Sonntag, 29. Januar 2006

A.

Hier scheint Sonne. Mehr weiss wie gelb in unklaren Strahlen kommt sie in den Raum, sticht durch die Kälte und taucht mich unter. Ich lese über Hamburg in andrer Leuts Leben, die Elbe in klaren Schollen, knackender Winter, die Menschen munkeln. Ich wünsche mich zu Kaffee und Lesung, heute am Sonntag, während ich wieder und wieder an A. denke, für die Kuchen vielleicht keinen Sinn mehr macht.

Wir waren befreundet, ein paar lange Jahre, arbeiteten erst Rücken an Rücken, um später, auf einer feier zu merken, dass wir auch Seite an Seite ein bißchen gemeinsam gehen könnten. Beide färbten wir unsere Haare knallrot, pflegten den Humor so tief und schwarz, wie wir uns den Kaffee im Wechsel am Tag über brachten. Ich könnte sie heute noch mit dem simplen Satz „Das ist ein Elch, Sie Idiot!“ zum lachen bringen, wobei das „Idiot“ am Ende langgezogen gehört, wie in „Eine Leiche zum Dessert“. Später dann vernetzen wir die Agentur PCs, in der wir Rücken an Rücken sassen, spielten bis in die Nacht Dungeon Keeper, hetzten unsere Imps durch die gegnerischen Gänge und lachten beim Hühnermorph.
Etwa zur gleichen Zeit, wir standen auf einen Feierabendwein irgendwo in der Altstadt, da kamen Zwischentöne von A., sie würde meine Haltung bewundern, wie ich Nein sagen könnte, und sie würde das gerne lassen, das Pulver, die Depressionen ab Sonntags. Aber wie ginge das, über die Jahre, was kommt hinein in die Lücken, die es offen liesse ?
Es ging nicht mehr lange gut mit ihr und mir. Ich blieb ehrlich und konnte ihr Koksego nicht ertragen, diese leeren Redeschwälle, das ganze Gezappel und die viel zu offenen Augen. Nüchtern gern, Arbeit immer, aber Abends zusammen unterwegs, Nein.
Noch etwas später fand sie ihren männlichen Gegenspieler. Er arbeitete einen Tag zur Probe, sie trafen sich im Flur und erkannten etwas gegenseitiges, das gleiche Defizit im andern. Sie brauchten sich noch in der selben Sekunde, und die Nacht darauf legten sie erst ihr Pulver und dann sich zusammen auf den Küchentisch.

Nach drei Monaten Dauerparty war A. schwanger. Es wurde die ruhigste und sanfteste Zeit für alle drei. Er kaufte ihr Tiefkühlbaguettes und machte ihr Tee zum Mittag, sie fühlte sich auch ohne Koka vorhanden und das Kind wuchs und gedieh offensichtlich. Wir alle hatten eine ruhige Zeit, ich ging mit ihr und ihrem Bauch in der Pause zum Rhein, und wir redeten viel. Es war ein bißchen wie früher, und kurz darauf bekam sie ihre Tochter, und ich einen neuen Job.

Ab und an telefonierten wir noch, und sie klagte, das er wieder über Nächte nicht nach Hause kam, betrunken mit seinem Kind am Rhein herumlief und letztlich roch er nach einer anderen. Sie hätte übrigens mal wieder richtig Lust auf Party, meinte sie, so mit allem. Dann würde er sie auch wieder toll finden, alles wäre wie früher. Ich sprach dagegen, vor allem gegen ihn, und das ging über Monate bis Jahre. Unsere Telefonate wurden mehr wie selten, ich ertrug die Geschichten nicht mehr, die immer gleich und noch schlimmer wurden. Nachts rief sie an, völlig überdreht, und einmal merkte sie gar nicht, das die Leitung unterbrochen wurde. Ich versuchte über zwanzig Minuten sie zurück zurufen, aber die Leitung blieb besetzt. Später meinte sie, das könnte doch höchstens eine knappe Minute gewesen sein, das hätte sie doch gemerkt. Kurz darauf war Weihnachten, das ist jetzt drei Jahre her. Sie rief mich an als ich im Zug zu meinen Eltern sass. Er wäre wieder bei der andern, das Schwein, und das an Heiligabend. Sie sah es wie einen Kampf, sie gegen die andere, und ihr Ehrgeiz war wie Brennstoff.
Lass mich bitte mit dem Thema, sagte ich ein wenig lachend, Du kommst ja doch nie zu Verstand. Als ich den roten Hörer drückte, war ich im Hunsrück und traurig, weil ihr Stolz irgendwo verschwunden war.

Ein kontaktloses Jahr später kam Nachts eine SMS mit ihrem Absender. Der genaue Wortlaut ist mir entfallen, aber es ging um den Kosmos und andere Welten und irgendwas mit Apfelschnaps. Ich schickte ein „Bist du voll oder nicht mehr dicht?“ zurück, das weiß ich noch. Darauf lange Stille, und sehr viele Wochen später dann eine SMS zum Abschied, sie wäre nicht dicht gewesen, sondern irgendwo anders, und sie würde bald sterben und wollte jetzt noch Abschied nehmen.
Ich erwiderte „Abschied nimmt man nicht per SMS, ich ruf dich an.“, und rief sie am nächsten Morgen an. Es war eine kurze Stille in der Leitung bis sie sagte, sie wäre voll Krebs, und das nächste Weihnachten würde sie wohl nicht mehr erleben. Ich liess mir ihre Zimmernummer geben und fuhr hin.

Sie hatten ihr den halben Magen und die Bauchspeicheldrüse entfernt, und auch all die anderen Drüsen in ihrem Körper
entwickelten sich von gut zu böse. Sie hatte Depressionen und keinen Hunger, sie hatte immer noch ihren Freund und dieser immer noch seine Geliebte, und alle hatten das, was sie schon seit Jahren pflegten. Ich war fassungslos, aber sie lachte nur und drängte mich runter in der Uni-Park, in der Station konnte sie nicht rauchen.

Bei meinem letzten Besuch wog sie 49 Kilo, und hatte einen Port für die Chemotherapie gelegt bekommen. Wir sassen in der Frühlingssonne vor der Klinik und ich freute mich, dass unser schwarzer Humor immer noch funktionierte und ihr
eine Basis zum erzählen gab.
Du gehst anders mit mir um, sagte sie. Bei Dir habe ich nicht das Gefühl, ich hätte schon das letzte Hemd an. Während wir in der Sonne sassen, drückte sie alle fünf Minuten seine Nummer, und ihre Energie samt Laune schwand mit jedem mal, wie sie seine Ansage auf der Mailbox hörte.
Er hat unsere Tochter bei sich, und läßt sich bestimmt grad von dieser Schlampe ficken, sagte sie mit belegter Stimme.
Warum tust du Dir das nur an?, war das einzige was mir noch einfiel. Ich fühlte mich wie eine alte Schallplatte.
Schau mich an, sagte sie, als sie aufstand. Ihre Joggingshose flatterte um ihre Beine, sie war kalkweiß und wirkte zerbrechlich.
Meinst Du, ich bekomme so noch einen Mann ab ?
Ich bin ihr bis heute die Antwort schuldig, weil ich keine habe. Aus meiner Sicht ist es überflüssig, ihr Zentrum sollte sie selber sein, und kein Mensch oder Mann, der sie um alles betrügt. Aber ich war und bin gesund, ich habe andere Werte, ich führe ein anderes Leben.

A. starb vor zwei Wochen in der Klinik. Sie wog nur noch 35 Kilogramm und wurde keine vierzig Jahre.
Er wurde von ihrer Familie nicht über den Ort und den Zeitpunkt ihrer Einäscherung informiert, weil sie Angst hatten, er könnte betrunken das letzte Ritual stören.
Auf ihrer Trauerfreier lief Robbie Williams statt Nick Cave, und so sang selbst auf Ihrer Beisetzung irgendwie der falsche Mann.
Trippin läuft im TV und hört sich für mich seitdem immer unpassend an.

seemannsgrab | © Lu um 15:00h |