Montag, 20. November 2006

Mike ist so tot.

Anrufe, die kommen ja selten einfach nur so. Heutzutage, da ist anrufen mitunter das innigste, was so geht, mit Maschinen.
Und an diesem Mittwoch vor drei Wochen griff D. in D. zu seiner Maschine, gab meine Kontaktdaten ein, und erreichte mich knapp später mitten auf dem Land, wo ich gerade zu einer Tasse griff.

Ein Schiffstuten, Möwengeschrei, ein Anruf, alle am Tisch verstummen. Ich lasse die Tasse los, greife zu meiner kleinen
Kommunikationsfabrik und sage Hallo? D. sagt, Sag mal, Du hast Mike doch auch gut gekannt, oder?
Und ich denke, dass Telefonate, die so los gehen, nie was Gutes inne haben, und sage Ja, klar.
Der ist tot, sagt D. und ich denke „Ach Mike“, und während ich das mindestens 15 mal denke, dieses „Ach Mike“, gesellt sich pro getauschter Information noch ein Ausrufezeichen hinzu, so dass ich am Ende auf dieser Couch auf dem Land sitze, und „Ach Mike !!!!!!!!!!!!!!!“ denke. Mike, mit zig Ausrufezeichen, die alle empört auf den Tisch hauen.

Zehn Tage lag er mausetot in seiner Wohnung auf seinem Fussboden, zehn Tage wo sich scheinbar niemand sorgte oder Mike vermisste. Ich bin seit letztem Jahr etwas geübt in Dingen „Verlieren von Personen und deren Nachrufe mit sich herumtragen“, und so ging es mir die nächsten Tage gewohnt an die Nieren, und ich dachte an Mike.
Ach Mike. Wieso hast Du zehn lange Tage keinem gefehlt?

Wir waren 18, damals, und ungeheuer wild. Mike kam gerade aus Chicago, sein Vater hatte hier berufliche Perspektiven und Mike ein eigenes Zimmer, ausgeschlagen mit großen Metal-Postern, und eines dieser ganz speziellen amerikanischen Betten, welche in Teenie-Horrorfilmen immer sehr fluffig aussehen, groß und gewaltig weich. Damit war das Zimmer voll.
Mike brachte die erste Metallica-Platte meines Lebens mit aus diesem Amiland, wie er Seine Ex-Heimat ausführlich schimpfte, Ami_land.
Der Abend an dem wir uns kennen lernten, der war bezeichnend für viele weitere Abende, an denen wir uns dann
schon kannten, was für unsere Zukunft wichtig war. Die ganze Nacht sassen wir auf einem leeren Fussboden und tranken Bier, während Mike von seiner enttäuschten Liebe zu Sabinchen sprach. Sie hatte ihn sitzen lassen für ein Zahnstudium, die Geschichte dauerte die halbe Nacht, gerechnet ab Mitternacht.
Zwischenzeitlich ass ich eine ganze Packung Pops und trank Bier aus Flaschen, die Mike mit einem Feuerzeug öffnete. Es macht immer gleich Plöpps, das mochte ich an dieser Nacht.
Diese Wohnung war eine besetzte Wohnung, hatte fünf Zimmer und ich war mit dem Besetzer kurzzeitig verpaart. Mike sagte immer, der sei ein Idiot, und nach vier Wochen fand ich das auch, was wiederum meinen Vater sehr zufrieden machte, konnte er den Besetzer und seine Marotte, immer nackt die Tür zu öffnen, nicht wirklich ins Herz schliessen.

Mike also wurde mein bester Freund, Bruderersatz und Alkoholiker. Immer wenn er kam, brachte er Bier mit. Da er täglich klingelte, (bis auf Mittwochs, da spielten wir mit dem dritten im Bunde in seinem Zimmer Malefiz, hörten erst Metallica, zu vorgerückter Stunde dann Truck Stop, was seine Mutter einmal veranlasste, mich auf dem Weg zur Toilette abzufangen und mich sehr ernst ins Gebet zu nehmen, ob ich mich mit den beiden da oben eigentlich wohl fühlen würde, weil die hätten offensichtlich einen mächtigen Knall) kaufte er täglich Bier, trank das aus und ging stets vor Mitternacht wieder ein paar Ecken zurück, in sein Amiland-Bett, zurück zu seinen Postern.
Rock'n'Roll, jeden Tag.

Die Jahre zogen, Mike trank, wir sprachen ihn oft genau darauf an. Er sagte, es wäre sein Bier, er würde alles was gefordert bestens hinbekommen, also kein Problem, es sei denn, man wolle unbedingt eins daraus machen. Die Freunde wurde älter, die Ansprüche anstrengender, Studium, Zivildienst, Ausbildungen, wir waren alle mächtig beschäftigt, Zeit wurde knapper Luxus.
Die Zeiten von täglichem Abhängen und Malefiz waren längst Geschichte, einige im Ausland, Stipendien ableben und Hochzeiten feiern. Mike war entsetzt, wenn eine von wem ein Kind bekam, wenn Trauringe getauscht und Karrieren besiegelt wurden. Er hatte ein gutes Abi, ein angefangenes Studium, den HSV und seinen Lagerjob im Supermarkt. Und seinen Rausch.
Sprach man ihn darauf an, wenn er Nachts und sprachlich durch Bier arg ausgebremst die Telefonmaschine bimmeln ließ, dann gab es eine Standpauke a la Mike, man seie jetzt wohl Spießer, und früher, da war alles ganz anders und jeder Mensch hätte ein Recht auf Rausch.
Ich weiß, sagte ich dann meist sehr verschlafen mit einem bösen Blick auf den Wecker. 2:38, Gute Nacht Mike, ich leg jetzt auf, wenn nichts wichtiges ist.

Die letzten Jahre war der Kontakt von großen Löchern durchsiebt. Mal eine Mail, selten ein Telefonat, und als ich umzog vergass ich, das Mike meine neue Nummer nicht hatte. Ich dachte öfter mal an ihn, nichts böses, Mike eben, der macht seine Sache. Und dann dieser Anruf, direkt zum Kaffee.
Mike ist tot. Zehn Tage lang auf dem Fussboden, Speiseröhrenblutung.

Wann immer der HSV spielt, Mike, dann denke ich, dass Du da oben zuschaust und Dir ein Bier aufmachst.
Plöpps.

Rock'n'Roll.

Scheisse.

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Scheiße! So bitter, dass sich die Zunge zerrollen möchte, dabei so zart und warm, dass mir feinperlende Schauer über den Rücken rollen. Es ist seltsam. Gerade vor zwei Stunden habe ich darüber nachgedacht eine Geschichte einer etwas anderen aber auch sehr netten Musikerfreundschaft in Absurdistan zu erzählen, bei der der Musikerfreund von mir vor vier Jahren erst nach drei Wochen gefunden wurde, er war zuvor ins Zuckerkoma gefallen, er hatte vorher wieder seine kontaktscheue Phase gehabt und sich als Einsiedler eingeigelt. Danach habe ich mich verflucht, nicht einfach einmal hingefahren zu sein. Gerade bei einst so guten Freunden, die plötzlich versterben und dadurch für immer verschwinden aus dem Leben in die Erinnerung, bleibt ein seltsam fröstelndes Gefühl. Und dann seufzt Du wieder und fluchst: "Scheiße!"

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ole, das ist richtig, obwohl ich keine reue empfinde, das wäre vrlogen. ich habe ihn zehn tage lang nicht vermisst, weil wir kaum noch kontakt hatten. aber er war gesellig, hatte einen großen kreis. eigentlich. hat man keine verabredungen, einen chef, der sich wundert, elterntelefonat, termine, irgendwas, wo sich einer fragt, wo der den bleibt, der mike? mich friert der tod an sich immer wieder ein, der ziemlich aktiv ist. man hat keine zeit, tschö zu sagen, in solchen fällen. könnte mir jetzt auch passieren, ich geh in fünf minuten aus dem haus, der fahrer passt nicht auf, oder ich rutsche auf dem herbstlaub aus, und zack, eine ganze geschichte, hinterbliebene, das neue shirt im schrank, die verlängerung vom gym, ein verwaistes blog, und so viel, was man noch machen wollte.

schreib doch die geschichte. ich finde, gerade über die toten sollte man noch mal was erzählen. können sie doch selbst nicht mehr.

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Jo, das war eine abrupte Störung der Kaffeerunde.
Beim ersten lauten "Mike!?" meinte ich noch - Hey, da meldet sich ein schon ewig nicht mehr gesprochener Freund endlich mal wieder, das kann dauern ..... Sekunden später ein von ganz tief aus dem Herzen kommendes "SCHEISSE!!!" machte uns stumm und die Augen groß - ist wohl doch keine freudige Sache, das. : (
Selbst wenn wir ihn gar nicht kannten, diesen Mike, so eine Geschichte schockt dann eben doch alle.
Euer Besuch war trotzdem schön.

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...another...
...big loss i share with you. thank you for putting so much feelings into (stupid) words. forever yours. the shiffer

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was soll ich sagen. ein danke wär hier fehl am platze, und so was ähnliches fällt mir jetzt nicht ein. deswegen an dieser stelle ein statt dessen, eine leerstelle.

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Wunder_schön!

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