Mittwoch, 10. November 2004

stiefel und nylons

sie schmiss sich in der bahn geräuschvoll auf den 4er-sitz direkt rechts neben mir, und das erste was ich von ihr wahrnahm waren ihr hohen stiefel und ihr stolz.
sie selbst war unauffällig, langweilige haarfarbe, irgendetwas rausgewachsenen mit aubergine-anteil, triste frisur, viel zu viel make-up, angedickte hüften und unförmiger hintern in stretchjeans. aber all das war drittranging, weil sie hatte neue schuhe, das war deutlich spürbar, die luft brannte, während sie mit den absätzen auf den boden tippte.
tack-tack-tack.
ihre stiefel hatte sie neu, ganz sicher. sie wird in einem schuhladen gestanden haben, auf der suche nach soliden winterboots, irgendwas warmes und in beige, die gibt’s ja gerade oft, die sind in diesen winter.
und dann blieb sie vor diesen stehen, genau vor diesem paar. es wird ein 20% rabatt schild in orange an der seite gehabt haben, und sie haderte, ob sie und wie sie und wozu tragen? ihr wird dieser eine kollege eingefallen sein, dieser dunkelhaarige aus der abteilung neben ihrer. sie wird sich seinen blick vorgestellt haben, wie er ihr mit seinem blick durch den gang gefolgt wäre, tack-tack-tack , die phantasie an den absätzen, tack-tack-tack.
er hatte sie nie länger wie nötig angeschaut, aber mit diesen stiefeln könnte sie das ändern.
all das wird ihr durch den kopf gegangen sein, während sie still das rabatt-schild zwischen ihrem daumen und zeigefinger gedrückt hätte, ihre mutter im ohr, das wäre doch alles nuttenzeugs, so was trägt ein mädchen nicht, das etwas auf sich hält. dann der ruck, raus aus den beigen tretern, das kalte leder an den nackten waden spüren.
sie wird aufgeregt gewesen sein, als sie den langen reißverschluss centimeter für centimeter hochzog, sie wird es gemerkt haben, dieses gefühl, etwas anzuziehen, was eindeutig ist, einen zweck erfüllen soll, vielleicht das letzte ist, was sie einmal anlassen soll, wer weiß.
dann wird sie schnell den zweiten angezogen haben, dieses unsichere gefühl beim aufstehen, die absätze zu hoch, sie trägt doch nur flach, ansonsten. ein paar schritte, einmal den gang zwischen den anderen frauen hindurch, die ebenfalls mit gebückten rücken auf kleinen sitzmöbeln hockten, schuhe und taschen um sich verteilt, die haare im gesicht, rote wangen, weiberglück schuhkauf. sie wird unsicher gelaufen sein, die fesseln hatten nicht den gewohnten halt, wackelten ein wenig, und ihr wird diese artikel in der zeitung einfallen, dass männer frauen in hohen schuhen aus zwei gründen anziehend fanden, der unsichere gang und der hochgestuppte hintern, stammhirn-alarm, alle mann an deck.
sie wird den preis überdacht haben um zeit zu schinden, 20% rabatt von 79,00 euro, und verdammt, werde ich jemals mehr als fünf meter am stück würdevoll in diesen teilen laufen können ? ich könnte ja auch sitzen bleiben, schuhe zum herumsitzen, was solls.
noch ein paar momente wird sie gehadert haben, beide stiefel ausgezogen in den händen wiegend, ihre körperwärme noch im material spürend, und dann auf socken zur kasse gegangen sein, ja, ich lass’ sie gleich an, danke.
beim zweiten mal anziehen war es dann fast schon vertraut, leder auf haut, zurechtgedrückter jeansstoff unter dem leder, ihrem leder, frisch erbeutet.
tack-tack-tack. Sie fühlte sie wie die hure der fussgängerzone, attraktiv und unnahbar, die stiefel waren eye-catcher und schutz in einem. alle schauten sie an,
tack-tack-tack.

als sie ich sie einsteigen sah, fiel mir ihr stolz auf, ihr stolz auf ihre stiefel. Der stolz machte sie selbstsicher, und das machte sie auf ihre art sexy. sie schlug die beine so übereinander, dass jeder sie sehen konnte, während sie mit glühenden wangen wohinauchimmer fuhr. und ich sass da und musste an früher denken, an meine ersten stiefel, an meine erste lederhose, an wäschekauf in erotik-shops, weil woanders gab es die klamotten nicht, die frau vor gefühlten 120 jahren in der schwarzen szene anzog. dünnes leder, latex, gummi, hohe stiefel, schwarz und eng. das material ist kalt wenn man es anzieht, ungemütlich und verursacht mindestens drei mal gänsehaut. nach ein paar minuten nimmt es die körpertemperatur an, heizt diese noch zusätzlich auf. sie wird warm und geschmeidig, dehnt sich wie das ego, beides wird warm miteinander und es fühlt sich einzigartig an, zweckgebunden, nur für den abend, ausgehen. tanzen. zeigen.
tack-tack-tack sie stieg aus und stolperte, hielt sich am erstbesten menschen fest der in greifbarer nähe stand, und es war ein mann, und er lächelte ihre stiefel an, und sie lächelte ihn an, und dann verschwanden sie aus dem sichtfeld, und ich kuschelte mich gemütlich und warm in meinen schlammfarbenen mantel, und sah mich in der fensterscheibe grinsen, weil ich heute noch nicht einmal kunstfasern und plastik in pullovern dulde, und nylons nur unter stiefeln - aber das hatten wir ja schon.


9:20

schnee !