da stand neulich ein Rezept für Kartoffelbrei drauf. Hat Marie gesagt. Mehr sage ich dazu nicht.
Heute gelernt: Olga n'aime pas les chats und gerade an den ganz bösen Tagen ist ein Französischkurs gut für das in der Pfütze spielende Seelchen.
"J- Ja, ich-warte-auf---Dich." kam es atemlos, und dann hörte ich, wie Helga sich schwer auf die Stufen fallen ließ.
Als ich sie einhole, grinst sie mich breit an.
"Irgendwas ist anders..." sag ich.
"Ich, ich bin anders, ich war nämlich in Indien!"
Triumphierend strahlte sie durch das Treppenhaus mit Ostzonen-Charme.
Ich darauf gerade "Oh, echt? Und -"
da brüllte uns Marie aus dem sich öffnenden Aufzug an.
"A! A-A! Alors, Salut zusammöhn, was sitzöhn sie noch auf die Anzahl von Stuföh, ä? --- Treppen! Ha, isch meinöh die Trepp."
In ihrem Schweif aus Chanel gingen wir im Marschritt in den Klassenraum, sortierten Taschen und Kaffeebecher und ich überflog kurz die Runde. Helga war also doch noch im Bunde, Tis-Ta-Ro tippte auf einem klitzekleinen Mobiltelefon eine ganze Doktorarbeit und lächelte beseelt, Herr Blume wie immer mit verzweifeltem Gesichtsausdruck, diesmal mit Fokus auf sein Vokabelheft, und ich. Es fehlten noch die durchsichtige Eva, Olga und der Exil-Italiener.
"A! Alors, ca va bien?" sang mich Marie plötzlich und unvermittelt an.
"ICH? Neee, ähm, nee, ich meine ... Mist, was heißt denn eigentlich Nein, danke, es geht mir leidlich, und das Leben tat heute Morgen alles, auf das ich nicht zum Kurs komme, und nun bin ich doch hier, mein Blutdruck ist trotz 5 Stockwerke noch im Tiefschlaf, und mir fehlten exakt 3 Cent um mir den mittleren Latte to go kaufen zu können. Nein, es ginge mir besser, läge ich noch im Bett! ?"
Marie fror eine halbe Minute kurz ein. Das macht sie immer, wenn sie längere Passagen vom deutschen in ihre Muttersprache übersetzen musste, und ich trank einen Schluck Kaffee.
"A! Mal könnte man sagen." Sie lachte.
"Und das beschreibt all das, was ich gerade gesagt habe? Ein Wort für Morgenelend deluxe? Das ist ja wie bei Tis-Ta-Ro zu Hause. Stimmt doch, oder?"
Tis-Ta-Ro wurde zart rosa und sagte laut und deutlich "Tres bien, merci".
Na gut.
Es kam heraus, dass alle irgendwie an diesem Morgen zu kämpfen hatten, ich war also in prima Gesellschaft. Der Club der Gestrandeten, aber immerhin mit petit peu Kenntnissen in der französischen Sprache, in Krisenzeiten nicht zu verachten.
Und was soll ich sagen? Das war mit Abstand die lauteste, fröhlichste und verlachteste Unterrichtseinheit, die wir bis jetzt hatten. Olga kam, wie immer, genau zwanzig Minuten zu spät, und erklärte das erste mal, warum. Sie würde nie zu lange schlafen, auch wenn das sicher alle dächten, nein, sie bekäme (und jetzt wäre ein Podcast toll, weil wie sie dieses Wort gesagt hat:) Hypersensibilisierung. Danach kam erst einmal eine Kunstpause, so lang wie Olgas Wangenknochen, und dann zeigte sie ihrem erstaunten Publikum die Stelle der Spritze, fügte noch eine Kurze Exkursion über ihren Bauch, den sie als zu prallen Makel bemängelte, hinzu und schmiss sich mit einem "ausserdem habe ich Allergie gegen Katze!" direkt neben mich.
Ich hielt mich schweigend zurück und zuppelte ganz vorsichtig ein paar Katzenhaare von meinem Pullover, entsorgte diese aber zu meiner linken, Richtung Helga. Ich dachte, wenn diese durch Indien gereist ist, hat sie entweder nie eine Allergie gegen Fell gehabt, oder ist jetzt davon befreit. Helga hustete nicht, alles bestens.
Überhaupt Helga. Immer wenn wir uns abfragen mussten, was wir denn mögen würden, und was so gar nicht ginge (Teil der Übungen, nix privates), hatte ich ausreichend Zeit, Helga anzuschauen. Sie hatte sich verändert. Ihre eher biederen Anziehsachen (Typ: nicht auffallen, aber läßt sich um die 30 jahre auftragen) hatte sie nun eingetauscht gegen ganz viel rot, sonnigem orange und vor allem Tücher. Die ganze gute Helga wirkte mehr so gewickelt, und ich dachte an die Aussage, die ich schon öfters im Leben hörte, nämlich das keiner als derselbe Mensch aus Indien zurückkehren würde.
Hat also auch bei Helga gewirkt, dieses Indien, ich fands gut, rot steht ihr, Tücher auch.
Irgendwann ein empörtes Hämmern an der Tür. Der Kurs nach uns war dran, wir hatten über unsere ganzen "Elle aime, elle aime beaucoup, elle adore" und "il" natürlich auch, die Zeit vergessen, und der Kurs nach uns war stinkig und ließ seinen Frust durch Hämmern an der Tür aus. Ich erwähne an dieser Stelle, und das völlig wertfrei, dass dieser Kurs einzig aus Menschen um die 70 besteht, die kochen lernen. Theoretisch. Weil es gibt in dem Raum keine Küche, nur eine Tafel, und da stand neulich ein Rezept für Kartoffelbrei drauf. Hat Marie gesagt. Mehr sage ich dazu nicht.
Heute gelernt: Olga n'aime pas les chats und gerade an den ganz bösen Tagen ist ein Französischkurs gut für das in der Pfütze spielende Seelchen.
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