Donnerstag, 17. Januar 2008

der schlimmste brief seit geburt.

Ich habe vor cirka zwei Stunden den schlimmsten Brief seit immer in einen Schlitz mit der Aufschrift 'andere Orte' gesteckt, leise kichernd, weil ich sehr gerne Gesicht und den dazu gehörenden Spruch des Menschen hören würde, der ihn empfängt.
Das war so:
Bei meiner Krankenkasse kann man Punkte sammeln wenn man bestimmte Dinge tut. Ein Jahr im Fitnessstudio turnen bringt 150 Punkte, eine Grippeschutz-Impfung 100, und einmal Beine breit machen zum Abstrich 150, also vom Wert her genau so viel wie ein Jahr konstantes Schwitzen.
Ich sammelte hier und da, schwitze von Januar bis Dezember, machte einmal frei im November, bekam keine Spritze weil keine Lust und so weiter.
Dafür konnte ich mir jetzt etwas aussuchen, und das tat ich gestern. Alles war abgestempelt, nur der eine 150 Punkte schwere Stempel aus dem Gym fehlte noch und sollte heute hinzukommen und sich zum Rest gesellen.
Ich also mit gesundem Wangenrot nach zwei Stunden Körperertüchtigung meinen Stempel für F5 abgeholt, alles zusammen in den vorbereiteten (Adresse, Absender, Briefmarke) Briefumschlag gesteckt und raus aus dem Fitnesstempel.
Da eisekalter und strömender Regen.
Ich keine Hand frei, Kuvert also zwischen die Zähne.
Bei Kälte ein bißchen gesabbert, eine Ecke angedengelt.
Schließe im halbdunkel Fahrrad vom Zaun ab, streife scharfe Kante des Zauns und reisse mir Handaußenseite auf. Fluche und nehme dazu das Kuvert aus dem Mund, danach über den kompletten Absender ein einziger Blutstreifen.
Shit.
Klemme Kuvert wieder zwischen die Zähne (da sehr dunkel, und durch Regenverhältnisse schwierige Verkehrslage für Fahrradfahrer in schwarz) und fahre los. Briefkasten ca. in zwei Kilometer Entfernung. Regen wird stärker, drehe an der Ampel Kuvert, damit der Absender und die Blutspur verschwimmt, und nicht die Adresse auf der Vorderseite.
Dabei fällt Kuvert aus der Hand und weht einen Meter zurück auf die Kreuzung. Ein Fiat fährt darüber, Adresse ist komischerweise unversehrt und lesbar. Super.
Kuvert wieder zwischen die Zähne und weiter.
An der nächsten Ampel sieht mich ein Passat trotz zehn Lampen nicht, und fährt mich -gelb überfahrend- fast über oft besagten Haufen. Nehme Kuvert aus dem Mund zum lauten Passatfahrer beschimpfen, dabei fällt Kuvert dank eiskalter Hände runter und wird von meinem Vorderrad zweifach überfahren. Gottseidank kann man Adresse noch lesen.
Alles ist gut.
Fahre weiter und denke über all die Menschen nach, die statt breitem Fußgängerweg den schmalen Fahrradweg bevölkern und mit Leben füllen. Muss dabei fast die beiden Terrier an Schnappleine übersehen haben und gehe stantepede in die Eisen. Nach fast erfolgtem Überschlag dank gut eingestellter Bremsen des Trekkingrades freuen sich die Terrier über das runtergefallene, weiße etwas. Der eine ist schneller als ich und triumphiert mit funkelnden Augen, als er das Kuvert, MEIN Kuvert, schneller ergattert als ich. Nach kurzem Zerren befindet sich das Kuvert frisch gelocht wieder in meinem Besitz. Noch 200 Meter bis zum Briefkasten.

'andere Orte'

!

Übermorgen in einer Filiale der Barmer Ersatzkasse- da wär ich gern Mäuschen!

( "Punk ist das, was im Moment passiert." Johnny Bauer in 'Wecken und geweckt werden', Film.)

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Schätze, der Nachtbriefkasten der BEK an der Mecumstraße wäre näher gewesen; aber dann wär der Brief vielleicht auch unversehrt geblieben, und die schöne Geschichte wär futsch. Alles hängt mit allem zusammen.

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"frisch gelocht", wie schön!
Fühle mich stets - angesichts Ihrer Texte - ebenfalls 'frisch gelocht'. Heldinnenhafte Kämpfe mit entfernten Briefkästen werden hier (Hannover) untertänigst honoriert.

Ach ja, Hannover...

Aber ja, Miagolare!
2008 ist noch jung.

Katertodschmerzen bleiben unvergessen.
Sie aber wie Phönix aus der Asche.

Vielen Dank....

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ach, mein bester taschenbier!
auch danke.

den katertod habe ich heute wieder schlimm beweint, mitten im stadtverkehr auf meinem rad. nur einmal dran gedacht, eine halbe stunde nicht mehr gelacht.
schlimm, wenn ein seelenfreund so fehlt.

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Ich fürchte, die können das nicht würdigen. Irgendeine gelangweilte Posteingangstante wird gelangweilt, vielleicht zumindest mit spitzen Fingern den Beutebrief aufratschen und den Inhalt an den Promotionpartner faxen. Das Kunstwerk senkt sich dann unbeachtet in die Ablage rund.

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ja, schlimm. da gibt man sich solche wilde mühe, und dann denkt da nur eine sachbearbeiterin mit falschen nägeln 'schlampig, dieser umschlag.'

(menno)

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köstlich!

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