Sonntag, 15. November 2009

#141

Und dann ist Sonntag, und dazu den ganzen Tag Enke.
"Enke ist die Diana der Männer", so der eine, "Selbstmörder nerven" so die andere. Ich bin da so und so. Am Abend selbst sprachlos, wie ich es immer bin, wenn einer vor dem Ende schon geht. Ich würde gerne den ganzen Selbstmord an sich als anstössig melden. Mir verschlägt es immer die Puste, wenn jemand nichts mehr aushält und vorzeitig geht. Nimmt er dabei aber Menschen mit ins Unglück, die eigentlich ganz in Ruhe ihr Leben leben möchten, dann werd ich dazu noch maulig.

Heute "Event" Trauer. Ich an sich habe die letzten knappen fünf Jahre so oft getrauert, war so oft in der Situation, das alles zuzulassen, das alles durchzugehen, das alles wieder abzugeben, und weiterzumachen. Mir tut seine blasse Frau leid, und ich denke, dass man auf Beerdigungen immer gleich aussieht. Schwarze Hülle, Haare glatt und aus dem Gesicht, Lippenpflegestift aus dem Drogeriemarkt, Wimperntusche (Wasserfest) und kein Parfüm. Die Nachrichten zeigen Bilder von Enke und seiner kleinen, herzkranken Tochter. Kloß im Hals, kurz nachdem ich bei Facebook gemault hatte, dass da jetzt auch ein Lokführer ist, der eventuell die nächsten Jahre statt gemütlich auf seiner, auf einer Therapeutencouch hockt und über die Unzuverlässigkeit von Glück und Unglück redet.
Depressionen werden neu diskutiert, das ist gut.
Hat sich eben ein Fussballer umgebracht, und kein Top-Manager, einer von 96 und kein Opferlamm der Finanzkrise und ihrem Druck. Depressionen kommen auf allen Ebenen und in allen Schichten vor, am meisten bringen sich die Männer deswegen um, und einfach ist das nie, ich weiß wovon ich da tippe.
Früher, also schon ganz lange her, da galten die Depressiven mehr so als die glamourösen Vögel der Gesellschaft.
Die Melancholiker waren sensibel, hatten viel zu schreiben, waren Künstler und nicht einfach in der Handhabung, aber eben wohl toleriert. Heute finden sie keine Luft mehr in all dem Druck, werfen sich vor Regionalzüge, schlucken Antidepressiva mit Dosenprosecco oder machen anderes zu ihrem Ventil und einfach so lange weiter, bis.
Ich habe heute auch viel geflucht auf die Medien und habe nichts eingeschaltet, weil ich Angst vor Public-Viewing-Walls in Eintracht mit Trauer und Tod hatte, aber:
Am Ende steht da ein depressiver Mensch mit Entschluss und eine Menge an trauernden, die darin wiederum ein Ventil finden, und zuletzt die mich anwidernden Medien, die am liebsten ein Winterbeerdigungsmärchen aus dem Rest von Enke machen würden. Aber wer bin ich, die da richten darf?!

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Meine Mutter, die sich das wohl angeschaut hat (Ich so: Seit wann bist du 96-Fan? Sie so: He, der hat in der Nationalmannschaft gespielt!), versicherte, immerhin sei auf der Trauerfeier daran erinnert worden, auch an den Lokführer zu denken. Mit einer Bloggerin (out of all persons) diskutierte ich neulich über das Für und Wider dieses überdimensionalen öffentlichen Trauerfeierns, der medialen Aufbereitung usw. Ich halte das heute letztlich für angemessen, er hatte viele Fans und viele sind betroffen. Und immerhin: Weder war Courtney da, noch hat Elton John "Candle In The Wind" gesungen. Aber wehe, morgen macht die Dings auf mit "Wir sind Enke!"

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Vielleicht haette die Dings waehrend der Trauerfeier auf ihren Liveticker verzichten koennen. Und ja, nicht erst heute wurde an den Lokfuehrer gedacht, das hat Frau Käßmann ja auch am Mittwoch schon getan.
Statt Courtney und Elton war uebrigens eine 17jaehrige da, die schon oefter vor Spielen gesungen hat und sie hat das ganz grossartig gemacht! Es war in meinen Augen eine wuerdige Abschiedszeremonie, kein Eventtrauern und auch kein Kitsch.

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Ich habe in der Tagesschau dann doch Bilder gesehen, und fand das ebenfalls (pour moi) in Ordnung. Alles unaufgeregt, so still wie möglich, gedeckt irgendwie. Die Trauer ist ja nicht falsch, nur die Überschriften und die lauten Medien nerven zwischen den weißen Blumen.

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... so still wie möglich...

auch wenn man das 'wie möglich' betont, klingt es angesichts eines stadions mit über 40.000 menschen, die sich ständig bemüßigt fühlen, standing-ovations zu geben, irgendwie euphemistisch.

ich hätte an seinem todestag niemals darauf gewettet, dass der selbstmord des fußball-nationaltorwarts ein SOLCHES mediales echo erzeugt... aber wahrscheinlich hat er auch unbeabsichtigt durch seine depressionen als auslöser einen nerv des zeitgeistes getroffen und wenn man einem professor in den nachrichten glauben schenken darf, wird sich dieses leiden auf absehbare sowieso auf der liste der häufigsten malaisen direkt hinter herz-kreislauf-erkrankungen einordnen. die welt dreht sich immer schneller und selbst die übermenschen spitzensportler sind dagegen nicht automatisch immun... meine erkenntnis der letzten tage und irgendwie dann auch wieder auf eine gewisse art tröstlich.

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So unfair das auch ist ...
aber ich gehe mal davon aus,
das wenn ein Mensch weder
von seiner Frau, seinem Kind
noch von seinen Millionen auf dem Bankkonto
im Leben gehalten wird,
er sich da wohl kaum um den Lokführer,
Gedanken macht (bzw. kann!)

Das ist ja das grausame an der Krankheit,
das sie so schmerzt das sie alle anderen Emotionen
überlagert. Auch das Mitgefühl ...

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Mal etwas zu den 40000 Menschen und der Tatsache, dass diese Trauerzeremonie in so großem Rahmen stattgefunden hat:
Robert Enke und die Hannoveraner, das war ein Verhältnis, das weit über die Bewunderung eines (beliebten) Spitzensportlers hinausgegangen ist. Als seine Tochter geboren wurde und bekannt wurde, dass sie eine Herzkrankheit hat, als Robert Enke sie nach einer überstandenen Operation nach einem Spiel überglücklich in den Arm nahm, da haben schon viele Menschen angefangen, eine besondere Verbindung zu ihm zu spüren. Als die kleine Lara dann starb, da haben viele von uns mitgeweint. Es ging sehr nahe und seine Art, damit umzugehen, hat uns alle tief berührt. Wie überhaupt seine ganze Art, mit den Fans (insbesondere den jungen) umzugehen. Er war nie der Star, obwohl er doch ein ganz Großer war. Spontan und noch bevor die Medien ein Spektakel daraus gemacht haben, gingen ganz viele Menschen zum Stadion und legten Blumen nieder, zündeten Kerzen an. Teresa Enke wusste, wieviel die Fans Robert Enke bedeutet haben und ich finde es großartig, dass sie ihnen die Möglichkeit gegeben hat, auf diese Weise Abschied zu nehmen. Auch für die Familie war es sicher besser so, denn anderenfalls hätten die vielen Menschen ihnen vielleicht gar nicht die Ruhe gelassen, die sie dann nach dieser Zeremonie hatte, um Robert Enke zu begraben.

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seh ich auch so, also dass die frau den fans die möglichkeit gegeben hat.

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Bin für einen neuen Feiertag. Jedenfalls bei gutem Wetter im November, sonst wahlweise auch im Mai (Enke Auferstehung?).

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Na toll, der gilt dann sicher nur in Hannover, Jena und Gladbach... *maul*

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Eines scheint mir
bei dem von diesem jungen Abgang ausgelösten Medienspektakel bzw. der sogenannten Diskussion und des beliebigen, nicht differenzierenden Einsetzens der Begriffe «Freitod» oder «Selbstmord» gänzlich unterzugehen oder so gut wie überhaupt nicht bekannt zu sein: daß es Unterschiede gibt zwischen dem Suizidär und dem Suizidant. Anfang der achtziger Jahre habe ich mich mit der Thematik beschäftigt und unter vielen Schriften auch ein Buch gelesen, das geradezu spannend ein- sowie weiterführt. Es scheint neu aufgelegt worden zu sein, weshalb wohl es von Daniel Bigalke besprochen wurde: Hand an sich legen von Jean Amery.

Es dürfte den aktuellen Fall vermutlich nicht berühren; sicher kann ich nicht sein. Auf jeden Fall darf auch das nicht vergessen werden. Dazu gehört auch: «Die heutige Medizin», so Bigalke, «ist Kampf gegen den Tod anstatt eine Hinführung zum Einverstandensein mit ihm.»

Weshalb funktioniert das hier eigentlich nur mit über die blogger.de-Software hinausgehenden Cookies?

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