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Donnerstag, 11. Dezember 2008
reisenotizen/ oberambach, oder 'im namen der traube'
Als ich sonntags in aller Frühe aus dem Düsseldorf fahre, winkt es mir grimmig mit Schneeregen hinterher. "Tschüß, dachte ich, und das Düsseldorf so "Hau nur ab, Lu. Woanders ist es auch nicht doller."
So passierte ich Köln, und das Bonn, und Frankfurt, Nürnberg und all diese Städte. Mit im ICE-Huckepack ein sehr großes Rudel vitaler Rentner, die sich morgens um acht den ersten Advent des Jahres mit Apfelschnaps und Teelichtern nett und hell machten.
Alle zehn Minuten hörte man ein Prost, und das ja keiner auf nur einem Bein stehen könnte, und nach einer guten Stunde nur noch leises Schnarchen und im Takt zuckende Teelichtflämmchen.
Bis nach München war das mit dem Zug fahren auch sehr einfach. Aber dann! Gleis 2 sagt meine Reiseverbindung, Gleis 2 Tiefebene, S-Bahn. Gut, dachte ich, und schleppe Sack, Pack und mich in die tiefsten Ebenen des Münchens, stand dann so rum, und was sagt die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher?
Nichts, was ich gut verstanden hätte. Aber Flügelbahnhof und dreißig, das verstand ich gerade noch mit allen aufs Zerreißen gespannten Sinnen.
"Hilfe" sag ich zu dem Ehepaar neben mir, und dass ich nach Wolfratshausen müsse, und was hat die Lautsprecherstimme da gerade mit allem gemeint?
"Ihrer Zug doa fällt aus, und rennens ma eben noah hinterher.", sagt der Greis, und was soll ich sagen? Er rannte flink wie ein wild gewordener bavarischer Frischling durch diesen gefühlt riesigen Bahnhof Münchens, und ich immer hinterher, und die rotwangige Dame mit Dutt hinter mir, dicht an meinen Fersen, das war wohl auch eine Familienangehörige, wenn nicht sogar seine Frau oder Trainingspartnerin. Jedenfalls rannten wir in der Rotte, und als ich fit aber schnaufend auf Gleis 36, oberirdisch und irgendwie flügelig, in die S-Bahn einrannte, kamen hinter mir noch zwei ganze Paare grauhaariger, die das Spiel wohl schon kannten, mir eine gute Fahrt wünschten und sagten, das sei Montags bis Freitags normal, aber an einem Sonntag wie heute wohl eine Ausnahme.
Aha.
Im hellen sah ich von München also gerade noch die Ausfahrt Hauptbahnhof und ein Mercedes- wie ARD Gebäude (oder war es der BR?), und dann nur noch Dunkelheit und Haltestellen mit seltsamen Namen.
45 Minuten entlang.
Dann Wolfratshausen.
Und dann nichts mehr.
Ich brauchte ein Taxi, aber da war weder ein fest installierter Taxi-Stand, noch ein Notruf nach einem Mietwagen nebst Fahrer, noch eine helle Lampe für das weibliche Befinden in fremden Dörfern.
Ich sprach alle Seelen an, die mir näher als 15 Meter kamen. Eine davon, eine Frau mit mildem Blick, gab mir geduldig eine Telefonnummer, falls das nicht eintreffe, von dem alle anderen locker meinten, dass das der Normalfall wäre.
Nämlich, dass dort in der dunklen Biege hinter dem Gleis Taxis stünden, die nur darauf warten würden, das Menschenkinder und Stadtfrauen wie ich auf ihre Dienste angewiesen wären. Nur heute für mich: Ausnahme.
Ich stand also dort in der Schwärze des Abends und dachte an warme Restaurants und mein gebuchtes Zimmer ein paar Meilen weiter, und wollte gerade diese frisch geschenkte Nummer wählen, als ein Großraumtaxi langsam in meine Richtung fuhr.
Kein Licht an, Taxischild in totale Dunkelheit gehüllt, und ich dachte "Wurscht, Bayrische!" und warf mich mit allem Gepäck in die Biegung der Kurve und gab mich sehr großstädtisch, schrie also aus Leibeskräften TAAAXIII! Und der Fahrer so, jaja, wäre ja gut, er wär ja da.
Der Fahrer großer Tierfreund, überfuhr keine der gefühlt 100 Katzen, die in dunklen, bayrischen Waldwegen unsere Route zu Fuß durchkreuzten. Überfährt auch keine Kröten, und ich sag, das wär ja klasse, ich nämlich auch nicht, und ab da waren wir Freunde, da passte kein Blatt Papier mehr zwischen seine Weltanschauung und meine. Froschfreunde halten zusammen, weltweit.
Aber da passte auch kein Ton mehr zwischen seine Musik und meiner Auffassungsgabe.
Er: "Hören sie die Musik?"
Ich: "Klar, ist ja laut genug."
Er: "Das bin ich."
Ich: "Echt?"
Er: "Hm."
Ich: "Ich zwinge meinen M. irgendwann dazu, wieder Klavier zu spielen und Stunden zu nehmen. Ich möchte später einen Mann, der mir abends gut zuspielt, während ich den Rotwein heimlich leer mache."
Er: "Oh, ich habe das nie gelernt."
Ich: "Hm."
Er: "Ich spiele in einer Art Trance."
Ich: "Wie bitte?"
Er: "Und, und das macht sonst so auch keiner, und ich spiele NUR die weißen Tasten."
Ich: "Und was haben sie gegen die schwarzen?"
Er: "Nichts, aber ich spiele sie nicht…"
Ich: "Da liegt doch was im Argen."
Er: "…und kein Lied ist wie das andere. Ich spiele jedes anders."
Nach ein paar Mal Einbiegen in sehr dunkle Waldwege waren wir da, und ich dachte super, hat mich doch kein irrer Esoteriker mitten in Bayern ums Leben gespielt, und dann sagt er hier, ich schenk ihnen meine CD, und dann schalt ich mich kurz aber heftig für meine Großstadtparanoia und sagte artig Danke, und er wünschte mir viel Glück und dann war ich im Hotel, und dann im Restaurant, Zeitung, Essen, all das und dann war Ruhe im Karton.
Ich ging mit dem Satz "Wir spülen nur mit Regenwasser" schlafen und fiel in einen biologisch wertvollen, aber unruhigen Schlaf.
Ich: "Gott?"
Gott: "Ja?"
Ich: "Welcher ist eigentlich Dein liebster Wein?"
Gott: "Lu, Das müsstest Du mir doch sagen können. Durchgefallen. Ab in die Hölle."
3Uhr45. Einmal Regenwasser benötigt und dann zurück in die zu weiche Matratze gesunken. Übermorgen Prüfung und das Gefühl, nicht nur zu wenig, sondern quasi richtig viel zu wenig gelernt zu haben lag auf meiner freien Seite und schlief den tiefen Schlaf der Unschuldigen. Ich drehte mich auf links, dann auf rechts, dann wieder links, dann
Ich: "Gott?"
Gott: "Lu?"
Ich: "Und was, wenn ich vielleicht wüsste, was Du magst?"
Gott: "Lass hören."
Ich halte plötzlich eine Flasche in der Hand, entkorke schwungvoll, gieße in die aus dem Nichts auftauchenden Gläser je eine gute Pfütze ein und höre mich "Prösterchen" rufen. Gott nimmt einen kräftigen Schluck, ich auch, und dann schaut er mich an.
Lang.
Stumm.
Abwartend.
"Okay", sage ich, "okay."
Okay, denke ich, okay, jetzt muss aber ein Showelement her, das ist schließlich Gott. Verdrehe also gekonnt die Augen, spüle kräftig den Wein nach links, dann nach rechts, mache einen spitzen Mund, zische mit Luft und sage:
"Hmmm!"
Gott leert sein Glas in einem Zug, zieht Luft, bleibt aber stumm und sieht mich an.
Ich, schlürfend und vor Vergnügen brummend: "Was für ein ROT! Wie frisches Ochsenblut. Wie zertretene Blaubeeren."
Gott schaut mich neugierig an. Ich laufe zur Hochform auf.
Ich: "Kirschig, Zwetschig, Himbeerig, und irgendwo dahinter kalter Stall. Suppe, Nebel und eine Note von Dung und Rohöl."
Gott: "Och."
Ich: "Ja. Phantastisch! Schmeckt?"
Gott: "Naja."
Ich: "Okay, hier ein anderer, direkt aus dem Tal daneben, aber Hallo? Alles andere als ein Nachbar."
Ich gieße ein, und -
5Uhr12. Zeit für Regenwasser. Was ist das nur für ein stetes Brummen in meinem Zimmer, das macht mich schier wahnsinnig. Ich stehe mit Ohr und Schulter an der Wand, woher der Lärm entfleucht.
Der Nachbar scheint durchgehend auf dem Topf zu sitzen, und ab 60 Sekunden dröhnt da die hoteleigene Lüftung los.
Ich, um meinen Schlaf und um Gottes Gunst kämpfend, trete also beherzt in meinen IKEA-Schlafanzug gehüllt auf den Hotelflur um meinen Zimmernachbarn vom Lokus zu klopfen, und: stehe vor dem Fahrstuhl.
Mein direkter Nachbar ist der Fahrstuhl, und das Brummen kein Lokuslüfter, sondern das Herz seiner Mechanik.
Seufzend zurück in die biologisch warmen Federn, und das im stockdunkeln, weil der Elektrosmog-AUS-Schalter direkt neben dem Bett ist, und dieses in der hintersten Ecke des Zimmers, aber wofür hat man Hände und Füße, die man sich stoßen kann.
Zzzz...
Ich gieße ein, und Gott trinkt, ich trinke, und weil Gott wieder abwartend schweigt, rufe ich "Hier, ein Franzose!" und Gott: "Cheerio", und dann eine lange Stille.
Wir spülen und belüften, wir drehen Augen und gurgeln.
Dann Gott, ganz hingerissen: "Pralle Textur. Wild, gleichzeitig dieses Sanfte, wie ein kastrierter Panther. Ich schmecke Stein und Winzerschweiß, das sterbende Holz eines Mischwaldes und die kräftige Note eines einsam streunenden Wildschweins. Im Hintergrund, mitten im Abgang: Nashornkäfer. Da schmecke ich so um die fünf."
Eingeschüchtert schenke ich nach, kippe mein Glas auf Ex, belüfte und spüle und kneife ein Auge zusammen.
"Hmmm", sage ich, "nicht schlecht lieber Gott, aber ich habe da noch mehr auf der Zunge. Was sagst Du zu den feinstaubigen Tanninen, die ledrig am Gaumen pulsieren? Irgendwie pompös, aber unbestritten sexy.
Ein Geschmack wie eine räudige –"
6Uhr37. Fahrstuhl, Regenwasser, das ganze Programm.
Ich beschließe trotzig, wach zu bleiben, hole aus der Dusche noch mehr Wasser raus und gehe mit gezückter Gabel eine Stunde später durch das komplette Frühstücksbuffet. Nachtarbeit macht hungrig. Morgenspaziermärsche auch.
(Montagsaussicht die Erste, der Starnberger See.)
(Montagsaussicht die Zweite.)
Montag durchgehend: Fragen stellen und ein kurzer Abriss der letzten Monate Seminar. Man ist ja nicht zum Spaß da.
Haben wir trotzdem, wenn auch teilweise jeder für sich.
Spontane Blitzeingebung eines Buches, gefüllt mit Sprüchen eines Trinkers, eine Art hübsch gedrucktes Tagebuch mit Illustrationen.
„Das Geräusch aneinanderklirrender Weinflaschen lockte mich gestern Abend in den Nachbargarten.
Zunächst geduldet, trank ich allen süßen Wein. Sowie ich aber anfing, den Nachbarn von Schrödingers Katze und den Wundern der Quantenwelt zu berichten (wobei ich bedauerlicherweise bis zum Ellenbogen im Dekolleté der Tochter des Hauses stecken blieb), warfen sie mich über die Hecke.
Mildtätige Zwerge fanden mich und pflegten mich in ihrer Höhle gesund.“
Ich habe keinen Schimmer, mildtätige Leser, aber ich bin mir sicher, Gott steckte hinter dieser prompten Eingebung.
Abends Essen, nachts Fahrstuhl, dazwischen eine zu früh ausgeknipste WLAN-Verbindung (Danke liebes Hotel, meine Soap zur Entspannung war grad fünf Minuten alt, als mein Laptop sah, das es abgeschnitten war und somit als Fernseher undenkbar.).
Viel gewälzt und an dieses Buch gedacht.
„Stimme aus der Steckdose gehört.
Werde ich wahnsinnig? Wein, Wein.“
Am nächsten Morgen und nach Wellen von verzweifelt gespültem Regenwasser war er da, der Prüfungstag. Alle blindlings übermüdet, auch ohne Fahrstuhlschacht. Meine Lieblingsönologin hat sich die Nacht mit der Energiespartaste und dem stur schweigendem Fernseher um die Ohren geschlagen, die andere hatte es zu warm,
die nächste zu wach, und ich – aber das wissen wir ja schon. Nur Gott zechte diese Nacht wohl mit wem anders.
Prüfung viel gekreuzt, zwei Blockaden in der Größe eines Tankschiffs, der praktische Teil wuppte nur so, und dann war auch schon alles rum.
Köstliches Highlight 2008, das war’s dann schon mit dir?
Wir schlugen uns gemeinsam durch Länder und Neigen, durch die Nahe und durch Zeulenroda. Wir saßen Schulter an Schulter über gefühlte Jahre in ICEs und wer war da, wenn es nach Bayern ging? Genau.
Du puscheliges Highlight.
Kurz gesagt: Bestanden. Mitten in Oberambach und einfach so. Mit Bravour, wie mir ein Vöglein zwitscherte.
Während kurz darauf ein Taxifahrer meinte, vier Menschen mit knappen 200 Sachen auf Münchens Hauptbahnhof zuschießen zu müssen, dachte ich so "Gott?"
Und er "Hicks", und ich "Jetzt pass aber mal kurz auf!" und er, lallend "Erst ein Gedicht!", und das einzige, was thematisch jetzt passte und mir unheimlich spontan einfiel war:
„Unbekannte Frau in der Fußgängerzone verbot mir, in ihren Armen zu sterben. Wenig schöne Szene.
Danach Glühwein und rücksichtslose Kirchenkritik auf dem Weihnachtsmarkt. Schürfwunden.“
Gott lachte donnernd los, dann schon der Bahnhof in Sicht, ich noch ein paar Stündchen durch München getingelt, ein kurzes Selbstportrait in einem Klospiegel bei Starbucks, und dann tief zufrieden sechs Stunden im ICE Zeit totgeschlagen.
Ich bin jetzt diplomierte Sommelière.
Und die anderen hoffentlich auch.
Machs gut, Gott.
Und macht’s gut, ihr wackeren Mitspucker/Innen, ihr Dozenten, Organisatoren, Weinbeschaffer, Hotelinhaber, Bio-Köche, Serviceleute, Wettermacher und Lieblingsönologinnen.
(Sämtliche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und tollen Orten sind natürlich völlig gelogen und aus Versehen, und auch dieses Bayern scheint es so nicht wirklich zu geben, ich meine, schauen sie sich doch nur einmal diese Sache mit dem Wolpertinger an.
Mit sehr heiteren Grüßen: die Autorin.)
So passierte ich Köln, und das Bonn, und Frankfurt, Nürnberg und all diese Städte. Mit im ICE-Huckepack ein sehr großes Rudel vitaler Rentner, die sich morgens um acht den ersten Advent des Jahres mit Apfelschnaps und Teelichtern nett und hell machten.
Alle zehn Minuten hörte man ein Prost, und das ja keiner auf nur einem Bein stehen könnte, und nach einer guten Stunde nur noch leises Schnarchen und im Takt zuckende Teelichtflämmchen.
Bis nach München war das mit dem Zug fahren auch sehr einfach. Aber dann! Gleis 2 sagt meine Reiseverbindung, Gleis 2 Tiefebene, S-Bahn. Gut, dachte ich, und schleppe Sack, Pack und mich in die tiefsten Ebenen des Münchens, stand dann so rum, und was sagt die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher?
Nichts, was ich gut verstanden hätte. Aber Flügelbahnhof und dreißig, das verstand ich gerade noch mit allen aufs Zerreißen gespannten Sinnen.
"Hilfe" sag ich zu dem Ehepaar neben mir, und dass ich nach Wolfratshausen müsse, und was hat die Lautsprecherstimme da gerade mit allem gemeint?
"Ihrer Zug doa fällt aus, und rennens ma eben noah hinterher.", sagt der Greis, und was soll ich sagen? Er rannte flink wie ein wild gewordener bavarischer Frischling durch diesen gefühlt riesigen Bahnhof Münchens, und ich immer hinterher, und die rotwangige Dame mit Dutt hinter mir, dicht an meinen Fersen, das war wohl auch eine Familienangehörige, wenn nicht sogar seine Frau oder Trainingspartnerin. Jedenfalls rannten wir in der Rotte, und als ich fit aber schnaufend auf Gleis 36, oberirdisch und irgendwie flügelig, in die S-Bahn einrannte, kamen hinter mir noch zwei ganze Paare grauhaariger, die das Spiel wohl schon kannten, mir eine gute Fahrt wünschten und sagten, das sei Montags bis Freitags normal, aber an einem Sonntag wie heute wohl eine Ausnahme.
Aha.
Im hellen sah ich von München also gerade noch die Ausfahrt Hauptbahnhof und ein Mercedes- wie ARD Gebäude (oder war es der BR?), und dann nur noch Dunkelheit und Haltestellen mit seltsamen Namen.
45 Minuten entlang.
Dann Wolfratshausen.
Und dann nichts mehr.
Ich brauchte ein Taxi, aber da war weder ein fest installierter Taxi-Stand, noch ein Notruf nach einem Mietwagen nebst Fahrer, noch eine helle Lampe für das weibliche Befinden in fremden Dörfern.
Ich sprach alle Seelen an, die mir näher als 15 Meter kamen. Eine davon, eine Frau mit mildem Blick, gab mir geduldig eine Telefonnummer, falls das nicht eintreffe, von dem alle anderen locker meinten, dass das der Normalfall wäre.
Nämlich, dass dort in der dunklen Biege hinter dem Gleis Taxis stünden, die nur darauf warten würden, das Menschenkinder und Stadtfrauen wie ich auf ihre Dienste angewiesen wären. Nur heute für mich: Ausnahme.
Ich stand also dort in der Schwärze des Abends und dachte an warme Restaurants und mein gebuchtes Zimmer ein paar Meilen weiter, und wollte gerade diese frisch geschenkte Nummer wählen, als ein Großraumtaxi langsam in meine Richtung fuhr.
Kein Licht an, Taxischild in totale Dunkelheit gehüllt, und ich dachte "Wurscht, Bayrische!" und warf mich mit allem Gepäck in die Biegung der Kurve und gab mich sehr großstädtisch, schrie also aus Leibeskräften TAAAXIII! Und der Fahrer so, jaja, wäre ja gut, er wär ja da.
Der Fahrer großer Tierfreund, überfuhr keine der gefühlt 100 Katzen, die in dunklen, bayrischen Waldwegen unsere Route zu Fuß durchkreuzten. Überfährt auch keine Kröten, und ich sag, das wär ja klasse, ich nämlich auch nicht, und ab da waren wir Freunde, da passte kein Blatt Papier mehr zwischen seine Weltanschauung und meine. Froschfreunde halten zusammen, weltweit.
Aber da passte auch kein Ton mehr zwischen seine Musik und meiner Auffassungsgabe.
Er: "Hören sie die Musik?"
Ich: "Klar, ist ja laut genug."
Er: "Das bin ich."
Ich: "Echt?"
Er: "Hm."
Ich: "Ich zwinge meinen M. irgendwann dazu, wieder Klavier zu spielen und Stunden zu nehmen. Ich möchte später einen Mann, der mir abends gut zuspielt, während ich den Rotwein heimlich leer mache."
Er: "Oh, ich habe das nie gelernt."
Ich: "Hm."
Er: "Ich spiele in einer Art Trance."
Ich: "Wie bitte?"
Er: "Und, und das macht sonst so auch keiner, und ich spiele NUR die weißen Tasten."
Ich: "Und was haben sie gegen die schwarzen?"
Er: "Nichts, aber ich spiele sie nicht…"
Ich: "Da liegt doch was im Argen."
Er: "…und kein Lied ist wie das andere. Ich spiele jedes anders."
Nach ein paar Mal Einbiegen in sehr dunkle Waldwege waren wir da, und ich dachte super, hat mich doch kein irrer Esoteriker mitten in Bayern ums Leben gespielt, und dann sagt er hier, ich schenk ihnen meine CD, und dann schalt ich mich kurz aber heftig für meine Großstadtparanoia und sagte artig Danke, und er wünschte mir viel Glück und dann war ich im Hotel, und dann im Restaurant, Zeitung, Essen, all das und dann war Ruhe im Karton.
Ich ging mit dem Satz "Wir spülen nur mit Regenwasser" schlafen und fiel in einen biologisch wertvollen, aber unruhigen Schlaf.
Ich: "Gott?"
Gott: "Ja?"
Ich: "Welcher ist eigentlich Dein liebster Wein?"
Gott: "Lu, Das müsstest Du mir doch sagen können. Durchgefallen. Ab in die Hölle."
3Uhr45. Einmal Regenwasser benötigt und dann zurück in die zu weiche Matratze gesunken. Übermorgen Prüfung und das Gefühl, nicht nur zu wenig, sondern quasi richtig viel zu wenig gelernt zu haben lag auf meiner freien Seite und schlief den tiefen Schlaf der Unschuldigen. Ich drehte mich auf links, dann auf rechts, dann wieder links, dann
Ich: "Gott?"
Gott: "Lu?"
Ich: "Und was, wenn ich vielleicht wüsste, was Du magst?"
Gott: "Lass hören."
Ich halte plötzlich eine Flasche in der Hand, entkorke schwungvoll, gieße in die aus dem Nichts auftauchenden Gläser je eine gute Pfütze ein und höre mich "Prösterchen" rufen. Gott nimmt einen kräftigen Schluck, ich auch, und dann schaut er mich an.
Lang.
Stumm.
Abwartend.
"Okay", sage ich, "okay."
Okay, denke ich, okay, jetzt muss aber ein Showelement her, das ist schließlich Gott. Verdrehe also gekonnt die Augen, spüle kräftig den Wein nach links, dann nach rechts, mache einen spitzen Mund, zische mit Luft und sage:
"Hmmm!"
Gott leert sein Glas in einem Zug, zieht Luft, bleibt aber stumm und sieht mich an.
Ich, schlürfend und vor Vergnügen brummend: "Was für ein ROT! Wie frisches Ochsenblut. Wie zertretene Blaubeeren."
Gott schaut mich neugierig an. Ich laufe zur Hochform auf.
Ich: "Kirschig, Zwetschig, Himbeerig, und irgendwo dahinter kalter Stall. Suppe, Nebel und eine Note von Dung und Rohöl."
Gott: "Och."
Ich: "Ja. Phantastisch! Schmeckt?"
Gott: "Naja."
Ich: "Okay, hier ein anderer, direkt aus dem Tal daneben, aber Hallo? Alles andere als ein Nachbar."
Ich gieße ein, und -
5Uhr12. Zeit für Regenwasser. Was ist das nur für ein stetes Brummen in meinem Zimmer, das macht mich schier wahnsinnig. Ich stehe mit Ohr und Schulter an der Wand, woher der Lärm entfleucht.
Der Nachbar scheint durchgehend auf dem Topf zu sitzen, und ab 60 Sekunden dröhnt da die hoteleigene Lüftung los.
Ich, um meinen Schlaf und um Gottes Gunst kämpfend, trete also beherzt in meinen IKEA-Schlafanzug gehüllt auf den Hotelflur um meinen Zimmernachbarn vom Lokus zu klopfen, und: stehe vor dem Fahrstuhl.
Mein direkter Nachbar ist der Fahrstuhl, und das Brummen kein Lokuslüfter, sondern das Herz seiner Mechanik.
Seufzend zurück in die biologisch warmen Federn, und das im stockdunkeln, weil der Elektrosmog-AUS-Schalter direkt neben dem Bett ist, und dieses in der hintersten Ecke des Zimmers, aber wofür hat man Hände und Füße, die man sich stoßen kann.
Zzzz...
Ich gieße ein, und Gott trinkt, ich trinke, und weil Gott wieder abwartend schweigt, rufe ich "Hier, ein Franzose!" und Gott: "Cheerio", und dann eine lange Stille.
Wir spülen und belüften, wir drehen Augen und gurgeln.
Dann Gott, ganz hingerissen: "Pralle Textur. Wild, gleichzeitig dieses Sanfte, wie ein kastrierter Panther. Ich schmecke Stein und Winzerschweiß, das sterbende Holz eines Mischwaldes und die kräftige Note eines einsam streunenden Wildschweins. Im Hintergrund, mitten im Abgang: Nashornkäfer. Da schmecke ich so um die fünf."
Eingeschüchtert schenke ich nach, kippe mein Glas auf Ex, belüfte und spüle und kneife ein Auge zusammen.
"Hmmm", sage ich, "nicht schlecht lieber Gott, aber ich habe da noch mehr auf der Zunge. Was sagst Du zu den feinstaubigen Tanninen, die ledrig am Gaumen pulsieren? Irgendwie pompös, aber unbestritten sexy.
Ein Geschmack wie eine räudige –"
6Uhr37. Fahrstuhl, Regenwasser, das ganze Programm.
Ich beschließe trotzig, wach zu bleiben, hole aus der Dusche noch mehr Wasser raus und gehe mit gezückter Gabel eine Stunde später durch das komplette Frühstücksbuffet. Nachtarbeit macht hungrig. Morgenspaziermärsche auch.
(Montagsaussicht die Erste, der Starnberger See.)
(Montagsaussicht die Zweite.)
Montag durchgehend: Fragen stellen und ein kurzer Abriss der letzten Monate Seminar. Man ist ja nicht zum Spaß da.
Haben wir trotzdem, wenn auch teilweise jeder für sich.
Spontane Blitzeingebung eines Buches, gefüllt mit Sprüchen eines Trinkers, eine Art hübsch gedrucktes Tagebuch mit Illustrationen.
„Das Geräusch aneinanderklirrender Weinflaschen lockte mich gestern Abend in den Nachbargarten.
Zunächst geduldet, trank ich allen süßen Wein. Sowie ich aber anfing, den Nachbarn von Schrödingers Katze und den Wundern der Quantenwelt zu berichten (wobei ich bedauerlicherweise bis zum Ellenbogen im Dekolleté der Tochter des Hauses stecken blieb), warfen sie mich über die Hecke.
Mildtätige Zwerge fanden mich und pflegten mich in ihrer Höhle gesund.“
Ich habe keinen Schimmer, mildtätige Leser, aber ich bin mir sicher, Gott steckte hinter dieser prompten Eingebung.
Abends Essen, nachts Fahrstuhl, dazwischen eine zu früh ausgeknipste WLAN-Verbindung (Danke liebes Hotel, meine Soap zur Entspannung war grad fünf Minuten alt, als mein Laptop sah, das es abgeschnitten war und somit als Fernseher undenkbar.).
Viel gewälzt und an dieses Buch gedacht.
„Stimme aus der Steckdose gehört.
Werde ich wahnsinnig? Wein, Wein.“
Am nächsten Morgen und nach Wellen von verzweifelt gespültem Regenwasser war er da, der Prüfungstag. Alle blindlings übermüdet, auch ohne Fahrstuhlschacht. Meine Lieblingsönologin hat sich die Nacht mit der Energiespartaste und dem stur schweigendem Fernseher um die Ohren geschlagen, die andere hatte es zu warm,
die nächste zu wach, und ich – aber das wissen wir ja schon. Nur Gott zechte diese Nacht wohl mit wem anders.
Prüfung viel gekreuzt, zwei Blockaden in der Größe eines Tankschiffs, der praktische Teil wuppte nur so, und dann war auch schon alles rum.
Köstliches Highlight 2008, das war’s dann schon mit dir?
Wir schlugen uns gemeinsam durch Länder und Neigen, durch die Nahe und durch Zeulenroda. Wir saßen Schulter an Schulter über gefühlte Jahre in ICEs und wer war da, wenn es nach Bayern ging? Genau.
Du puscheliges Highlight.
Kurz gesagt: Bestanden. Mitten in Oberambach und einfach so. Mit Bravour, wie mir ein Vöglein zwitscherte.
Während kurz darauf ein Taxifahrer meinte, vier Menschen mit knappen 200 Sachen auf Münchens Hauptbahnhof zuschießen zu müssen, dachte ich so "Gott?"
Und er "Hicks", und ich "Jetzt pass aber mal kurz auf!" und er, lallend "Erst ein Gedicht!", und das einzige, was thematisch jetzt passte und mir unheimlich spontan einfiel war:
„Unbekannte Frau in der Fußgängerzone verbot mir, in ihren Armen zu sterben. Wenig schöne Szene.
Danach Glühwein und rücksichtslose Kirchenkritik auf dem Weihnachtsmarkt. Schürfwunden.“
Gott lachte donnernd los, dann schon der Bahnhof in Sicht, ich noch ein paar Stündchen durch München getingelt, ein kurzes Selbstportrait in einem Klospiegel bei Starbucks, und dann tief zufrieden sechs Stunden im ICE Zeit totgeschlagen.
Ich bin jetzt diplomierte Sommelière.
Und die anderen hoffentlich auch.
Machs gut, Gott.
Und macht’s gut, ihr wackeren Mitspucker/Innen, ihr Dozenten, Organisatoren, Weinbeschaffer, Hotelinhaber, Bio-Köche, Serviceleute, Wettermacher und Lieblingsönologinnen.
(Sämtliche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und tollen Orten sind natürlich völlig gelogen und aus Versehen, und auch dieses Bayern scheint es so nicht wirklich zu geben, ich meine, schauen sie sich doch nur einmal diese Sache mit dem Wolpertinger an.
Mit sehr heiteren Grüßen: die Autorin.)
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