Sonntag, 11. Juli 2010

† Tin-Tin Jones.

Ich hatte einmal vier Fellchen. Die waren wunderbar und praktisch unsterblich. Ich war Mitte zwanzig, und sie rochen nach Milchpulver und Fell.
Ich hatte einst vier Fellchen. Die waren immer wunderbar, und gestern ließ ich den letzten ziehen. Tin-Tin wäre nächsten Monat in sein 18. Lebensjahr gegangen. Wir hatten am selben Tag im August Geburtstag.

23märz2010

Der zweite Wurf den ich damals nach Dizzy und Janis in meine Obhut bekam, das waren diese drei winzigen Fellhaufen, ausgesetzt auf einem Firmengelände im benachbarten Mönchengladbach. Sie waren schwach wie Watte, hatten die Augen noch zu und heiser vom rufen nach ihrer Mutter. Ich nahm sie mit, legte sie in eine Kiste mit zwei Wärmflaschen und einer tickenden Armbanduhr unter ein Fell, gab allen eine ordentliche Portion Muttermilchersatz und fand Minuten später drei sehr tief schlafende und schnurrende Winzkatzen vor. Die Armbanduhr tickte, und ich kreuzte hinter meinem Rücken die Finger als ich meinem damaligen Freund 'Durchkriegen und dann vermitteln' versprach. Der Zustand der Kleinen war nicht gerade prächtig.

Ab da schellte mein Wecker alle zwei Stunden, wir machten alles durch und weg (Flöhe, Würmer, Milben), die drei Monate älteren zwei kümmerten sich um die Kleineren drei. Irgendwann kam der Tag, wo einer gehen musste. Meine beste Freundin nahm Paul, der robust genug für Kinder war. Ich behielt Tin-Tin, der mir mit einer Aktion sehr früh das Herz gestürmt hatte. Er kletterte nach einer Milchflasche wie eine dickbäuchige Fledermaus von meinem Schoß hoch zu meinem Kopf, blinzelte mir ins Gesicht und legte mir beide winzigen Pfoten um die Nase, und guckte mich aus seinen Knopfaugen sehr intensiv an. Dann seufzte er und legte sich mitten in mein Gesicht, um zu schlafen.

Ein ganzer Lebenszyklus also, der gestern zu Ende ging. Mit geschlossenen Augen nahm ich ihn, und mit geschlossenen Augen gab ich ihn wieder her. Dazwischen 17 Jahre ohne Ausfälle. Tin-Tin ist eine robuste Gebüschzucht. Er war nie krank, und selbst der Virus, der vor 5 Jahren das Leaderfellchen fast umgebracht, und den Rest sehr mitgenommen hat, hat ihm für zwei Tage einzig ein tränendes Auge und einmal Niesen abgerungen. Erst als Hugo und Irma aus dem Tierheim einen besonders hartnäckigen Bakterienstamm mitbrachten, hatten er und seine Schwester Luna ein paar Mal mit üblem Halsweh Maläste.

Letztes Jahr, wir waren grad hier im Haus, da merkte ich, wie Tin-Tin anfing, Weltmeere zu trinken. Er trank und soff, er pinkelte und füllte direkt wieder auf. Tierarzt, Blutabnahme, Nierenprobleme. Der Kater ist alt, die Organe gehen langsam in die Knie, wir gaben Medizin und stellten das Futter um. Alles gut.
Dann Anfang des Jahres die Krise, als ich bei Frankfurt gearbeitet habe. Fast wäre er liegen geblieben, aber ich wollte noch diesen Sommer mit ihm. Ich wollte, dass er den Garten noch einmal richtig nutzen und genießen kann. Also schlief ich bei ihm auf dem Boden, gab Wasser wenn er trocken schmatzte, gab Futter, wo er keins wollte, gab Infusionen, Medizin, schlief leicht um nichts zu überhören. Er kam durch, wir alle freuten uns, und jetzt hatten wir halt einen CNI-Kater, und der braucht besondere Pflege, aber das macht man ja. Ich gehe auf CNI nicht ausufernd ein, wenn jemand Fragen hat, bitte mailen. Ich kann mein Diplom mit chronischen Niereninsuffizienzkatzen und ihren Bedürfnissen machen.
Es ging meist gut, nur das Fressen ist ein Problem, die Tiere mergeln aus, werden immer dünner, haben keine Reserven mehr für eventuelle Krisen. Tin-Tin wog immer um die 5 Kilo, am Ende keine 3 mehr. Im letzten Monat wollte er nichts anderes mehr fressen außer frisches Hühnchen aus dem Ofen, also bekam er es. Das ist kein Nierenfutter, aber sowohl die Tierärztin wie auch ich waren der Meinung, dass ein so alter Kater das bekommen soll, was er mag. Das Ende ist eh in Sicht, warum also nicht noch die letzte Zeit so schön wie möglich machen?

Dann der Donnerstag Abend vor 10 Tagen. Plötzlich lag er anders, wirkte matt. Plötzlich lag etwas in der Luft, dazu war er die ganze Woche schon sehr aufmerksam und schmusig, und wann immer ich an ihm vorbeiging, gab er mir Köpfchen, schnurrte. Ich heulte auf der dunklen Gartentreppe, nur um mich am nächsten Tag wieder stramm zu machen und zu denken, so nicht.
Ich besorgte ihm ein bestimmtes Futterkonzentrat vom Tierarzt, ich kochte Futter, mit welchem ich ihn füttern konnte, wie schon früher im Januar. Freitag und Samstag plötzlich alles toll. Kater fit, trotzte der Hitze, ging mit mir raus, und nahm sogar Katzenfutter, das erste Mal seit Wochen. Ich freute mich, lobte ihn als zähen Knochen, nur um Sonntag Morgen schnell eine Zeitung unter ihn zu schieben, weil er kotzen musste. Und das war es dann. Die zwei Tage waren das klassische letzte Aufbäumen, was Tiere gerne noch einmal haben, bevor es losgeht. Ab Sonntag lag er nur noch. Fressen wollte er nichts mehr, nahm nur morgens seine Milch an, in die ich immer die Medizin versenkte. Ich wusste, was kommt.
Ich registrierte, dass er nicht mehr an seine anderen Plätze ging, dass sein Radius plötzlich nur noch das Dreieck Korb, Katzenklo und Wassernapf war. Immerhin. Wenn ich ihn streichelte, schnurrte er. Er putzte die Kleinen, er genoss es, wenn sich Hugo oder Irma zu ihm in den Korb legten, er ließ unser Morgenritual nicht aus, obwohl er schon sehr schwach war. Jeden Morgen machte ich für die Kleinen die Näpfe in der Küche zurecht, und ging mit Tin-Tin dann an die offene Gartentür, trank meinen Kaffee auf den Stufen und wir guckten in den Garten, gingen raus, die heiligen Minuten die in dem ganzen Gewusel sonst nur uns beiden gehörten. Gestern Morgen konnte er das nicht mehr. Ich trug ihn mit Körbchen an die offene Tür und heulte in meinen Kaffee. Die ganze Nacht hatte ich bei ihm verbracht und es ist das passiert, wo meine Grenze abgesteckt war.
Ich hatte gesagt, ich mache alles für ihn, so lange er noch Lebensqualität hat. Hatte er.
Seit Sonntag dann hatte ich gesagt, so lange er noch eigenständig in die Pinkelbox gehen kann und Wasser trinkt, keine Schmerzen hat und da sein will- so lange wird die Ärztin nicht angerufen, die natürlich schon informiert war.
'Machen sie, wir bleiben in Kontakt die Woche, und wenn was ist, dann rufen sie mich an.'
Tiefe Depression, die ganze Woche. Trauer, Abschied, loslassen.
Als er Freitag Nacht liegend sein Körbchen einpinkelte, wusste ich, was nun kommt.

Ich lag lange Zeit mit ihm auf de Boden, begleitete ihn, aber sein Herz war immer gesund und stark gewesen. Ich rief die Ärztin an.
Ich heulte.

Er ging Mittags um 12, der Sterbeprozess hatte gegen 6 begonnen, die Spritze half ihm schnell. So traurig das auch ist, er hatte von all meinen Katzen den friedlichsten Tod. Ich habe ihn gehen lassen ohne Klinik und 'noch mal probieren', weil er beschlossen hatte, dass jetzt gut ist. Tiere zeigen das. Er war zu Hause in seiner Lieblingsecke, wir alle waren um ihn herum, Hugo und Irma streiften um die Ärztin, es war friedlich und ruhig. Und das ist toll, wenn es so gehen kann. (Noch toller ist, wenn sie steinalt werden und morgens einfach nicht mehr aufwachen, das wünschen wir uns für uns alle.)
Trauer funktioniert leider nicht rational. Den letzten der vier gehen zu lassen war genau so schwer, wie den ersten. Ich fühle mich allein, die ganzen Jahre waren erfüllt von deren Marotten, Jobs (Wecken, Türen öffnen, einem beim pullern anstarren, Mond anmiauen), Sorge und immer und immer wieder Freude. Und Katzenhaarnester im Kopfkissen. Und kalte Katzenkotze auf kaltem Steinboden im Winter, in die man barfuss tritt. Und und und.
Die beiden Knickohren sind noch da. Und ein volles Album mit den 4 Fellchen und Hugo und Irma.


Eigentlich wollte ich nur einen Satz schreiben-
'Habs schön, mein Waschbär, und Küsse an den Rest.'