Dienstag, 16. Oktober 2012

Reisenotizen Normandie September 2012 - Tag 5

Mittwoch, 12.09.2012

Langsam kann ich mir ein Leben als flotte Rentnerin in schönen Farben ausmalen. Morgens weckt mich der Hund, Kaffee, ausgiebig über das Wetter nachdenken, Gassi, Stulle mit Honig. Dann über einen Markt dem Mittagsschläfchen entgegen schlendern, kurz ans Meer setzen, da fast einschlafen, Gemüse kaufen, am Markt auf die Hand ein kühles Glas Rosé, nach Hause. Gemüse schlachten und Suppe kochen. Wundern, das schon wieder Mittag ist. Die Zeit vergeht herrlich langsam, aber doch überraschend. Suppe mit Käse, Restbaguette vom Frühstück oder Vortag, egal. Auf die Terrasse, Sonne, immer dasselbe Spiel. Nebenan gackern die Hühner, ich wickele mich fest in die Decke ein, die Suppe dampft aus, der Rosé ist als erster leer und lässt die Geschmacksknospen fröhlich in die Hände klatschen. Die Sonne kommt raus. Decke weg, Pulli aus, diese eine, kleine Wespe kommt wie auf Gongschlag und suppelt die winzigen Rosétropfen aus dem Glas weg. Jeden Mittag. Nenne sie Bukowski. Ich fluche lahm, dass ich in diesem hellen Licht doch mein Buch kaum erkennen kann und mampfe glücklich die Suppe weg. Bukowski fliegt Richtung Meer, halb schräg. Kaum ist er am Horizont verschwunden, werde ich bleiern müde, stelle auf dem Weg zur rettenden Couch den Teller in die Spüle, verspreche dem Hund was für den Nachmittag, Meer oder Wald, um dann auf der Stelle neben ihm wegzuschlafen. Jeden Tag. Irre.

Dieser Ort heute war wunderschön. Irgendwas mit Blumen im Namen, Veules les Roses, stimmt. So hieß das da. Muss ich mir dringend notieren, für die Immobiliengoogelei in Düsseldorf. Urlaub ist anders als früher, immer schwingt diese Suche nach dem Ort für die eigene Wurzel mit. Wo könnte es einem gefallen, wo würde man gerne leben. Der Ort heute war so eine Stelle auf dem Planeten, da könnte ich es mir vorstellen. Freundliche Ausstrahlung, das Meer vor der Tür, ein kleiner, wunderschöner Fluss der ganz viele Häuser streift, raue Klippen, helles Meer und der ganze Ort voll mit zarten Blumen an schönen Häusern. Schmusige Katzen, ein kleiner Markt mit einem hübschen Bauern der das schönste Gemüse verkauft und bei dem die ganzen Damen des Dorfes ruhig in der Schlange stehen und warten. Braucht man mehr? Nein. Ich denke das reicht.
Die See, ein Haus aus Steinen, ein petit Fluss und Gemüse für die Suppe – Basta!
Ach so, ich habe die Wolken vergessen. Die gibt es hier zu Hauf, ich glaube, die werden hier gemacht und dann auf die restliche Welt verteilt. Wunderschöne Wolken.
Hm, denke gerade an den 11.09. von 2001. Und das wir vor genau 3 Jahren in Kanada waren. Passt beides nicht, lieber weiter Wolken gucken.



Mit dem Tölchen bei voller Ebbe am Strand gewesen. Leine ab, wuooohh! Leo rannte wie er nur am Strand rennt, manchmal - gegen den Wind und mit viel Geduld, Spucke und Vollkörperzeichen, manchmal erhörte er mich und das HIIIIEEEERRR! (gerufen HIIIIAAAAAAHRRR!) und kam tatsächlich zurück. An einem Ort wie die Alabasterküste ist das nicht so schlimm wie auf unserer Gassirunde im Alltag, hier darf er das alles weil ungefährlich. Rechts Steilküste, Mitte Sand, links Meer. Auf dem Rückweg umgekehrt. Kaum Menschen, wenige Hunde, keine Kaninchen, läuft.
Am Ende hat er sich Schulter voran auf eine Krebsschale geschmissen, einen verklärten Blick bekommen und sich gewälzt. Urlaub, herrlich.

Man sollte viel mehr schreiben. Über schöne Wolken die aussehen wie dunkle Pudel. Über Gemüsebauern wo stille Frauenschlangen stehen. Über die laute Art der französischen Ente an sich. Über mannshohe Wellen und knietiefe Flüsse, wo Steine Frisuren aus Algen tragen. Über Beziehungen, die Urlaube überstehen, über Katzen in Wäldern und generell. Man sollte viel mehr erzählen.
Mittwoch, 12.09.2012 21Uhr53, Dings sur Mer.



Montag, 24. September 2012

Reisenotizen Normandie September 2012 - Tag 4

Dienstag, 11.09.2012

Gestern Abend dann doch wieder gegen zehn im sicheren Plummeaux, völlig erschlagen. Das alles trotz Mittags-Nap und überhaupt. Um cirka eins in der Nacht wach geworden. Magenkrämpf, heiße Hände und Beine, miese Laune inside. Glutamat-Alarm? Aber wovon. Hab nichts in der Richtung verputzt, und kann mich nur wundern und mit einem kaltnassen Waschlappen runterkühlen. Netterweise nach einer guten Stunde wieder in Morpheus Arme gesunken, vorher epische Gedankengänge über so wichtige Dinge wie, dass ich mein Smartphone seit Deutschland (3 Tagen) nicht mehr an die Steckdose hängen musste- Nachts sind offenbar überall und alle Katzen grau, auch in der Normandie. Tröstlichster Nachtgedanke, auch für die heißen Extremitäten: Das ich in ein paar Stunden wieder in der Brandung dümpel.
(Haha)
Um 6 vom Geräusch des tösenden Regen auf dem Holzdach und vor dem nahen Fenster geweckt worden. Plus ein wackerer Gockel der wetterfest die Region wecken will. Also nix mit Badenixe und Spaßtum. Dafür nach dem Frühstück und Gassigang Ausflug über die Dörfer. Die Töle tobt sich auf Karnickelwiesen mit Kriegshintergrund aus, wir schieben Urlaubskoller. Ich dazu im Vorteil mit meinen immer noch gegenwärtigen Magenkrämpfen und irgendwie tut mir heute generell alles weh. Irgendwie. Kaum hat man mal Zeit, holt der Körper aus und nach. Ich ignoriere das, und knipse Möwen auf Fischständen in Dingens sur mer.
Zurück in der Bude gibt es heiße Nudelsuppe, eine klitzekleine Roséschorle für den Mittagsschlaf und keine 30 Minuten später wurde ich mit dem Hund löffelnd und im komatösen Tiefschlaf auf der Couch aufgefunden. Wie soll das alles nur enden?!

Strandspaziergang an den Felsen entlang, was an der Alabasterküste jetzt nicht so wirklich schwer ist. Riesige Krebspanzer gesammelt, doof in stinkende Höhlen gegafft, Freizeit genossen, ausnahmsweise mal wach. Und weil es so toll war, direkt darauf den Hundespaziergang angegangen. Wo auch dieser endlich mal wach war. Leo tobte wieder einem Feldhasen hinterher, diesmal allerdings an der sehr sehr langen Leine. Ist wie Drachen steigen lassen, also für mich am anderen Ende.

Abends Schonkost, Patiencen legen, Anrufe aus Deutschland. Keiner von denen fragt, wo genau ich eigentlich stecke, offenbar geht es nur um eigenes Zeugs oder die Tatsache, ob ich noch lebe. Nun denn, auch wurscht, ich brauch noch die
Pik 8.



Donnerstag, 20. September 2012

Reisenotizen Normandie September 2012 - Tag 3

Montag, 10.09.2012

Unruhige Nacht, die ging um 7 vorbei. Die versammelten Hähnchen der Region gaben sich ab halb 6 alle Mühe und lieferten ab, was ging. Die Gänse johlten mit. Und der Mann neben mir, der hatte ziemlich viel Glück, dass ich ihm in der Nacht irgendwann nach 1 nicht ein Kissen aufs Gesicht gedrückt habe, und später vor Gericht auf mildernde Umstände gepocht hätte, weil er im Schlaf durchgehend ruderte und strampelte, und das in diesem kleinen Bett in diesem kleinen Raum. Budenkoller, dazu der leise und herrlich entspannt schlafende Köter zwischen meinen Beinen. „Platz ist in der kleinsten Hütte“ mantraierte ich um Ruhe bemüht bis gegen Morgengrauen (das Wort, haha!) vor mich hin. Jedenfalls geht ja alles immer total gut aus, und so war ich (und jede Zelle meines Körpers) voll gut drauf, als endlich eine gute Zeit zur Bettflucht anbrach. Draußen wurde es gerade hell, und die Gockel waren noch alle gut in der Puste.
Auf der Kaffeemaschine sind in der Seitenleiste mit den Ziffern 3 bis 18 übrigens nicht die Tassen gemeint, sondern die Minuten, die es „noch braucht“, bis der dringende Sud durch ist. Und wenn man die noch mal doppelt, dann passt es. Eine kleine Kanne Kaffee gurgelt somit mit einer Warp-Geschwindigkeit von 30 Minuten durchs Nadelöhr, gefühlt sind das 2 Jahre - und nein, er schmeckt dadurch nicht doller. Die Maschine gibt ihr Finale durch drei dampfende Stoßseufzer bekannt. Das macht direkt neben der Maschine auf der Arbeitsplatte schlafenden Menschen direkt wach, jetzt kann eingeschenkt werden.
Gerade durch die ersten Schlücke (noch an der Maschine!) abgelenkt, kommen gut gelaunt der ausgeschlafene (und ausgetobte) Mann und der Hund an mir vorbei, und gehen total außer der Regel zusammen Gassi. Ich sprachlos (aber mit Kaffee, falls noch nicht oft genug betont) und der einzigen Sache beraubt, auf die ich mich die ganze Nacht gefreut hatte:
Ausgiebiges Meergassi in klarer Morgenluft. Gold im Schlund und so.
So stand ich denn da, mit meiner morgendlichen Betriebsamkeit und hatte rein gar nichts zu tun. Muss man ja auch mal erwähnen, wenn man so von 200 auf 10 fährt, was die Aktivität angeht. Einmal durchgefegt, die Tasse in die Spüle gestellt, fertig. Und dann?
Hab mich dann erst mal raus in die Sonne gesetzt und Schlingensief weiter gelesen. Macht jetzt auch nicht so wirklich froh.
Irgendwann, wieder gefühlte Stunden später, setzen wir uns ins Auto und fahren ans Meer. Also an eine andere Stelle, da wo der ‚grand Sable’ war. Heute, am Montag, ist es im Gegensatz zu gestern herrlich leer. Wind, ein paar dicke, fluffige Wolken die dunkle Kleckse auf das türkise Meer werfen, kaum belebter Strand, keine 20 Grad. Fast 10 Grad kühler als gestern, und der Parkplatz ist heute für lau. Ich komme gar nicht schnell genug aus den Klamotten raus, wie ich ins Wasser will. Ist mal wieder typisch für meine Wikinger-Gene. Gestern bei knapp 30 Grad und einem lebhaften Strand hab ich kaum Lust und will nach Hause, und bei der Witterung heute: Unter zwei Minuten im kalten Wasser und nicht mehr raus zu bekommen. Herrlich, einfach so in den Wellen rücklings zu dümpeln, ab und zu wird man hochgeworfen, dann untergedippt, dann hat man hellgrüne Algen in den Haaren und auf den Schultern, die Alabasterküste sieht wahnsinnig hoch aus, und wunderschön, und das Meer riecht nach Salz – mein Element. Ich schipper rücklings durch die Wellen, lasse die Füße rausgucken, und kann mich an dem blauen Himmel mit den Flauschwolken über mir nicht satt sehen. Alles.Ist.Gut.

Danach konnte es ja nur bergab gehen, irgendwie. Nach Hause, Hund küssen, trockene Sachen anziehen, weiter ins Einkaufszentrum. Werde minütlich todmüder, und eben so neu wie meine Mittagsnickerchen ist meine Übellaunigkeit, wenn ich müde werde. Kenne ich sonst nur, wenn ich sehr hungrig bin. Jetzt also auch bei Müdigkeit, nun denn. Die Erschöpfung kommt durch, wieder einmal, ob sie nun passt oder nicht. Wir kämpfen uns durch Einkaufsgänge in denen -wie üblich in Frankreich- Wintertemperaturen herrschen.
Schlafe im Auto im Sitzen ein.
Zurück im Haus noch schnell ein Baguette, einen Rosé, dann auf allen vieren ins Bett. Gefühlt ist es nach Mitternacht, in echt ist es irgendwas nach zwei. Ein paar Seiten im Buch, Schlingensief kämpft gegen den Tod, ich gegen den Schlaf, ergebe mich, alles schwarz.
Über eine Stunde habe ich mit dem Kopf auf dem Hund gelegen und war wie tot, hörte mir heute nicht zu, alles an mir schlief. Danach kaum noch in den Tag zurück gefunden. Kaffee half nicht, Wind nicht, Dusche nicht. Ich war total taub. Da hilft nur eins: Zurück ins Meer, ins Wasser. Ein Lichtblick in diese wirklich schlimme Stimmung. Meer hilft immer. Nach der Hunderunde auf direktem Wege zur Küste, aber ach – die Flut zu hoch, der Strand weg, der Einstieg wäre über die Steintreppe direkt in die Wellen gewesen. Im Wasser selbst Felsen und Gedöns, zu gefährlich. Die letzte Rettung sank vor mir weg. Nullpunkt.
Irgendwann war es Abend, dunkel, ich ging noch einmal unter die heiße Dusche, und dann plötzlich: Ruhe in mir. Die Aggression, diese Taubheit, die ganze destruktive Scheiße des Tages, die im Urlaub und auch sonst nichts zu suchen hat: weg. Endlich.
Das Buch wühlt auf, auch unbewusst. Die Reizüberflutung des Alltags fehlt, ebenfalls nicht bewusst. Ich denke eigentlich nie, dass ich jetzt gerne mal eben online wäre, oder Mails abrufen möchte. Aber ich merke, dass man sich sehr schnell ablenken kann, wenn man missgestimmt oder down ist, und das geht hier halt nicht mal so eben. Bücher, Wolken gucken, Patiencen legen. Gehen. Mit der Stimmung auseinandersetzen, statt sie direkt zu ersetzen mit Serie gucken, doppelte Kaffees, telefonieren, laute Musik hören, Haus schrubben, oder was auch immer. Das Buch wühlt auf. Schlingensief kämpft und reflektiert, und fragt sich und ist böse, und das durchlebt man mit, auf den Seiten. Und man weiß die ganze Zeit und das Ende, und als ich die letzte Seite gelesen habe, draußen vor dem Haus, da kam M. grad raus. Ich klappte das Buch zu, fing an zu heulen, und konnte auf sein „Und?“ nur „Ungerecht!“ sagen, das aber zwei oder drei mal.

Jetzt ist es irgendwas nach neun. Die Luft draußen ist mild, ich habe alle Fenster im Wohnraum weit geöffnet, die Vorhänge tanzen. Ein Glas Rotwein zur Nacht und die ersten Seiten in einem frischen Buch, „Tschick“ sein Name. Herr, wirf Schlaf vom Himmel. Und einen guten Dienstag, wenn Du schon dabei bist. Dein Schaf Lu auf Urlaub.




Dienstag, 18. September 2012

Reisnotizen Normandie September 2012 - Tag 2

Sonntag, 09.09.2012

Der Hund ist um 7:50 ausgeschlafen und ich um 7:51 mit nass gelecktem Gesicht wach und schaue auf die Uhr vom Handy. 7:51. Fast zehn Stunden geschlafen, ich bin fassungslos. Draußen vor dem Fenster drei oder vier Hähnchen in akustischer Konkurrenz oder im Chor, so genau weiß ich das jetzt auch nicht. Die Luft ist samtweich und leicht salzig, die Kaffeemaschine unglaublich langsam, die Gockel haben immer noch genug Puste um das Dorf in seinen Grundfesten zu erschüttern. Ich begeistere mich an den Seiten 48 und 49 aus Schlingensiefs Buch, während es in meinem Rücken bedrohlich gurgelt und dampft. Alles unglaublich. Also unglaublich gut.

Eine gute Stunde später rennt besagter Hund weg, immer gerade aus, über ein Feld Richtung Küste, einem gut gebauten Hasen hinterher. Ich bilde die dritte Staubwolke im Acker, man erkennt mich an der lauten Schimpfe und den derben Flüchen, die ich dem Hund hinterher rufe. Der hört mich nicht. Hat zu tun und sowieso: Wind. Irgendwann haben wir uns wieder. Ich Puls von 280, der Hund Schaum vorm Mund, alle staubige Socken. Er wieder an der Leine. Sausack.

In der prallsten Vormittagssonneetwas getan, was ich seit drei Jahren nicht mehr getan habe, zumindest in dieser Form. In bin in ein eiskaltes Meer gegangen, Stück für Stück, und bin geschwommen, Meter für Meter. Vorher, in der runterkühl-Phase, noch eine fliegende Ameise mit dem Finger aus den Wellen gerettet und pragmatisch auf dem Kopf abgesetzt. Den will ich heute nicht unterdippen, zu sonnenheiß, da kann sie ihn Ruhe trocknen und abdampfen, wenn sie wieder flugfähig ist. Irre, wie weit diese winzigen Körper fliegen können. So zogen wir zu zweit ein paar kräftige Bahnen, und ließen die Alabasterküste im Rücken zurück.
Also nicht wirklich. In echt strampele ich durchgehend, damit meine Kerntemperatur nicht unter „lebendig“ fällt und denke darüber nach, wie seltsam es sich anfühlt, den eigenen Körper in Badeklamotte im offenen Meer. Kein Teich, kein See, kein Bassin – nein, Meer. Salziges, herrlich kaltes Meer mit Wellen. Als ich wieder rausgehe, mit Algen bedeckt und einem schönen, blass-blauen Teint, da ist der Strand voll und ich will da weg.
Zurück im Chalet, keine dreißig Minuten später, liege ich salzig und mit meiner kompletten Erschöpfung der letzten Monate im Bett und: bekomme den Kopf nicht aus. So habe ich das seltsame und fast befremdliche Erleben, dass mein aktiver wacher Geist meinem schlafenden Körper beim Atmen zuhört. Richtiges Schlafatmen, stoßweise, tief, ruhig. Gott sei Dank bin ich nicht seitlich aus mir selbst gekippt, und nach Deutschland geschwebt, man liest ja manchmal so Zeug, wo Leute dann betroffen bei Lanz sitzen und erzählen, wie ihr Astralkörper nicht vom Telefonmast wegkam, Energiebarriere und so.

Unsere Nachbarn im Chalet gegenüber, die mit dem Pitbull, kommen aus Rotterdam. Wir stehen zwischen unseren Häusern und einigen uns auf Englisch, und ich wundere mich, wie Hundebesitzer so blass sein können. Beide sind weiß wie die Alabasterfelsen – aber mit Hund ist man doch andauernd draußen und trägt mindestens –wie ich- eine schicke Maurerbräune, also Gesicht und Arme an Shirtärmelhöhe sind mit einem Teint versehen. Ich tippe innerlich auf englische Vorfahren oder Mondscheinkrankheit.
Erzähle nebenbei, dass wir unsere eigene Spinne mitgebracht haben. Die lebt im Außenspiegel des Autos, und hat die ganzen knappen 600 km verpennt. Kommt jetzt abends raus, macht ihr Netz frisch und wundert sich sicher über die salzigen Insekten. Ich spiele laut mit dem Gedanken, sie hier zu den anderen Spinnen in die gigantische Hortensie zu setzen. Die ist traumhaft, und mir gefällt der Gedanke, dass sie dann in der Normandie wohnt, am Meer. Hat es schon mal einer aus unserem Haushalt geschafft, ans Meer zu ziehen. Kann leider keine SMS schreiben, oder uns Einladen. Naja.

Abends ein gigantisches Stück Lachs verputzt. Leider wässrig. Leider egal weil Seelufthunger. Dafür war der Muscadet süß statt salzig - verkehrte Welt heute. Viel rumgesessen und gelesen, dabei den Wetterwechsel der alle zwei Minuten stattfand, ausgiebig angeguckt. Wann hat man da schon mal so lange Zeit für. Zur eigentlich blauen Stunde noch mal den Hund gesattelt, und in grauem Licht ans Meer, Kühe gucken.
Am Meer viel Dunst und gallige Jungbullen. Leo pullert einem direkt vor die Nüstern, was den wie wild Scharren lässt. So stehen sich ein Hunde-Macho und ein Bullen-Macho gegenüber, und Scharren und Wetzen was der Boden hergibt.
Und als es so richtig gemütlich bleigrau wurde und kaum noch Licht da war, da fand ich, jetzt ist Zeit für den Dorffriedhof. Dieser ist im Kern, direkt um die Kirche herum, über breite Stufen einer Natursteintreppe einladend begehbar. Ich mag die Tatsache, dass in den alten Dörfern die Toten ein Teil des täglichen Lebens sind. Der Bäcker, der Metzger, die kleine Kneipe und der immer geschlossene Lebensmittelladen sind direkt um die Kirche herum, und die Steine und Kreuze publik. So kann man beim täglichen Brotkauf mal eben zum Beispiel seinem Opa zuwinken, oder in der Schlange im Tabakladen über den Onkel nachdenken, der da hinten links genau so im Abseits liegt, wie er Zeit seines Lebens auf Familienfesten im Abseits lag. Viele Gräber sind neu (2005), manche, direkt daneben, sind so alt, dass man nichts mehr erkennt, außer einem Kreuz. Alle haben viel Marmor und kleine Tafeln mit Sprüchen drauf. Merci! steht simpel auf einer. Was will man auch sonst sagen, außer ein Danke. Das hier ist alles auf Ausdauer angelegt, nicht auf Vergänglichkeit. Die Gräber bleiben bestehen, auch im rauen Meerklima.

Aktuell ist es 21:18, alle todmüde, aber jetzt schon ins Bett? Tage sind ohne Arbeit, Internet, Telefon und TV tatsächlich lang. Der war lang genug, ich geb nach, Morpheus Arme locken.



Montag, 17. September 2012

Reisenotizen Normandie September 2012 - Tag 1

Samstag, 08.09.2012

Eine Stunde zu früh angekommen, also 15 Uhr am Nachmittag. Dank nicht passierter aber erwarteter Staus etcetera- da steht man dann da, total „in der Zeit“, und kommt nicht in sein Domizil der kommenden Woche. Diese Stunde dann quasi null vorbereitet verdaddelt mit einem durstigen Hund und zwei schwer verschwitzten Menschen, die eigentlich nur noch ankommen wollten. Alle bemühten sich um eine locker am Strand verbrachte Stunde. Meer gucken, haha. Guck mal, Steine, und haben wir Glück mit dem Wetter!

Danach endlich (!) klare Verhältnisse durch einen Hausschlüssel, eine Toilette und ein ausgepacktes Auto. Ich, als Frau, fülle das Nest freudig mit dem irrwitzigen Inhalt aller Koffer und Taschen. Der Hund hat genau so viel mit wie wir. Der Mann plündert derweil im E. Leclerc.
Dazu: Gegenüber wohnt direkt eine totale Herausforderung. Ein männlicher Pitbull (kräftige Sorte, nicht grazil sondern bullig) namens Nero. Dieser reißt sich bei unserem Anblick sofort freudig mit dem ganzen bulligen Körper wackelnd von seinem Gartenauslauf (Hering im Boden mit Flexileine) und rast wie ein Kugelblitz durch unser Chalet, zerfetzt nicht unseren Hund und lässt erstaunlicher Weise auch sonst alles an seinem Platz. Meine Proll-Töle ist so arg verdutzt, dass ihm das Bellen im kurzen Halse stecken bleibt. Danach sind beide Freunde und haben sich die ganze Woche verknallt im Blick. Der Mann ist Gott sei Dank immer noch im Supermarkt und bleibt somit einem Infarkt fern.

Abends (also Minuten später) viel Bier, Bücher, und Leerlauf. Gegen 21 Uhr blaue Stunde. Wir rennen konfus weil übermüdet und mit Bier statt Blut Richtung Strand, halten die scharf gemachten Smartphones in den Himmel und knipsen uns die Karten rund. Alles schön, alles Wow, danach duschen und in Schlafklamotte noch mal den Hund vor die Holzhütte, welcher routiniert das Gebiet wässert. Danach alle in die klitzekleine Schlafkammer. Ich habe dazu einen klitzekleinen Ausblick in den Sternenhimmel und renne direkt noch mal vors Haus. Ist das der Hammer! Das All eine Halbkugel um mich herum, jetzt und hier kann ich es sehen. Ich lasse mich auf die Wiese fallen und starre in den Himmel. Alle da – große und kleine Wagen, Milchstrasse, Nordstern plus Kumpane. Irre. Irgendwann wieder zurück in die Schlafkammer, großer Kampf um eine gute Position auf 160 cm Bettbreite. Der Hund gewinnt gegen drei in der Nacht. Vorher noch Schlingensief lesen und auf den kommenden Tag freuen. Honig-Baguette, Kaffee, Sonntag und ein Meer zum drin schwimmen. Yay!


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