Sonntag, 14. Juni 2009

#76

Viertelpoesie.

13juni2009

(Da geht man einmal ums Haus herum und steht vor
neuen, prallen Wörtern.)


Donnerstag, 3. Juli 2008

Sequenzen, oder "Der Versuch einer Freizeit im Stadtsommer", Teil 2

Heute: Gedanken über Dosen-Prosecco und Siedepunkte.

Gestern am frühen Morgen habe ich dann nachgegeben.
Den Kopf noch tief und verknautscht im Kissen, dachte ich nicht an 2do-Listen und deren Eigendynamik wie Reihenfolge. Ich dachte nicht an Haushalt und ob der Korb mit Buntwäsche wieder dran wäre. Ich dachte nicht an die Arbeit am Klapprechner und nicht die am Menschen, ich dachte nur eins:
Nehme ich Aprikosen mit oder eine Stulle, und wie lange brauche ich wohl insgesamt vom Bett bis ins Becken.

Wenn ich zügig fahre, bin ich mit meinem Drahtgeschoss in dreißig Minuten im Schwimmbad am Rhein. Schöne Strecke, einmal durchs Viertel, einmal über eine Brücke, und dann den Fluss entlang bis der Rheinturm sehr klein geworden ist, und dann ist man da.

In diesem Schwimmbad habe ich als Göre schwimmen gelernt, und in den Becken habe ich selbst kleinen(nicht eigenen) Gören das Schwimmen beigebracht. Ich habe alte, unverarbeitbare Traumen von dem meilenlangen Weg von der Bushaltestelle bis zum Eingang Schwimmbad (Danke, Mutti) die sich als Kind anfühlten, als würde man zu Fuß nach Polen auswandern. Ohne Papa, weil der war Arbeiten.

Normalerweise gehe ich nicht in Schwimmbäder. Also nicht in gut besuchte, weil mich irgendwas an Akustik und Stimmung wirklich verzagen lässt. Aber auch da gibt es Ausnahmen, und die heißen "sehr früh" und "sehr spät".
Außerhalb der Schulferien kann man morgens früh gehen, schwimmen und schnell wieder fahren, wenn die Kühltaschenfront im Rudel über den Rheindamm anmarschiert kommt. Und man kann sehr spät gehen, wenn alle anderen längst zu Hause vor RTL sitzen und in Ruhe den Tag im Wasser ausklingen lassen.

Und, und hier die Ausnahme, und man kann vor der Hitze kapitulieren und trotz Schulferien gegen acht am Morgen denken: Noch ist es früh genug, nur ein oder zwei Stunden, und dann bin ich wieder weg. Man kann sich noch völlig verschlafen aufs Rad setzen, seinen Beutel schultern und auf direktem Wege und optimistisch gestimmt ins Schwimmbad fahren.
Man kann, und hier schlägt die Realität dann mit voller Wucht zu, eine halbe Stunde später in einer kleinen Schlange an der Kasse stehen (9 Uhr 12), von rechts reißt einem ein kleiner Junge am Portemonnaie (Mammaaa, HABEN!), den man dann streng aber mütterlich anschaut, 'Nein!' sagt, worauf der anfängt zu brüllen und durch irgendeine geheime Kraft sich sein Darm lockert und er das genau jetzt raus lässt, was Mutti gestern sorgsam reinstopfte.
Ich hatte nur einen Kaffee im Magen und mogelte mich flugs vor der nun den Jungen anbrüllenden Mutti, sagte noch einmal laut 'Nein!' als die Bademeisterin meinte 'Sind sie nicht süß, wenn sie so klein sind?' und dann im Stechschritt Richtung Erwachsenenbecken.

Wo um diese Uhrzeit normalerweise nur zwei Dinge herrschen, nämlich Ruhe und konzentriertes Bahnen ziehen, waren nun alle Liegen belegt und das Becken gefüllt mit einer Spezies, die in dieser Form sonst so auch nicht dort ist.
Hippe Renter mit Nebenjobs.
Ich hab das so noch nie erlebt, aber nun lag ich hinter einer Hecke in Deckung und bekam Gespräche mit, die ich sonst so noch nie gehört habe. Menschen locker über 70 ziehen über ihre Kinder her, die ja angeblich nie Zeit haben wegen der Firma, aber sie hätten ja Dank Mitarbeit den Überblick, und da würde ja gelogen was Qualifizierung anginge, was Freizeit anginge, Hobbys und Fortbildungen, und eigentlich sei Bernd eine Null, aus welchem Strang der Familie er das wohl hätte, und ohne den und dem würde er die Geschäfte nie stemmen können.
Daneben, ebenfalls laut mitschimpfend, Omas oben ohne und mit iPod in der Hand. Da wurde über die Musik im Ohr die Anita laut bejohlt, die gestern im Hafen (hippe Medienmeile, gut getarntes after-Work-Gehege für alle) dermaßen über den Durst und nun erst mal einen Prosecco bräuchte. Sprachs, und zischte sich einen Dosen-Prosecco (9 Uhr 25 ).
Neben mir lag eine junge Frau in sichtbaren Umständen, die alles ebenfalls mitbekommen hatte, und wir sahen und tief in die Augen und trauten uns nicht, die Köpfe zu schütteln.

Von 9 Uhr 27 bis 11 Uhr 12 lag ich durchgehend im Wasser.
Das war Sinn und Zweck der Übung.

Auch schön am Stadtsommer ist es, wenn sich Asphalt und Häuser wie heiße Steine aufheizen und die Stadt ein gigantisch großer Raclette-Grill wird, mit Salatflächen (Park), Dip (Schwimmbäder und Seen) und Beilagen (Menschen in Biergärten oder Restaurants mit Außenbereich).
Bei der Rückfahrt in die Stadt hinein wurde es von Kilometer zu Kilometer heißer, und bis ich an der Brücke an einer Ampel stand, war ich trotz Fahrtwind überhitzt wieder bereit, mich in jede Pfütze zu werfen und gründlich zu suhlen.
Der Rhein schimmerte verführerisch in grünlich-blauen Tönen, die Menschen schleppten Tonnen von Eis in Waffeln vor sich her, jeder suchte Schatten und Italiener auf.
Düsseldorf war zur Adria mutiert, das Thermometer an der Strasse zeigte 35°, es war auf den Gongschlag zwölf Uhr.

Bevor ich zum nächsten Termin aufbrach, legte ich LSF 30 nach, kaum noch ein Mensch auf der Strasse, und das Wassereis ginge weg wie Brot, hörte ich den Kiosk-Mann.
13 Uhr 35, das Thermometer an der Hauptstraße blinkte mit 37°, Fahrrad und ich verschmolzen mit der Strasse, alles schien sich aufzulösen.

Das könnte man jetzt den ganzen Text so weiterführen, zum Beispiel wie ich am späten Nachmittag mit meiner Friseurin verklebte, als sich mein Folienumhang mit ihrer Gummischürze vereinte, und wir schwitzend versuchten, uns voneinander zu lösen. Oder das Gewitter, was herrlich elektrisch den Abend beim Griechen mit neuer Würze spickte. ("War DAS schon die ganze Zeit auf meinem Salat?" - "Nein.")
Oder.
Aber mir ging es eigentlich nur um die Sache mit den Rentnern und ihren neuen Freizeitbeschäftigungen.
Und darum, dass es sich abgekühlt hat.


Sonntag, 11. Mai 2008

Sequenzen, oder "Der Versuch einer Freizeit im Stadtsommer", Teil 1

Heute: Gedanken über das Wort Sommergehege am offenen Wasser.

Ich wollte schon im Vorfeld nicht raus.
Dennoch, der Beginn einer Serie geht anders.
Sommer in Düsseldorf, den hatte ich ganz grob über den Daumen geschätzt knapp an die vierzig Mal,
unterbrochen von Urlauben an der Ostsee (Baden in der Kindheit), Andreas-Kirche Düsseldorf Altstadt (Schnorren in der Pubertät, Punk und ALDI-Bier),
Brighton-Beach (Gothik und das erste Male ohne Eltern) und viel französische Atlantikküste (Erwachsen bis dort hinaus und bis dato). Italien, Schweiz, Niederlande und Belgien,
quasi vieles außer den Vereinigten Staaten und Emiraten, ich flieg ja so ungern.
Aber jährlich und pünktlich zum ‚schönen’ Wetter steht fast täglich eine Frage ins Haus, und die geht so:
„Was machen wir denn heute?“
Die Betonung liegt in jedem Fall auf dem Wort „machen“, wobei man das auch am besten mehr so norddeutsch ausspricht, mit hartem C-H.
Anfangs, klar. Begeisterung, das war ich in Person.
Anfangs, vor allem Anfangs einer Beziehung, da macht man ja alles mit.
Ich kletterte in rosa Flip-Flops über Drahtzäune der Beton-Union um möglichst aufreizend in eiskaltem Wasser eines Baggersees zu glänzen.
Ich schmiss mich johlend in Tümpel, Weiher und auch in tiefe Pfützen, Hauptsache man macht (norddeutsches CH!) etwas.
Wetter ist ja schön. Da muss man raus.
Aber unter uns allen: So langsam werde ich zu zynisch für Freizeit.
Seit drei Jahren gebe ich öffentlich und ohne mich zu schämen zu, dass meine Sommer-Depression ärger sei als deren Winterversion.
In echt ist die Winter-Depression schon ewig Geschichte, ab Herbst geht es mir eigentlich super. Es ist angenehm muckelig, ist man vom Sauwetter endlich zurück im warmen Drinnen.
Beim Sport bekommt man keinen Kollaps, die städtischen Grünstreifen sind praktisch leer, der Mensch an sich mit seinem Terrier auf der Couch.
Da kann man gut raus, da ist Platz und Ruhe im Gebälk.
Aber jetzt?

(So, die Brücke ist geschlagen, wir kommen zu heute.)

Heute meinte der Mann so:
„Und? Was machen wir denn jetzt Schönes?“
Ich konnte kaum an mich halten, nicht sofort laut zu rufen „NIX! Ich will nur eins machen, nämlich NIX!“
Draußen schon vor Mittag über 20 °C, und das im Mai. Wonnemonat und so.
Ich in Schockstarre, was tun, welchen Weg, welcher See ist noch nicht gnadenlos von Sonnenhungrigen mit Tchibomützchen und Tupperdosen umlagert?
In Gedanken beneidete ich mehr wie üblich die Stadtrandlebenden, generell alle, die eine Einwohnerzahl unter der 4-stelligen hatten,
weil da kann es doch eigentlich nie wirklich irgendwo voll sein.
Oder?
Der Mann aber gibt sich gnadenlos. Draußen ist es schön, also müssen auch wir dorthin.
Rhein? Baggerloch? Wald? Schwimmbad? Freundes Garten? Altstadt? Stadtrand-Waldrand-Bauernhof-Künstlerkommune- wohin denn nun?
Ich immer steifer. Man weiß mittlerweile, was einen erwartet, und Auswahl haben bedeutet nicht immer gleichwohl einen Segen.
Und jedes Jahr bin ich die, welche schlimm fremdelt und spätestens am 4.Schönwetter-Tag meint, dass ich mich jetzt hinlege. Den Rest des kompletten Sommers.

Ich mach’s kurz. Am Ende brasselten wir uns mit Decke, Getränken, Melonenstücken und Büchern durch einen halben Quadratkilometer Brennnesseln, um eine
Kieselkuhle am Rhein (falsche Seite, als Info für die Düsseldorfer) unser Eigen nennen zu können.

10mai08

Wir durchlaufen die saisonalen Vorgärten von Zelten.
Im ersten Zelt: Berber, drei Stück. Sitzen alle fröhlich prall vor ihrem Inuit-Home aus Plaste und grinsen sich zahnlos einen. Als wir an ihnen vorbeigehen, bin ich benebelt vom Weinbrandaroma, welches wie eine zweite haut über ihnen und ihrem Platz liegt. Die direkte Nachbarschaft bildet eine Familie, wo beim normal schnellen vorbeigehen eher unklar bleibt, wer nun Papa und wer Sohnemann ist. Alle qualmen und sehen aus wie zwischen 25 und 50.
Dann ein knutschendes Pärchen. Während er ihr am Bikinioberteil zutzelt, fährt ein Frachter namens KARL-HEIN vorbei. Ich frage mich, ob da ein Z in den Rhein gefallen ist, aber da hat er schon ihr Oberteil laut johlend in der Hand und wir sind um die nächste Gebüschecke.
Dann endlich- eine ganze Kuhle ohne wen. Wir breiten schnell unseren IKEA-Überwurf aus. Nur wir, drei Liter Volvic, Lichtschutzfaktor 20 und Gevatter Rhein.
Leider herrscht in unserer Kieselkuhle zwar mediterraner Wellengang, aber ansonsten haben wir eine Schattenseite abbekommen.
Man beißt nicht die Hand, die einen füttert, und so lagen wir angenehm kühl für sagenwirmal 12 Minuten. Dann kam der nächste Schwung, das geht hier scheinbar in der Taktung der Dorfampel, und wie fix bzw. gnadenlos man mit der Parkplatzbeschaffung ist.
Fünf Erwachsene, gefühlt dreißig Kinder. Alle heißen Kevin (Kövvinn!) und Christian (Chrissiahn), die Mädels Ey (Öih) und Sarah (Soraah). In echt sind es genau vier Kinder, aber alle sind super im große Steine wegmachen. Ich liege unter einem Quadratmeter Sonnebrille versteckt und gucke das, was man früher das Proletariat genannt hätte. Das ist mir aber für diese Menschen zu liebenswert, deswegen nenne ich sie nur die Eys. Mutter eins ist um die vierzig, steckt in einer Hot-Pant aus Jeansstoff und Top mit ‚Willkommen’ auf der Vorderseite. Als sie Töchterchen Scharlott zum Pi-machen hinter das Zelt der drei Berber zerrt, sieht man in 58-Punkt ‚…und tschüss’ auf ihren Schultern prangen. Darüber in Tinte ein Tigerkopf auf Haut, darunter ein Name, den ich aufgrund der Entfernung nicht mehr Entziffern kann. Ich tippe auf Manni oder Walle, vielleicht auch Ereignisse wie BON JOVI oder Rock am Ring 2001. Man steckt nicht drin.
Die Berber genervt wegen pinkelnder Scharlott, ich mit zusammengekniffenen Ohren wegen Günni. Günni ist der Erzeuger von Chrissi, und beide sind sehr eifrig dabei, dicke Steine in den Rhein plumpsen zu lassen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Vatti redet mit Sohnemann wie Hausmeister Krause mit seinem Dackel. Dazwischen immer ein dumpfes PLATSCH, dann eine Denksekunde, und dann zweistimmig ein Boahgeiley.
M. schläft, und ich spiele verzagt Solitaire auf meinem Mobilen. Man fühlt sich oft einsam als Sommerdepressiver, gefühlt scheinen sich alle zu amüsieren, nur man selbst –

Der nächste Ampeltakt kommt. Jugendliche mit mehr Baguette als weibliches Lebendgewicht, die Jungs mit Sonnenbrand, die Mädchen in Hasi&Mausi-Uniform. Alle sehen gleich aus.
Ich drücke meine Sonnenbrille noch enger ans Gesicht. Die Jugend zieht weiter (zu viel Spießer hier), und die nächste Ladung kommt (nur noch eine Kuhle, Edith). Mensch an Hund. Mensch wird Gassi geführt, Hund ist Kategorie ‚Listen-Hund’ und hat Bauchfett. Auch angeblich böse Kläffer liegen gern auf der Couch und essen Käsehappen.
Ich halte es kaum noch aus, gerade die Gespräche der direkten Nachbarn mit Muddi, Scharlott und Vatti mit seinem enervierenden PLUMS der dicken Steine, gefolgt vom sicheren Boahgeiley.
Ich drücke energisch auf ‚Neues Spiel!’, bekomme kein Spiel zu Ende, keinen Gedanken zu Ende, denke an Gewalt und Hartz 4, an Kontrolle und an mein ruhiges Heim.
Kaum regt sich M. aus seinem tiefen Männerschlaf, rufe ich ihm ein enthusiastisches ‚Ich muss hier weg!’ ins Ohr. Direkt alle Schuhe an, Decken ausgeklopft, M. noch gar nicht richtig wach, da bin ich schon baren Beines im Stechschritt durch das Brennesselfeld, nur weg hier, zu Hause ist auch schön!

Wir haben noch zwei freie Tage und einen ganzen kommenden Sommer vor uns, diese Serie mach ich jetzt sowas von voll!
Schwimmbäder, Baggerlöcher. Überfüllte angesagte italienische Insidertipps und Boote mit Bio-Eis. Joggingstrecken und eigentlich leere Geheimtipps.
All das werde ich endlich einmal los; ach hätte ich schon vor Jahren diese Serie hier, aber es ist nie zu spät, weil:
Nach dem Sommer ist vor dem Sommer.
Wir sehen uns. Wenn nicht hier, dann ganz sicher an einem einsamen Ort. Ganz sicher.
Ich, Du, und noch einige Tausend anderer Großstädter, auf der Suche nach dem einsamen Ding und sich selbst.