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Freitag, 17. November 2006
Ich mit Camille beim Schlachtfest, oder "Paris, wann denn nur?"
Ich sitze im Bus. Die Stadt um mich herum hat erneut Frühling, es sind 20 °C und die Ghettokids hinter mir tragen baggy und sommerlich HipHop. Und das Mitte November, denke ich, blättere um und sinke ein Stück tiefer hinunter in Pulli und Buch.
Um mich herum die üblichen Gespräche, ich höre kaum hin, statt dessen Metric aus zwei Knöpfen. Überhaupt, diese Verkabelten, die mit den Schnüren aus den Ohren. Bin ja auch so eine, oft zu oft, kann ich so wenigstens akustisch aussteigen aus diesem Tagesgelärm.
Ich sitze also im Bus, das drumherum ist sortiert, und lese mein Novemberbuch, Anna Gavalda.
Es ist ja schon eine wüste Sache, dieses lesen. Manchmal wird man nicht ausreichend auf etwas vorbereitet, was im Grunde ja hervorragend ist, weil ich liebe nichts mehr als Überraschungen,
- Gut, gefüllte Rotweingläser, frische Bücher, volle Teller, der Geruch von Katzentatzen, jüdische Friedhöfe spät Nachmittags ... all das liebe ich mindestens genau so üppig wie eine Überraschung die sich gewaschen hat, und doch –
aber es gibt auch solche, die einen unverblümt am Kragen packen, die Luft nehmen und dann erst einmal in aller Gemütsruhe auf einem sitzen bleiben, so wie bei mir.
Bei Anna in „Zusammen ist man weniger allein“ wurde Camille von Franck zu einem Schlachtfest auf einem alten Hof gebracht, zwei Schweine waren ab Seite 326 mit ihrem Ableben dran. Weia, dachte ich noch, die sollte mal besser zu Hause bleiben, die Camille, und für so etwas schon gar keinen einzigen Schritt aus Paris machen. Paris, diese einfach totzuliebende Stadt. Aber Fremdprotagonistinnen machen selten genau das, was man möchte, sonst hätte man sie ja selber erschreiben können. Camille setzte sich also auf Francks Motorrad, erfror während der Fahrt fast kläglich, wurde dann auf dem Hof mit sehr viel Schnaps wieder aufgetaut und sollte alles zeichnen, was sich am nächsten Tag dort abspielen würde.
Desolat und verkatert stand sie eine Nacht später an dieser Schlachtbank, der Gaston, der gerufene Schlachter, wetzt die Messer und ich, ich sinke sekündlich tiefer in den miefigen Bussitz der Linie 721 (Waldfriedhof - Flughafen) und überlege, ob es an dieser Stelle meines Lebens verwerflich wäre, jetzt mal eben ein paar Seiten zu überspringen. Kann ich so schlecht, steckt ja Arbeit und Liebe mit drin, ruft mein Lesegewissen tief aus meinem Innersten, also lese ich stoisch weiter.
Und wie das Leben nun gerade Mittags in Bussen so zu mir ist, kommt es wie es kommen muss: Ich muss heulen.
Ich lese also, heule dabei leise wie arrythmisch zu Metric, und die Ghettojungs gucken rüber, sagen aber nichts.
Die erste Sau wäre geschafft, und Camille ist schlecht. Mir auch, aber ich beschließe, das jetzt durchzuhalten, acht Haltestellen und ein Schwein noch, bis zur Arbeit habe ich einen zehnminütigen Fussmarsch um auszuglühen, wird schon.
Das zweite Schwein ist dran, sieht die Blutlache des ersten und brüllt vorab wie am Spieß. Mir ist jetzt nicht nur heulelend sondern auch noch böse schlecht, ich verfluche Welt, Gastons, Schicksale und jede einzelne Scheibe Salami meines Lebens, und als die Szenerie endlich zu Ende ist, da trinkt Camille einen Schnaps, und ich bekomme von den aussteigenden Ghettokids ein Taschentuch hingehalten. Es ist angeknautscht und duftet nach Gras, aber es ist meins und ich habe es nötig.
Dünnhäutig, mit über der S-Bahnbrücke kotzendem Seelchen gehe ich zur Arbeit und schwöre mir, das in meinen Geschichten nie ein Schwein erlegt wird. Nie.
Feierlich werfe ich mein feuchtes und vollgerötzeltes Taschentuch in die Mülltonne mit der Aufschrift "Müll", und rufe laut "NIE!".
Besiegelt, stummer Applaus, Vorhang!
Um mich herum die üblichen Gespräche, ich höre kaum hin, statt dessen Metric aus zwei Knöpfen. Überhaupt, diese Verkabelten, die mit den Schnüren aus den Ohren. Bin ja auch so eine, oft zu oft, kann ich so wenigstens akustisch aussteigen aus diesem Tagesgelärm.
Ich sitze also im Bus, das drumherum ist sortiert, und lese mein Novemberbuch, Anna Gavalda.
Es ist ja schon eine wüste Sache, dieses lesen. Manchmal wird man nicht ausreichend auf etwas vorbereitet, was im Grunde ja hervorragend ist, weil ich liebe nichts mehr als Überraschungen,
- Gut, gefüllte Rotweingläser, frische Bücher, volle Teller, der Geruch von Katzentatzen, jüdische Friedhöfe spät Nachmittags ... all das liebe ich mindestens genau so üppig wie eine Überraschung die sich gewaschen hat, und doch –
aber es gibt auch solche, die einen unverblümt am Kragen packen, die Luft nehmen und dann erst einmal in aller Gemütsruhe auf einem sitzen bleiben, so wie bei mir.
Bei Anna in „Zusammen ist man weniger allein“ wurde Camille von Franck zu einem Schlachtfest auf einem alten Hof gebracht, zwei Schweine waren ab Seite 326 mit ihrem Ableben dran. Weia, dachte ich noch, die sollte mal besser zu Hause bleiben, die Camille, und für so etwas schon gar keinen einzigen Schritt aus Paris machen. Paris, diese einfach totzuliebende Stadt. Aber Fremdprotagonistinnen machen selten genau das, was man möchte, sonst hätte man sie ja selber erschreiben können. Camille setzte sich also auf Francks Motorrad, erfror während der Fahrt fast kläglich, wurde dann auf dem Hof mit sehr viel Schnaps wieder aufgetaut und sollte alles zeichnen, was sich am nächsten Tag dort abspielen würde.
Desolat und verkatert stand sie eine Nacht später an dieser Schlachtbank, der Gaston, der gerufene Schlachter, wetzt die Messer und ich, ich sinke sekündlich tiefer in den miefigen Bussitz der Linie 721 (Waldfriedhof - Flughafen) und überlege, ob es an dieser Stelle meines Lebens verwerflich wäre, jetzt mal eben ein paar Seiten zu überspringen. Kann ich so schlecht, steckt ja Arbeit und Liebe mit drin, ruft mein Lesegewissen tief aus meinem Innersten, also lese ich stoisch weiter.
Und wie das Leben nun gerade Mittags in Bussen so zu mir ist, kommt es wie es kommen muss: Ich muss heulen.
Ich lese also, heule dabei leise wie arrythmisch zu Metric, und die Ghettojungs gucken rüber, sagen aber nichts.
Die erste Sau wäre geschafft, und Camille ist schlecht. Mir auch, aber ich beschließe, das jetzt durchzuhalten, acht Haltestellen und ein Schwein noch, bis zur Arbeit habe ich einen zehnminütigen Fussmarsch um auszuglühen, wird schon.
Das zweite Schwein ist dran, sieht die Blutlache des ersten und brüllt vorab wie am Spieß. Mir ist jetzt nicht nur heulelend sondern auch noch böse schlecht, ich verfluche Welt, Gastons, Schicksale und jede einzelne Scheibe Salami meines Lebens, und als die Szenerie endlich zu Ende ist, da trinkt Camille einen Schnaps, und ich bekomme von den aussteigenden Ghettokids ein Taschentuch hingehalten. Es ist angeknautscht und duftet nach Gras, aber es ist meins und ich habe es nötig.
Dünnhäutig, mit über der S-Bahnbrücke kotzendem Seelchen gehe ich zur Arbeit und schwöre mir, das in meinen Geschichten nie ein Schwein erlegt wird. Nie.
Feierlich werfe ich mein feuchtes und vollgerötzeltes Taschentuch in die Mülltonne mit der Aufschrift "Müll", und rufe laut "NIE!".
Besiegelt, stummer Applaus, Vorhang!
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