Dienstag, 24. April 2007


"Ich verachte alle mit der offenen Seite nach unten fallenden Frischkäsetöpfchen.
Weil das machen die Extra."


ausschnitt.

(...) "So muss er sich anfühlen, Vatis erster Tag im Heim. Wird es so sein, wenn mich meine Kinder eines Tages abschieben und dann wöchentlich eine Tüte Spritzgebäck schicken, damit ich mein Taschengeld für Cognacbohnen sparen kann? Wird so meine letzte Wohnung aussehen, in die dann und wann eine mittelalte Pflegerin eintritt und sagt: 'So, Herr Weiler, hast du denn schon was in die Pfanne gemacht?' In meinem Zivildienst habe ich das öfter gehört. Die Pflegeleute sagten zwar 'Herr' oder 'Frau', duzten dann aber ihre Schutzbefohlenen, was ich immer respektlos fand. Ich stelle mir vor, wie meine Pflegerin die Tablettendose prüft, in der farbige Pillen unterschiedlicher Größe und Farbe in den Fächern 'morgens','mittags' und 'abends' auf die Einnahme warten. Sie sagt 'Heute gibt es Kartoffelpürree, Herr Weiler, das magst du doch? Was guckst'n so? Is dir wohl zu klein hier, was?' Ich deute schweigend auf den Fussnagel, und meine Pflegerin hebt ihn auf und sagt: 'Ach so, der. Der ist von deinem Vorgänger, dem Herrn Schmittmann. Der arme Herr Schmittmann. Es riecht noch richtig nach ihm. Na dann woll'n wa mal lüften, nicht wahr, Herr Weiler?'
Dann gehe ich zu den Gleichaltrigen im Speiseraum. Die Frauen haben verknitterte Tätowierungen über dem Steiß, aber die kann man nicht sehen, weil sie einen Pullover und den Morgenrock darüber tragen. Manche Achtzigjährige tragen Piercings in den Augenbrauen, und einer redet immerzu von der Love-Parade 1997."

(Jan Weiler - In meinem kleinen Land )


Morgenstund'.

Als ich mit dem Leaderfell den Balkon stürmte, wir quasi Schulter an Schulter ob der Ungeduld im Türrahmen einen kurzen Stau verursachten, da schlug die Stunde noch nicht die volle 7.
Prompt wohliges Innehalten, Nasen hoch, Augen zu.
Hinter uns kommen Fell 2-4, gähnen hörbar, strecken sich.
'Ob wir das in der neuen Wohnung auch noch so haben werden?' frag ich den Katz, und er guckt mich lange und bedeutend und sehr meergrün an und -
putzt sich den Hintern.
Selbst in unserem urbanen Industrieviertel ist am Morgen alles herrlich frisch. Der schwere Kebabduft vom Vorabend ist verflogen, sämtliche Mercedesse gestartet und zum städtischen Automobilhersteller weggefahren, es duftet nach Erde, Wasser, meinem Lavendel unten vor der Tür, nach frisch im Morgentau gebrausten Spinnen und nach viel Luft. Das Leaderfell und ich, wir sind süchtig danach, und den ersten Kaffee nehmen wir oft auf dem Boden des Balkons, beschwipst von der Morgenluft.
Woanders geht das übrigens auch super, vor allem in Nähe von Wasser, vor allem (und jetzt sag ichs) AM MEER!
Ich zähle zu den frühen Bettflüchtern, um bloss nichts von der besten Tageszeit zu verpassen. Ich bin die, die freiwillig den 20minütigen Fussmarsch am Strand in Kauf nimmt, um warmes Brot zu holen zu Zeiten, wo selbst der Bäckermeister noch gähnt. Hauptsache hell. Hauptsache Brot warm.
Nur Gleichgesinnte sind um diese Zeit unterwegs, atmen die Morgenenergie eines Tages und essen nebenher: warmes Brot.

Als das Fernweh zu dick wurde, und das Leaderfell meinen kompletten Milchschaum verdrückt hatte, ging ich zurück in die Küche und warf einen kurzen Blick auf die Europakarte neben dem Kühlschrank. Ein kleiner Klecks wurde größer, bekam ein Dach, ein Grundstück drumherum, die vier Felle lagen in warmer Morgensonne auf dem Steinboden vor dem Haus, ich und ein halbes warmes Brot biegen um die Ecke, und die Tür geht für mich auf.