Montag, 13. Juni 2005

ende tag 1, die frisur sitzt.

ichhabekeinenhungerichhabekeinenhunger.
ich hab wirklich keinen hunger, aber ein klitzekleines bißchen mächtigen appetit. da sitz ich eben mit meinem lieben alten freund d. aus d. auf einem spielplatz somewhere in flingern bei einem feierabendplausch in der sonne, werde reich beschenkt an musik und tattoovorlagen, da knurrt mein magen laut auf, portion vier wartet schließlich schon in heimischen gefilden aufs heruntergewürgt werden, der magen vergisst nichts.
jedenfalls erzählt d. mir, was ich heute lecker bei den beiden zum essen bekommen hätte, eingeladen wie ich war, hätte nicht der jüngste spross der familie die windpocken und ich die fastenzeit zu besuch. mein hirn setzte an längeren gesprächsketten gern mal kurz aus, und ich habe selten so viele "ähm"s zum erzählen benötigt, wie eben.
aber egal, ich hab keinen hunger und ich wäre "eine ßtarkä frau, ha" wie mein teilzeitchef stolz betonte, schließlich wäre das jetzt fasten und das sollte man eigentlich in ruhe am wochenende machen, und nicht wie ich mit dem rad durchs dorf fahren und arbeiten gehen. tjanu. eine gewisse schmerzfreiheit schreib ich mir grad nicht ab, und leer … wenns doch nur der magen wär.

dann aber die kleinen verführungen des lebens, hmmm, da roch selbst mäc doof lecker, als ich eben das drive in mit dem rad rechts liegen ließ. dann zu hause, hach, hier liegen die kleinen schlingel cherrytomaten auf einem kecken häufchen, und die sind so was von lecker. und da die schokolade, ich muss echt aufpassen, dass ich nicht wie sonst mal eben im vorbeigehen schwupp ein stück in den ach so hungrigen hals schmeiße, sieht ja keiner. mechanismen, ick hör euch trapsen, mich kriegt ihr nicht.

körperlich geht es mir gut, ich bin nicht wirklich schlapp und das frieren heute mittag hat sich mit einer heißen dusche und einem napf tee vertreiben lassen. nur die kopfschmerzen kommen und gehen, aber das ist kaum erwähnenswert. also bis jetzt, nach tag eins, uneingeschränkt empfehlenswert.

( und das ich m. heute mittag fast mit dem küchenhandtuch erdrosselt hätte, weil der nichts besseres zu tun hatte, als sich ein feistes omelette mit den geilen, braunen waldchampignons zu braten, das zähl ich jetzt mal zu "unberechenbaren nebenwirkungen der nicht vermeidbaren art". )


lu pulverisiert.

ich höre mich noch laut und deutlich " hey, das versuche ich auf jeden fall selber, dann weiß ich wenigstens 100 prozent, wovon ich da rede." in den kölner abendhimmel rufen, letzte woche in einer pause der fortbildung, irgendwo in hürth.
mein teilzeitchef fands total toll, sprach gleich von sachen wie *dann aber richtig, und *sponsorn der hardware, sprich futter.

gesagt und getan ? so einfach war das gar nicht, denn am anfang allen übels einer jeden ernährungsumstellung liegt die böse umstellungsphase. teil eins einer vielleicht-hürde, je nachdem wie man gestrickt ist.
ich bin anders, das weiß ich aber eh.
erstens habe ich nicht die medizinische notwendigkeit der gewichtsreduktion wie meine hasen, denen ich das aufdrücke und denen es danach mehr wie besser geht. mein BMI ist mit maschinell errechneten 21,4 mehr wie im grünen bereich und meine nutellahüfte irgendwie wohl auch seksi normal.
zweitens bin ich kein breichen-vertilger. ich hasse milchreis, ich lass pudding stehen und joghurt am besten zum trinken. himmel, ich habe noch meine zähne, ich kann beissen, und nicht nur in gemüse, also was soll ich mit brei, das kann ich später noch oft genug aus schnabeltassen trinken, das heb ich mir dann auf. aber ich verurteile damit auch keine breichen-vertilger, grad frauen haben in PMS-lastigen zeiten einen gewaltigen appetit auf die kleinen wabbelkollegen. und, wo war noch gleich der faden, das war ja meine zweite hürde, vielleicht komme ich mal kurz wieder auf den punkt.

die umstellungsphase hat in der regel den sinn und den guten zweck, die gerade im adipösen körper angesammelten glukose-vorräte erst einmal lustig aufzubrauchen, quasi ein aufräumen, entschlacken, alle türen auf und raus mit dem alten mist. feng shui your fettgewebe. da kommen dann schlacken und gifte aus den pölsterchen geschwemmt, es wird abtransportiert und kopfschmerzen bekommen, man soll ja nicht ungestraft gesündigt haben.
und da wären wir beim dilemma. mein "ich brauch das nicht, ich habe ja gar keine vorräte" bewegte mein teilzeitchef mit einer hand leger zur seite und sagte "du machst. du halt entgiftest richtig und dann fühlst du dich wie junger brunnen."
ach so. okay. gern.
nachdem ich also die ganze letzte woche damit rumeierte, den richtigen termin zu finden, also zwei tage, an denen keine einladung zum essen vorliegt, kein alkoholexzess am horizont lacht und auch der kühlschrank alle verlockungen längst mir hergegeben hat, ist also heute der tag x, und so fand ich mich am morgen gegen neun, nach einem großen mut-kaffee mit einem messbecher und 0,1%iger milch an einer müslischale wieder und rührte also 4 EL des eiweißlastigen pulvers in 200 ml milch. und rührte. und guckte schief. und rührte. und roch.
ich sags direkt : ich habs runtergeschüttet, der löffel blieb unangerührt liegen.
m. meinte nach einem probier-schluck ("hey, nur ein bißchen, das ist mein FRÜHSTÜCK!") es wäre doch lecker, das wär doch vanille.
genau.
mein haken : ich mag so süße pampe nicht, für mich müßte so etwas mit käsegeschmack oder marke "supersandwich" erfunden werden. egal, ich darf mir heute und morgen, dank umstellungsphase und super-entgiftung, fünf mal am tag so eine portion einverleiben, und danach bin ich wie junger brunnen, toll, hurra.

aber : ich habe keinen hunger.
aber : ich rieche die lecker reifen bananen durch wände bis auf den balkon.

immer diese elende lust am selbstversuch. der ließ mich schon nacht auf irgendwelchen festivals die würmer aus den tequila-flaschen angeln, ausserhalb von brückengeländern stehen und als kind in die hundehütte dieses riesigen wachhundes kriechen, den namen hab ich nicht mehr im gedächtnis. ich weiß aber noch um die aufregung aller auf der strasse, meine mutter laut hysterisch in deren mitte, weil meine beinchen so komisch aus der hundehütte baumelten, als ich mit hund gemütlich in den gelöffelten schlaf entfleuchte. aber das ist eine andere geschichte.


Samstag, 11. Juni 2005

gestern hatte mein engelmann mal zeit.

und löste mal flugs ein finanzielles fastproblem mit dem "sieg" über die a-agentur, und dachte sich dann noch, gottchen, die hats grad echt nicht so rosig, da setz ich noch einen druff und um 18:25 unterschrieb ich völlig glückstrunken genau die wohnung für meine mutter, die alle punkte inne hatte, die sie hier im dedorf vorraussetzte. diese irrsinnige aufgabe, mal eben innerhalb von drei wochen eine gute wohnung mit mutterns harten eckdaten ( keine assis, balkon, NUR in dem stadtteil, groß aber billig und bitte noch ... ) zu fangen ( genau, ich war die, die sich an häuserwänden hochzog um in hochparterre wohnungen zu gucken, die offensichtlich leer stehen; habe zettel mit meiner telefonnummer in briefkästen verteilt und notizen in pommes buden gelesen. ).
ich weiß nicht, ob das jetzt karma-pointz bringt, oder mich alle kostet die ich grad habe, aber ( und das sag ich jetzt mit einem lauten seufzen ) : wenn meine mutter auf der zwei stunden über die autobahn gekarrten couch sitzt und der fernseher steht, der herd funktioniert und ihr herr katz wieder in den schuhen ist - dann kehrt hier für mich endlich ruhe ein, ich zünde drei kerzen auf dem balkonaltar an und dann sage ich das, was mir bei meiner mutter die tage schon eine ganzkörpergänsehaut besorgte :
" jetzt bin ich endlich mal dran."

na dann.


Donnerstag, 9. Juni 2005

2.

diese denkschleife, die immer mit "heute vor ..." anfängt, und zeitliche abstände eingrenzt. heute vor zwei wochen dieser verdammte tag x, den ich gerade stück für stück verdaue.
es kommt ohne vorwarnung, ich fahre zur arbeit und plötzlich sind die bilder wieder da. die strasse wird undeutlich, mein kopf dröhnt, ich halte an und setze mich auf eine mauer, lasse die beine baumeln. immer wieder alle bilder, wie ich seinen arm streichle und sein herz immer öfter aussetzt. wie konnten wir stunden später bei dem drive in halten, wie konnten wir pommes essen und cola trinken, wie ging das eigentlich ? schocktaten, einfach dinge machen, die einem normalität vermitteln.
da kommen die gedanken, wie das er immer da war, seitdem ich lebe. das er jetzt nie mehr anruft, weil er mit dem internet nicht weiterkommt, oder weil er bei eBay etwas gesehen hat. nie wieder mein keks-care-paket zu weihnachten, und nie wieder nie wieder und sowieso alles nie wieder.
schlimme minuten, wie große wellen. und wenn sie über mir zusammenschwappen, dann halte ich still, halte alles an, bis sie weiterziehen, suche den punkt, wo ich gerade etwas aufhörte, und mache dort weiter. ich wüßte nicht, wie es anders gehen sollte.
erst zwei wochen, und er ist nur noch asche.

logbuch | © Lu um 22:21h | keine meldung | meldung machen?

Mittwoch, 8. Juni 2005

titten against zuckerdosen. ( autsch! )

wenn alle nachbarn gleichzeitg dem wahnsinn verfallen ...
gegenüber werden dachschindeln durch metallrohre nach unten befördert, über mir wird elektronisch gesägt, nebenan wird ein neuer schrein gezimmert, rechts unten unrhytmisch gebohrt, und in sämtlichen gärten im umfeld wird astwerk gehäckselt. ich fühle mich wie in einer hagebaumarktwerbung, und hab lust auf einen liter bier tranquilizern drin.
in der sonne sitzend, papierberge um mich herum, briefkrieg, alle wollen was, und ich will was ganz anderes.

-pause für den nächsten schindelschub-

ohrknöpfe und die homöopathischen tropfen against trauerklops sein eine dosis höher gedreht, schon ist mittag.

und wo wir grad bei drehen sind. im moment läuft juliette & the licks, band und musik um die schauspielerin juliette lewis, die ich immer sehr gnadenlos und klasse fand. und genau ab hier wirds zwiegespalten, weil ich höre die musik jetzt zum dritten mal, ich habs die anderen beiden male als " ziemlich öde, alles schon tausend mal dagewesen, alles schon mitgemacht" abgetan und gut war.
aber ich mag die frau, ich mag generell gern den typus frau, der nicht auf zuckerdose macht, sondern das gegenteil für sich will, ich zähl mich selber zu den direkten in der spielgruppe. ich hab eher titten zu meinen titten gesagt, als sich das einer der heute so gut erzogenen jungs getraut hat. ich mache zwar keine flaschen mit den zähnen auf, weiß aber gut genug, was frau in den mund nehmen sollte, und was nicht. und ja, ich bleibe an roten ampeln stehen, wenn man das als messlatte nehmen will, dafür bin ich in anderen bereichen null handzahm - aber ist auch egal jetzt, geht ja um musik und nicht um meinen weg, mit ampeln umzugehen.
wie soll musik sein, wenn frau eben nicht britney_beyonce_like ist, sondern was zu anderes zu sagen hat, was zeigen will, temperament statt haarspray in den spitzen, und titten statt busen hat ? wenn ich ein mann wär, ich würd mit ihr ausgehen, und beyonce könnte ihre freundinnen anrufen, wie in ihren songs.

( noch 12 minuten bis zur mittagsruhe, aushaltenaushaltenaushalten )


Montag, 6. Juni 2005

gegenschmerz.

der faden riss laut und hörbar irgendwo im telefonat, als es darum ging, dass die überreste meines vaters samt urne mit der post verschickt werden würden.
ich weiß nicht, ob es das war, oder die alten keilereien mit meiner mutter, die zwar aus aktuellem anlass hinter der kammertür versperrt sind, aber dann laut gegen das modrige holz klopfen, wenn wir unsere alten muster aus dem hinterhalt holen. ich mit meiner zu direkten art, sie mit ihrem von hinten durchs knie.

es fühlte sich gut an, das telefon auf den tisch zu knallen, und ich bedauere heute noch, das es keine griffigen telefone mehr gibt, wo man den hörer so richtig mit vollem emotionalen einsatz auf die gabel knallen kann, statt wie jetzt so ein filigranes ding in seine station zu stecken. das bringt einem nichtsnichtsnichts.
es fühlte sich noch besser an, mit 30 km/h ins bad zu laufen, und die dicke tür mit schwung zuzuschmeissen, sich an der kalten wanne auf den boden sinken zu lassen und auf alles einzuschlagen, was da im umfeld war. irgendwann kam m. und hielt mich fest, die möbel werden es ihm ewig danken, der klodeckel hat es auch überlebt.

diese vermeintliche unfähigkeit, die situation wirklich anzunehmen. dieser tag, an dem ich die ganze zeit dachte, dass ich vor zwei wochen das letzte mal mit ihm gesprochen hatte.
es tut so verdammt weh, und das jeden tag mehr. der schock geht langsam dahin und die seelische mülltonne dafür weit auf. verarbeiten, akzeptieren, vermissen.

heute habe ich blutergüsse in den handinnenflächen, so viel kraft steckt in trauer.


Sonntag, 5. Juni 2005

warum nicht

mal wieder zehn stunden an einem stück schlafen.
Sitting, Waiting, Wishing gucken.
ans meer fahren.
das handy statt den stein mit schwung ins wasser werfen.
einen cola-rausch antrinken.
eine hurricane-karte bekommen.
hamburg vermissen.
aufwachen mit dem wort "protonenpumpenhemmer" im kopf.
mal wieder einen sonntag vor dem krimi gut finden.

reggae galore, mit den molekülen wackeln und die
sonne wenigstens in die ohren lassen. warum auch nicht.


Samstag, 4. Juni 2005

du bist was du isst.

wenn mal wer komplette abschottung vom restlichen weltgeschehen braucht, dem empfehle ich die dosis beschäftigung, welche ich gestern und heute ( wochenende, es ist eigentlich wochenende ! ) erleben durfte.
fortbildungsseminar in orthomolekularer medizin, preiset der nahrung, den spuren, den elementen und den vitaminen.
ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so derbe in so kurzer zeit so überinformiert wurde. meine synapsen machten geräusche wie eine abgetickerte festplatte, ich trank am ende nur noch alles doppelt, welches aus den kaffeeautomaten kam, und rutschte in orthopädische grenzwerthaltungen mit wahrscheinlichen spätfolgen- so ab morgen früh.

nicht falsch verstehen, ich war da quasi freiwillig, ernährungsberatung kommt nicht von nix, und es war auch alles ganz töfte und doll und so. aber der vortragende war eine rhetorische herausforderung, der hinter jedem satz ein JA? platzierte, und ich wollte ihm schon nach ca. 25 minuten an den hals und kräftig daran drücken.
JA?
uffz.
ausserdem ist es erniedrigend, immer an allen anderen vorbei zu müssen, wenn die blase schon fast hörbar kreischt und beim laufen gluckert, und alle wissen nicht wohin mit ihren beinen und stühlen, weil der platz so knapp bemessen und überhaupt … selbst im dunklen kino ist es einfacher, „mal eben auf klo“ zu gehen, ohne dass einen alle in die kanalisation wünschen. JA?
überstanden, zertifikat in der tasche und am ende auf der rückfahrt vor dem teilchef die rampensau mit der schweinehündin rausgelassen, und jede noch so kniffelige diagnostik mit links behandelt, während die A3 den weg nach hause zeigte und draussen die gewitter tobten.
ich war also an den richtigen stellen wach, timing ist ja auch so ne sache.

und trotzdem … gestern eher nicht, aber heute ganz oft und ganz unvermittelt in gedanken ins geschehene abgerutscht.
launenbrüche, die achterbahn verläßt den gipfel. die bilder kommen jetzt wieder häufiger hoch, die trauer verfärbt sich, wird immer schwärzer und schmeckt plötzlich nach angst.
ich fühle mich alleine, ich bin alleine, und sitze in seinem alten shirt auf dem stuhl. kein arm um mich, kein gedanke an so was wie freude um mich, nur ich und das shirt und lust auf blinden aktivismus und exzess. wenn es auf der einen seite so tot ist, muss auf der anderen massives leben her ?
falscher ansatz, vielleicht.
ich hab alles gemacht. ich mache immer alles, scheinbar.
jetzt mag ich nicht mehr, ich bin alle.
das leben, eine einzige leere versprechung (?).

logbuch | © Lu um 23:07h | keine meldung | meldung machen?

Freitag, 3. Juni 2005

letzter gang.

mit dem aufhören des tages gestern fing dann der heutige an, normale sache, aber für mich trotzdem ein umbruch.
ich lag totmüde in den laken, und starrte mit rotgeheulten augen die digitalen ziffern meines weckers an.
-klick-
00:00
der tag war also offiziell vorbei. die trauerfeier für meinen vater auch.
unwirklich, alles zur selben zeit wie vor einer woche zu tun.
fast die selbe strecke, wieder die wälder, wieder diese täler, die ich ab bald wohl kaum noch sehen werde. das gefühl im bauch ähnlich, nur endgültiger.

ich sehe meinen halbbruder das erste mal seit jahren wieder. er ist verheult und mir bleibt einen kurzen moment die spucke weg, wie ähnlich er unserem vater mittlerweile sieht. die augen, der mund. genetisches dableiben.

es kommen immer mehr ins haus, und zwischen wassergläsern und wenigen worten versuche ich, seine lezte woche zusammen zu puzzeln, weil jetzt die leute da sind,
die ihn noch getroffen haben, auf seinem letzten besuch in seiner heimat. mit jedem puzzlestück werde ich ein stück trauriger, meine ahnung, das es ihm auch dort nicht mehr gut ging wird zur gewissheit. ich fühle mich leer.

die trauerfreier ist einfach gehalten, wir sind alle evangelisch, die kapelle dementsprechend.
meine mutter dreht durch, als wir auf die weit geöffneten türen zugehen, auf den sarg zu. ich begrabe sie unter meinen armen und sage, dass wir auch gehen können. sie will bleiben, der letzte gang soll nicht ohne sie sein.

ich freue mich, dass er eine pastorin hat, und sie erinnert mich an eine hohepriesterin. der organist ist scheinbar taub, ein kurzes aufbäumen einer akuten albernheit, ich schlucks runter, das geht jetzt nicht. ein handy klingelt.
was die pastorin sagte, war mir wurscht. sie kannte ihn nicht, und meine mutter hat natürlich nur gutes erzählt. mein vater wurde fast heilig gesprochen in dieser kathedrale, viele schnieften, mutter flatterte neben mir. ich dachte, dass man von dieser stelle aus herrlich über die landschaft gucken konnte, die hatten sich schon was dabei gedacht. ich dachte, dass mein dad nie ein kostverächter war, er hat sein leben gelebt, und selten viel rücksicht auf andere genommen. je älter er wurde, um so weicher wurde er, aber ein heiliger war er wirklich nicht.
die pastorin war fertig, alle beteten, ich guckte den sarg an. ich hatte wenig bezug zu all dem, ich dachte noch, ich hätte vielleicht selber was zu ihm schreiben und vorlesen sollen,
aber ich hab nicht dran gedacht, die letzten tage. später, vielleicht.

am ende konnten wir ihm noch eine riesige rote rose auf den sarg legen, der bestatter hat sich dafür verbürgt, dass diese mit verbrannt werden. ich schob meine mutter sanft, sie gab sich den letzten ruck.
mein bruder nahm zwei rosen aus dem eimer, gab mir eine, und ich hatte endlich mal die möglichkeit, ihm den vortritt zu lassen, ihm, den unehelichen, der vom kuchen "vater"viel zu wenig zeit abbekommen hatte, trotz liebe und allem. und viele guckten fragend, seine ähnlichkeit war offensichtlich, mir wars egal. sollten sie sich doch fragen.
ich legte die rose ab, stupste ein letztes mal an den sarg, und war raus.

diesen gigantischen kelch bier hab ich später nur für ihn getrunken, der mittägliche rausch inklusive.
auf der rückfahrt nach düsseldorf hatte ich endlich zeit und ruhe, für mich weiterzuheulen, und in ein paar wochen holen wir seine urne nach. zwölf jahre nachdem er von hier weg ist.
ich denke mit viel liebe an ihn, und werde dann das tun, was ich mir in seinen letzten minuten versprochen habe. eine fahrt nach aachen, ein tattoo zu seinen gedenken.
ein hafentattoo, in erinnerung an seine.


Samstag, 28. Mai 2005

fronleichnam, oder der tag, als mein vater einfach so ging.

( … sie haben ihn mit dem hubschrauber nach mainz geflogen, er wird dort gleich not-operiert. es sieht nicht gut aus … )

es fühlte sich an wie hohn, dass draussen die sonne schien und die ganze natur schier umkippte vor sommerglück. die nacht zuvor war gefühlt nicht gewesen, die luft zu dick zum atmen, es stank fast obszön nach blüten und sternenklar. ich bekam die augen nicht zu und meine gedanken nicht mehr in form.
papa.

nach sechs halte ich es nicht mehr aus. ich habe angst, als ich das bett zurücklasse, will den tag nicht anfangen lassen. mein bauch revoltiert. die mailbox blinkt -

( … ruf mich bitte sofort zurück wenn du das hörst. bitte! )

ich höre sätze, die ich so nie hören wollte. das konnten andere sagen, in fiktiven momenten. bitte nicht zu mir.
bitte.
aber sie kommen trotzdem, ich halte die hände auf, will sie abwehren, umleiten, aber ich höre ein ums andere wort, das handy fühlt sich zu heiß an in meiner hand, mein kopf rauscht, ich will das alles anhalten, aussteigen, aufwachen, und wundere mich, wie man in diesem moment über leergekratzte nutella-gläser nachdenken kann, während.
bitte nicht. daddy.

( … wurde bis heute nacht um vier operiert … schlecht gehen, die klappe, abzess … du musst sofort kommen, bitte … wissen nicht, ob sie ihn durchkriegen … )

ich habe seinen geruch in der nase, als ich wie ferngesteuert die fellchen füttere, kaffee koche, angst habe. alles gleichzeitig. ich wundere mich, zu welchen dingen man fähig ist, in solchen momenten. ich gieße die blumen auf dem balkon und überlege, was ich anziehen soll.
ich putze mir zwei mal die zähne, weil ich das erste mal schon wieder vergessen hatte. ich bin taub. ich sehe bilder, während ich das wasser ins becken laufen lasse. ich sehe uns in die ostsee fallen, ich höre ihn rufen, ich solle meine badehose wenigstens festhalten, wenn ich sie schon im offenen meer ausziehen müsse. das badezimmer um mich herum wabert.
halt durch, bitte.

die ganzen 220 kilometer denke ich in schleife. ich hasse das wetter. ich denke, wie kann denn jetzt die sonne scheinen, ausgerechnet. mein körper fühlt sich an wie mit leim überschüttet. abgeschirmt, würde so gerne raus aus diesem taucheranzug, aber es geht nicht. ich kann mich nicht ausziehen. ich gucke über die felder und heule. ich sehe wald, während er kämpft.
ich kann nichts tun. nichts.

die klinik erkenne ich wieder, auch die allee dorthin. hier war ich nie angstlos, dachte ich.
beim letzten mal rannte ich genau so schnell die treppen hoch, letztes jahr.
papa.
da wollte ich ihn endlich sprechen und anfassen können, nach der operation. er sah blass aus, damals. sie haben ihm wehgetan, aber seine augen waren blau und strahlten. ich dachte immer, warum habe ich nicht dieses volle blau bekommen, statt diese mischung, die das raten bei mir oft ausufern läßt.

vor der tür der intensivstation atme ich drei mal bis zum schwindelig werden durch, schlucke meine angst weg und versuche mich in meine rolle zu fügen. stark sein. lächerlich.

meine mutter kommt mir in steriler kleidung entgegen, ich sehe ihre beine zittern, und sauge sämtliche wörter auf, aber es gibt keine neuen. ich höre immer nur schlecht, nicht durchkommen, schwere operation. ich will mir die ohren zuhalten, ich will nichts mehr hören, ich will klein sein und in papas arme laufen, weil der böse mann um die ecke wartet.

( … sie können noch nicht zu ihm, wir müssen messungen machen … bitte noch ein wenig geduld … )

geduld. lasst mich endlich durch. bitte.

man sitzt, wie man es immer in filmen gesehen hat. irgendwer bringt kaffe. irgendwer bringt wasser. noch mehr wasser. keine worte mehr, die lippen wollen gar nicht auseinander, während man aus taschentüchern papierwürste rollt. es wird geputzt, es werden schläuche mit urin entsorgt, es

( … ein arzt BITTE ! schnell … )

papa.

ich gehe auf toilette, ich halte diesen geräuschen nicht mehr stand. alles wie watte, mein kopf platzt fast beim gehen. klospray mit ozean-duft. die sinne halten sich an kleinigkeiten fest, wenn sie überfordert werden. ich heule statt zu pinkeln.

das erste was mir beim zurückkommen auffällt, war der gesichtsausdruck des oberarztes, als er den satz sagte, den ich nie wieder vergessen werde …

( … der letzten minuten. es kann jetzt sehr schnell gehen, wenn sie also mitkommen möchten … )

es kann jetzt sehr schnell gehen.
sehr schnell gehen.

ich kann den satz nicht mehr begreifen, ich drehe ihn hin und her, als ich den kittel um mich herumwickel und meine mutter am arm halte.
alptraum, unwirklich. ich schaue im vorbeigehen einem mann in die augen, der in seinem bett zwischen maschinen liegt. er schaut mich an und ich kann seine gedanken fast anfassen, sehe schnell weg. er sollte nicht so anguckbar da liegen.

ankommen. die türen sind auf, ich erkenne seine unterarme, mehr sehe ich von ihm nicht.
beissen, mit voller wucht auf die zunge, gegenschmerz, bloss nicht die kraft verlieren jetzt.
der direktor der klinik, die oberärztin, zwei schwestern und der intensivpfleger. alle gucken uns schweigend an. ich begreife den monitor mit jeder verschissenen kleinen frequenz. ich hasse die daten, das darf nicht sein. mein vater kann das anders, der ist doch stark.
darf ich an die seite, bitte ? darf ich an ihn ran ?
ich schiebe die schläuche zur seite, ich streichle seine stirn, mir fällt auf, dass er keine bartstoppeln hat. warum nicht ? wer hat ihn rasiert, und wer hat ihm dabei ins kinn geschnitten ? und er ist so schön braun geworden. wie kann er sich so kühl anfühlen.
ich bin bei dir, paps, bitte halt durch.
der direktor zählt die chancenlosigkeit auf, er ist abgeklärt und kalt, dafür gucken die anderen mitfühlend auf unser kleines familiendrama, letzter akt.
ich will weg, aber er wohl auch.
sie lenken meine mutter ab, sie soll nicht auf die monitore schauen, während medizinische vorgänge erklärt werden und die operation mit allen tücken. ich habe eine medizinische ausbildung sage ich motorisch, und ja, eine sepsis sagt mir was.
anstarren der maschinen, hand halten, und die frage, ob die geräte gleich abgestellt werden sollen. augenpaare, alle auf mir. mutter weint, ich sage ja, ja zu mehr morphin, ich sag noch was von, er hätte ja sonst kaum laster gehabt, sei ihm der freiflug gegönnt. man sagt so bescheuerte dinge in so ratlosen momenten.

die maschine wurde auf off gedrückt, es wurde um ein technisches geräusch leiser im raum.
ich hielt seine hand und sah durch die rollos, dass draussen sommer war. ich starrte auf die müllbehälter und legte „kontaminiert“ , feucht / trocken auseinander, dachte über das lied nach, welches ich im kopf hatte, und dass ich das ab jetzt wohl nicht mehr hören kann …

minuten, die ich nie wieder vergessen werde. ich weiss noch, dass ich zu meiner mutter sagte, lass ihn gehen, er will nicht mehr. ich weiss noch, dass ich mich die ganze zeit fragte, ob er uns hört. ich liess seine hand los, weil man sagt, dass die seele über die hände entweicht, und man solle besser die füsse halten, wenn man denn halten muss. ich streichelte seine arme, sein gesicht, ich zog die linien seiner seemann tattoos nach, und hatte in diesem moment schon angst vor dem tag, wo ich vergessen haben werde, wie sie aussahen.

er ging. einfach so. ich biss mir in die hände, ich drückte ihm die arme, um zu sehen, wie das blut weicht und zurückkommt, noch leben in ihm ist.
papa.
ich konnte ihn nicht einmal mehr sprechen.

( … wir haben ihm ehrlich gesagt, dass wir alles auf eine karte setzen. fifty-fifty.
„macht schnell“ hat er gesagt … )

tschüss paps.

( … machs gut spatz. )


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ich habe überlegt, ob ich oben stehenden text ins blog setzen soll. er ist eins zu eins, er ist erlebt und ungeschönt.
würde ich dieses für mich grenzwertige erlebnis auslassen, hätte ich das gefühl, ich würde das leben verleugnen, welches einen hart rannimmt ab und an.
ich wüßte auch nicht wo ich anknüpfen sollte, die nächsten tage. es gehört jetzt zu mir, es prägt mich, ich bin um eine erfahrung reicher. die neue wunde, die zeig ich jetzt her, der text war wie eine salbe, ich konnte diese bilder ein kleines stück weit verarbeiten.
und gerade deshalb, und wer weiss für wen.

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