Sonntag, 6. Mai 2007
ausschnitt zwo, lasst herrn weiler sprechen:
(...) "Befinde mich auf Nahrungssuche. Auf dem Gehweg stoße ich auf ein Schild mit folgender Menüempfehlung: 'Großes Mittags-Buffet (32 Gänge) mit Ente nur € 6,80.' Zweiunddreißig Gänge! Es handelt sich natürlich um ein chinesisches Lokal.
Der letzte Chinese, dem ich einen Besuch abgestattet habe, war jener in Jena, wo das Essen derart apokalyptisch heiß auf den furnierten Tisch kam, dass das Pfannengemüse schäumte und spritzte. Der Kellner deckte das ganze Essen mit dem Sportteil der BILD ab, bis sich das Gemüse einigermaßen beruhigt hatte. Dann hob er das versiffte Papier ab wie eine Glosche, zerknüllte es, und ich musste zehn Minuten warten, bis das Essen so weit abgekühlt war, dass es mir kein Loch mehr in den Gaumen brennen konnte. Nee, heute ist mir nicht nach zweiunddreißig Gängen, Ente hin oder her.
Bald stehe ich vor einem sogenannten In- oder sogar Szene-Lokal. Die erkennt man sofort, schon an den dicken Kerzen und dem indirekten Licht und der gleitenden Typographie, in der der Name des Lokals auf Fensterscheiben und Speisekarten sein Unwesen treibt. Die Gäste sitzen auf lederbezogenen Bänken oder lehnen an Stehhilfen und hören Lounge-Musik. Das war mal eine Zeit lang sehr populär, dieses Buddha-Bar-Café-Costas-del-Mar-Gedudel.
Ich bestelle aus Gründen, die mir im Nachhinein völlig rätselhaft sind, da ich ja eben noch beschlossen habe, nicht chinesisch zu essen, eine Riesenfrühlingsrolle mit knackigem Wokgemüse. Fehler. Schlimmer Fehler. Die Riesenfrühlingsrolle ist ein mächtiger Blätterteigapparat mit im Schummerlicht schwer zu definierendem Innenleben, und das knackige Wokgemüse klebt in einer schweren süßsauren Pampe an einem Berg Reis. Meine Sozialisation gebietet mir leider, alles aufzuessen. Diese ewige Aufesserei. Schrecklich. Ich stoße beherzt auf und zahle.
In den Grundfesten meiner vegetativen Stabilität erschüttert, wanke ich durch die Innenstadt zu meiner Lesung."
(Jan Weiler - In meinem kleinen Land )
Der letzte Chinese, dem ich einen Besuch abgestattet habe, war jener in Jena, wo das Essen derart apokalyptisch heiß auf den furnierten Tisch kam, dass das Pfannengemüse schäumte und spritzte. Der Kellner deckte das ganze Essen mit dem Sportteil der BILD ab, bis sich das Gemüse einigermaßen beruhigt hatte. Dann hob er das versiffte Papier ab wie eine Glosche, zerknüllte es, und ich musste zehn Minuten warten, bis das Essen so weit abgekühlt war, dass es mir kein Loch mehr in den Gaumen brennen konnte. Nee, heute ist mir nicht nach zweiunddreißig Gängen, Ente hin oder her.
Bald stehe ich vor einem sogenannten In- oder sogar Szene-Lokal. Die erkennt man sofort, schon an den dicken Kerzen und dem indirekten Licht und der gleitenden Typographie, in der der Name des Lokals auf Fensterscheiben und Speisekarten sein Unwesen treibt. Die Gäste sitzen auf lederbezogenen Bänken oder lehnen an Stehhilfen und hören Lounge-Musik. Das war mal eine Zeit lang sehr populär, dieses Buddha-Bar-Café-Costas-del-Mar-Gedudel.
Ich bestelle aus Gründen, die mir im Nachhinein völlig rätselhaft sind, da ich ja eben noch beschlossen habe, nicht chinesisch zu essen, eine Riesenfrühlingsrolle mit knackigem Wokgemüse. Fehler. Schlimmer Fehler. Die Riesenfrühlingsrolle ist ein mächtiger Blätterteigapparat mit im Schummerlicht schwer zu definierendem Innenleben, und das knackige Wokgemüse klebt in einer schweren süßsauren Pampe an einem Berg Reis. Meine Sozialisation gebietet mir leider, alles aufzuessen. Diese ewige Aufesserei. Schrecklich. Ich stoße beherzt auf und zahle.
In den Grundfesten meiner vegetativen Stabilität erschüttert, wanke ich durch die Innenstadt zu meiner Lesung."
(Jan Weiler - In meinem kleinen Land )
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rainersacht,
Sonntag, 6. Mai 2007, 18:43
Ich finde, Herr Weiler wird maßlos überschätzt. Dass er ausgerechnet vom Stern, der BILD-Zeitung für Sozen, derart gehypt wird, spricht zusätzlich gegen ihn.
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Lu,
Sonntag, 6. Mai 2007, 20:16
und seine unterhaltsamkeit für ihn.
keine schwere last, nur lustige geschichten. es gibt zeiten, da ist das schwer von nöten ;-)
keine schwere last, nur lustige geschichten. es gibt zeiten, da ist das schwer von nöten ;-)
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mark793,
Montag, 7. Mai 2007, 11:47
Ich habe diese nette Sammlung von Beobachtungen ohne jedes Bedeutungsgehuber sehr genossen. "In meinem kleinen Land" liest sich wie ein gutes Blog, man klickt sich lesend weiter auf "ältere Einträge" oder man lässt es und liest morgen weiter.
Allein schon über die Beschreibungen der kleinen Verbundgemeinde auf der linken Rheinseite habe ich mich sehr beömmelt.
Allein schon über die Beschreibungen der kleinen Verbundgemeinde auf der linken Rheinseite habe ich mich sehr beömmelt.
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Lu,
Dienstag, 8. Mai 2007, 10:27
das war ja auch mal ein blog, hab ich damals gern gelesen.
und wenn sich der kerkeling mit einer sagen wir mal nicht ganz so dollen schreibe in der zahl verkauft, hat es der weiler längst verdient.
muss und will ja nicht jeder hochkarätiges ausschwitzen, mancher möchte einfach nur einfache geschichten erzählen, und das kann er. 'maria ihm schmeckts nicht' hat mir sehr viele eigene erfahrungen aufgekocht, ich fands köstlich! 'antonio im werbewunderland' habe ich allerdings noch nicht gelesen, kann man das? sollte ich?
und wenn sich der kerkeling mit einer sagen wir mal nicht ganz so dollen schreibe in der zahl verkauft, hat es der weiler längst verdient.
muss und will ja nicht jeder hochkarätiges ausschwitzen, mancher möchte einfach nur einfache geschichten erzählen, und das kann er. 'maria ihm schmeckts nicht' hat mir sehr viele eigene erfahrungen aufgekocht, ich fands köstlich! 'antonio im werbewunderland' habe ich allerdings noch nicht gelesen, kann man das? sollte ich?
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mark793,
Dienstag, 8. Mai 2007, 12:02
Ach, echt - das gabs wirklich mal als Blog? Das war mir nicht bekannt (oder bewusst). Meine Frau hatte mir das in die Hand gedrückt mit der Ansage, hier, das musste lesen, der Typ schreibt irgendwie so bloggermäßig, ähnlich wie Du, das wird Dir bestimmt gefallen.
"Maria, ihm schmeckts nicht" habe ich hier noch in der Hörbuch-Version vom "Stern" rumliegen, finde aber selten die nötige Ruhe zum Anhören. "Antonio im Werbewunderland" haben mir mehrere Leute empfohlen. Mal sehen, im Sommerurlaub weiß ich vielleicht mehr.
Was das Ausschwitzen von Hochkarätigem angeht - seh ich exakt genauso. Weiler kann schreiben, er ist pointensicher, und ich mag die Art, wie er Beobachtungen zu Miniaturen verdichtet. Ob das jetzt alle literarischen Standards neu definiert oder nicht, darüber mögen sich staubfurzende Feuilletonisten einen Kopf machen, für mich ist das schon lange kein Kriterium mehr.
"Maria, ihm schmeckts nicht" habe ich hier noch in der Hörbuch-Version vom "Stern" rumliegen, finde aber selten die nötige Ruhe zum Anhören. "Antonio im Werbewunderland" haben mir mehrere Leute empfohlen. Mal sehen, im Sommerurlaub weiß ich vielleicht mehr.
Was das Ausschwitzen von Hochkarätigem angeht - seh ich exakt genauso. Weiler kann schreiben, er ist pointensicher, und ich mag die Art, wie er Beobachtungen zu Miniaturen verdichtet. Ob das jetzt alle literarischen Standards neu definiert oder nicht, darüber mögen sich staubfurzende Feuilletonisten einen Kopf machen, für mich ist das schon lange kein Kriterium mehr.
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jazz,
Montag, 7. Mai 2007, 11:03
Ich habe bisher nur "Maria, ihm schmeckts nicht" gelesen. Ich fand es sehr unterhaltsam, wenn auch nicht hochliterarisch. Aber das muss es ja auch nicht immer sein.
Danke für den Tipp!
Danke für den Tipp!
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