Donnerstag, 8. Mai 2008

reisenotizen/ zeulenroda, oder ‚im namen der traube’

Tag drei / Montag

Letzte Nacht geträumt, ich sei eine neue Oenologenzucht. Ich wurde durch die ganze Schweiz gereicht, knackig und grün, ein vollmundiges Versprechen, gut im Wachstum, genügsam und nicht nachmöpselnd. Beim Aufwachen vor lauter Schreck für fünf volle Minuten gegen die Zimmerdecke gestarrt und mir Gedanken über die Vielzahl der leckeren Weine gemacht, welche ich in den letzten drei Tagen probiert und nicht ausgespuckt hatte. Ist der Traum da Wunsch oder Nebenwirkung?

Überhaupt, spucken. Das sollte ich ja heute lernen, angedroht wurde es mir gestern generell in warmer Nachmittagssonne beim Kaffee.
So saß ich denn da, Auf in Aug mit Spuckbecher und randvollen Backen.

Tag drei heißt auf meinem Plan Teil 1 des delinat-Sommeliers, den ich hier in Zeulenroda beginne. Sommelier werden bedeutet gleichwohl, eine Vielzahl von Weinen degustieren. Bedeutet anriechen, anstarren, durchblicken, erkennen, gurgeln, durchziehen und: ausspucken!
Jetzt ist das ja so, dass ich diese leckeren Bio-Weine in der Regel mag und was ich mag, schluck ich runter. So.
Sehen andere aber professionell anders und das mit triftigem Grund.
"Lu, spucks aus, sonst können wir Dich am Ende raustragen!" teilt mir ein Blick von vorne gerade mit, als mir von hinten beim Einschenken "Der nächste wird Dich aus den Schuhen hauen!" zugeraunt wird.
Wir sind bei den Franzosen.
Heimlich schlucke ich die Schuhkanone runter. Köstlich!
Trotz allem wird der 0,5er Pappbecher vor mir voller, das Blatt unter den Gläsern schwimmt nach mittlerweile motorisch leicht aus dem Ruder laufenden Nachgießaktionen in Sachen Wasser, und nach dem zehnten probierten Wein vor vier am Nachmittag haben alle wieder Sauna-Teint. In den Pausen taxiere ich den Füllepegel der Pappbecher der anderen im Raum und der Sammelkübel. Man sollte sich nicht ausmalen, was in dem Raum los wäre, hätten alle alles getrunken. Polen offen, Holland in Not. Bitte filmen sie ab jetzt!

5mai08

(Das Gebiet um die Gironde in meinem Becher vereint.)

Der Rest im Kurs ist durch die Reihe weiblich und mit Herzblut Gastro. Alle Frauen - außer mir - arbeiten in Bio-Hotels, wir alle werden uns bis zum Herbst regelmäßig treffen, in ihren jeweiligen Arbeitsstätten. Heute lerne ich nebenher noch was von Bergen und Dirndl, höre einen Witz und bowle mittelschlecht, trinke bis gegen spät am Abend noch so viel Schlücke Wein und literweise Wasser, bis mein Hosenbund nicht nur kneift, sondern laut protestiert.
Mit all den Flaschen auf dem Tisch sind wir Diskussionsgegenstand Nummer eins im Restaurant, der Rest ist Tagungsvolk der Firmen Audi und OTTO (Versand).
Jetzt ist Feierabend, es gibt keinen Spucknapf mehr, jetzt darf getrunken werden.
Ihr lebt OTTO? Macht mal, wir leben Wein.

5mai08

(Letztes Bild, Arbeitstitel "Delinat verdunstet", von Peter Kropf.)

Im Fahrstuhl erkläre ich meinem Schluckauf, warum wir das zusammen durchmachen. Ich will alles wissen. Wirklich alles, und ich kann es mir noch nicht so gut behalten, wie ich es gern hätte. Sicher hätte ich mir einfachere Themen und Passionen aussuchen können, als den Wein, aber nun gut. Das Leben ist kein Ponyhof, und jede Traube hat so ihre eigene Art Religion, das wird wirklich nicht einfach.
Jetzt, nach gefühlt dreißig probierten Weinen zum Montag, da hege ich den irren Gedanken, in der Nacht menschliches Wissen einfach so abzuzapfen (USB-Stick ins Ohr) und drauf damit auf die eigene interne Festplatte.
In echt bäuchlings auf dem Kugelbauch im Hotelbett liegend, und mit allen noch willigen Fingern diese Zeilen hier tippend, ins OFF (noch), da ich nicht ins Netz komme.
Käme ich hinein, ich würde noch heute Abend an Ort und Stelle mein Hab und Gut verteilen, und Portofolio inkl. Lebenslauf aller Bewohner der Düsseldorfer Wohnung (ich, Mann, drei Fellchen, ein dicker Silberfisch) auf direktem Wege Richtung Frankreich schicken.
Vor meinem Fenster wieder Mückendisko, dank greller Energiesparlampe im Zimmer geschätzt um die 2,5 Pfund. Der See liegt tiefschwarz gut im Panoramablick, und ich habe mich langsam dran gewöhnt, keine Leuchtfeuer zu sehen.

Heute gelernt: Spucken! (zaghaft, mehr so Note 3-)
Neues Wort: Schlabbermasse
(= extrem süffig, geht besonders gut zu hochpreisigen Weinen. Wortrechte: E. Hauser)

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Also, mir persönlich gefällt "nachmöpselnd" viel besser als Schlabbermasse. :)
Und pass auf Deine Nase auf, Lu, nicht, dass die nachher so aussieht wie das, was Du da so viel verkostest! ;)
Gruß von uns allen!

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das kompliment gebe ich gern weiter, ich habs von loriot übernommen. (gerade ewig auf youtube die loriot'sche vertreterstunde gesucht, staubsauger heinzelmann, weinvertreter etc- leider erfolglos.)

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Suchen Sie die Wahrheit im Wein?

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nicht nur, aber unbedingt!

(wer nicht, der werfe einen stein.)

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Spucknapf-Otto
Heißt das, nach der Trinkfreigabe, nicht: Werfe den ersten Wein?

Aber eigentlich wollte ich nur darauf hinweisen, daß dem Herrn Versand-Otto immerhin ManuFactum gehört. Vielleicht hatten die ja Späher gesandt? Wegen der edlen Spucknäpfe zum Beispiel.

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das eigene blog, immer wieder ein quell der neuen dinge!
das mit otto und factum, das ist mir nämlich neu.
"... werfe den ersten wein" werde ich sowieso ab jetzt übernehmen, gleich heute abend am tisch! es muss nur noch ein guter anfang her.
vorschläge wie immer hier hinein, merci!

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Mögen die Quellen weiterhin sprudeln – hier ein wenig Information zu Herrn Otto ManuFactum:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/480/133232/

Der alte grüne Lack war ohnehin bereits ab. Dann haben sie eben nachgestrichen und dabei etwas Schwarz hinzugerührt. Die alte Handfabrik wollte ohnehin längst hanseatisch geglänzt haben.

Prost!

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merci!
bester satz: "Der Manufactum-Katalog dagegen liest sich wie ein Feuilleton."
der liegt hier auch gut im stapel, ein otto-katalog hingegen noch nie. ich bin da sehr uninspiriert.
die SZ sollte ich hingegen einmal öfter im jahr lesen als bisher (urlaub) (also fast nie).

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Ach ja, die SZ . Eine jahrzehntealte Haß-Liebe unsererseits. Ersterer obsiegte letztendlich, stülpte still ein Ende namens Kündigung darüber. Es ging nicht mehr zwischen uns. (Wenn wir auch heimlich immer wieder – papierlos – hineinlinsen; es gibt einfach ein paar zu geschätzte Autoren im Blatt. Warten wir's ab, wohin die Reise geht unter dem neuen Sparbrötcheneigentümer.)

Das mit dem Feuilleton – das hatten wir 1994 geschrieben:

«Allein die dem jeweiligen Katalog vorangestellten ‹Hausnachrichten› rechtfertigen den Bezug desselben. ManuFactum-Hausautor Thomas Hoof kongenialisiert sozusagen die Edelprodukte, die er bzw. seine ‹Trüffelschweine› weltweit erschnüffeln: Seine Einführungen in die jeweils neue Produktpalette sind Feuilletons mit Gütesiegel. Ein Beispiel, das gut und gerne unsere Germslang-Rubrik bereichert»:

http://schmoll-et-copains.typepad.com/laubacher/2008/04/cups-im-cupboar.html

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und dann erst das ding mit der ZEIT!
faustdick liegt die tagelang auf dem küchentisch, und nie findet man zeit. ein dauerndes schlecht fühlen lässt einen dann irgendwie die zeit für die kündigung finden.

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