Donnerstag, 15. Dezember 2005

vier stunden.

einer der düsseldorfer kragensittiche sassen laut tschiepend auf der trennwand zweier balkone. von innen zwitscherte es zurück, etwas höher, und ich blieb stehen um zu sehen, was der freie sittich als nächstes tun würde. er legte den kopf schief, öffnete den schnabel, gähnte herzhaft und tschiepte als antwort gleich doppelt so laut. der eine die freiheit, der andere das futter. wer fühlte sich mehr vom leben betrogen ?

sie taucht wie ein hai als umriss in ihrem fenster im erdgeschoss auf, ruft glasklar hallo-hallo, immer gleich, immer zweifach. sie ruft leute zu sich, winkt dabei knapp mit den händen das „komm her“. manche kennen sie, meist aus der unmittelbaren nachbarschaft. viele meiden sie, ebenfalls aus ihrer unmittelbaren nähe. andere sind verwundert, denken sie doch, sie würden einer lieben alten frau vielleicht helfen können, dieses hallo-hallo könnte eine art hilferuf sein, wer weiß das schon.
man müßte eine kamera installieren, denke ich während mein schritt langsamer wird, welche die flut der empörten gesichter einfängt, wenn sie erneut einen an der angel hat, und ihre standard-erzählung bringt. als ich vorbeigehe, extra langsam, das steht ein herr mit hut und wachturm-blättern in der hand vor ihrem fenster und sie fragt ihn, ob er ihr nicht grad mal eben eine flasche bier kaufen könnte, weil der peter, der wär mit dem ganzen portemonnaie weg, und den schlüsseln, und sie käme nicht hinaus. eine flasche bier nur, sie würde auch am fenster warten. sie lebt allein und ist dement, ich kenne das schon, aber der mann mit hut, der guckt empört und ich sehe gerade noch, dass er ihr den wachturm durchs fenster reicht, als ich um die ecke gehe.

in der bahn neben mit zwei teenie-mädchen, identische ausführung. hüftjeans eine nummer zu klein, moonboots mit bömmeln, weiße steppjacke und zopf. jede jeweils einen stöpsel des mp3-players im ohr, die mir gegenüber sitzende singt jeden dritten satz mit, sie hören bushido.

ey, singt der arsch „deine mutter ist so viel wert wie ein pfund pfirsiche“, ey. voll geil der typ.
versteh ich nich, wie kann ne mutter … isch mein, ey, wie teuer sind so pfirsische ?

(stille)

ey, weißte, wer mir gestern abend sms geschickt hat, ey? der ahmed. Schreibt der …warte, ich geb dir mein handy.
(die andere liest laut vor: ) „ey, du bist süß. ich find dich voll geil.“
ist DAS der hammer ? schreibt der mir so sms, ey. ich meine, süß geht ja noch, aber voll geil ? hat der se noch alle? ich bin 14, und der is 26. so ein penner.
(die andere liest in der zwischenzeit alle sms) geht ja gar nicht. zehn jahre, okay, hab ich ja auch manchmal, aber zwölf jahre
älter, geht gar nich.
ne.

in der stadt laufen innerhalb einer stunde um die sieben frauen und ein mann voll in mich hinein, starren blickes, irgendeinen stand mit dingen im blick. ich bin weder unsichtbar noch klein, aber mein groll verteilt sich wie schlacke auf den gedanken an menschen, an weihnachten, an die stadt und an den kaufwahn. erschöpft komme ich aus einem kaufhaus, nach erfolgloser suche nach einem heizkissen, meine mutter wünscht sich ein heizkissen zu weihnachten. ich wünsche mir nicht mehr als ein erdloch zum reinspringen und drin wohnen, gebe aber offiziell ein buch in auftrag, überrascht wird man ja heute eh kaum noch. als ich durch die pustlüfter nach draussen gehe atme ich tief ein, nur um mitten in einen ehestreit zu geraten. beide mitte fünzig, gut gekleidet, jeweils eine tasche in der hand. sie ist gerade dabei, wie ein karpfen nach luft zu schnappen, während er die pause nutzt und ihr paroli bietet. sie solle nicht immer jeden scheiss auf ihn übertragen, er würde sein leben so leben, wie er es für sich für richtig hält. ihre routine, jedes jahr das selbe, er wüsste schon jetzt, wie die kommenden jahr wann wie werden würden, und es kotzt ihn an, das könne doch nicht alles sein. sie, wieder bei luft, keift, was daran falsch wäre, die kinder fänden es schließlich auch schön. die kinder, die kinder, äfft er sie nach, die kinder seien erwachsen mit eigenen kindern, das würde sie bloss verdrängen. und überhaupt, immer ihr plump kumpeliges gehabe vor den kindern. er, der böse vater, der ja immer was neues bräuchte, sie solle ihn doch einfach in ruhe lassen, es wäre sein leben, nicht ihres.
ich stand zwei meter neben ihnen, fummelte an meinem handy und wollte wissen, was als nächstes geschah, konfliktlösung, streitkultur oder trennung kurz vor weihnachten, direkt am kaufhof ? sie waren so aggressiv, so bitter, es lag so viel verletztes um sie herum und ich dachte, wenn sie noch weiter macht, mit dieser verzickten stimme auf ihn einschreit, dann vergisst er sich und haut sie um.
das tat er dann nicht, aber er drehte sich wortlos um, und ging. er ging einfach weg, und liess sie stehen. sie rief noch hinter ihm her, was denn jetzt mit den einkäufen sei, und ich dachte, die merkt es echt nicht, aber man sitzt nicht drin. vielleicht machen sie dieses spiel jedes jahr mitte dezember, vielleicht sehen sie sich auch nie wieder.

als ich nach knappen vier stunden wieder zu hause bin, fühle ich mich leer und müde. ich habe keine lust auf weihnachten, der stress widert mich an.

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Genau die Geschichte werden wir alle (bis auf Burnster) am 3. Weihnachtstag auch erzählen können.

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den kapier ich mal wieder nicht. erkläre er sich ?

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düsseldorf
sehr treffend geschrieben.
ich war mittendrin.
klasse.

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vielleicht standen wir ja sogar nebeneinander ?
ich trug einen ringelschal und keinen glühwein.

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