Sonntag, 28. Juni 2009

#86

Hamburg.
Sonne, 24°, Wind.

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Hamburg ist –wie auch Paris- eine Stadt, in der ich gerne aussteige. Schwierig nur, wenn man im Handgepäck das Fernweh stecken hat, und die Endhaltestelle des Zuges Dagebüll Mole ist. Schwierig weil ich weiß, das Dagebüll Mole direkt an der See ist, ich meine Tasche ein paar Meter rüber nach rechts schleppen müsste, dann ist da die Fähre, und die fährt die Inseln an. Amrum, Sylt, toll!
Nicht, dass ich Lust auf Sylt hätte, aber ein Ofenkäse mit Nussbrot auf Amrum, abends ein Fisch und ein Wein, und Urlaub zum Nachtisch-
Konnte mich in Hamburg gewaltvoll aus dem Sitz brasseln, aussteigen und: Über Hamburg freuen.

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Kaffee bei der Ex-Fellchensitterin, Sonne, Wind, und dieses Hallo der Stadt. Ein beeindruckender Flur mit langer Hochschau.

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Abends dann. Ein weit vorgezogenes Geburtstagsgeschenk, die Hamburgische Staatsoper kann nicht dann, wenn ich Geburtstage, und deswegen im Juno statt August: Turandot mit la Gröner.
Rinn in die Klamotte, raus aus der Bude, rein in eine mir neue Welt.
Es lohnt sich ja immer, einen mit Erfahrung an der Seite zu haben, und so entging ich Prosecco-Fallen ("Da schläft man nur vor dem 2. Akt ein!"), ging auf die richtige Lokation (" Da hinten rechts ist das Frauenklo"), und wusste was passiert, wenn man nix sieht, und vorne alles losjubelt ("Das ist der Dirigent, der ist einmarschiert, und den sehen grad nur die ersten zwei Reihen"). Einlassen auf das Geschehen zur CD, die ich bislang nur ohne Bühne und Spektakel kannte.
Aber wie toll!
Da wird richtig gearbeitet, gelitten, verflucht, angeliebt, fast geköpft und verarscht. Und man kann es den Menschen auf der Bühne danken, indem man klatscht, und trampelt und
lacht und in allen Städten ausser Hamburg mal ein BRAVO gen Bühne ruft.
Ich lasse mich derweil ein, fühle Grausamkeit allein wegen der Stimmung, vergesse die Übertexte (unglaublich, aber es gibt sie), erfreue mich am fahlen Licht, was den Aufgang des Mondes einleuchtet, am Lied, an der Stimmung. Die alte Lady links neben mir nickt bei längeren Stellen (Tod oder Überdenken) weg, ihr Mann dagegen gebannt und offenen Mundes. Ich weiß teilweise gar nicht, wo zuerst hinsehen, die Inszenierung sehr duster und Teilmorbide, viel Blut und appe Köpfe an den Toren, und auch die angedeutete chinesische Mauer drückt auf die Szenerie und die Barden wie Tonnen aus Stein.
Toll!

Vorhang zwei, vor der Staatsoper Menschen in feinem Zwirn, die sich kollektiv Bierflaschen an die Lippen legen. Hanseatensommer bei 24° am Abend, und die feine Art kann in der Garderobe abgeholt werden. Wir lassen Getränk und Pipipause links liegen und lümmeln einfach in unserer Reihe 14 herum und gucken Leute. Die Lady von Links nebst Gatten sehe ich zur Sektbar rennen. Frage mich, wie mein Leben jenseits der 70 aussieht, aber da: Gong und Vorhang.

Nessun Dorma? Oder war das nach dem ersten Vorhang? Jedenfalls ist dieses Paul Potts durchdingst und ich kann nicht heulen. Rührend ist es trotzdem und sehr.
Kalaf singt sich also die Seele frei, und die Boy meets Girl Sache geht mit viel Pompom und Getöse ihren Weg. Am Ende Kuss, Aufatmen, zwei Tote und man könnte feministische Diskussionen führen, aber.
Tun wir nicht. Bus, Abaton, Crostinis, Tempranillo für mich, Riesling für la Gröner, Aufarbeiten, Wagner, Geschichten und alles ist durchnässt von Puccini. Gedenke, die nächsten 30 Jahre mit Frau Gröner die Opern dieses Planeten zu bereisen. Sind nach Mitternacht im Bett und summen Lieder.

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Am nächsten Morgen lange über Wagner und die Bereitschaft zum Sitzen geredet. Michael Jackson lebt noch, und Frau Gröner hat einen Bronze-Löwen in Cannes abgesahnt, während wir in rotem Plüsch applaudierten.
Schaue auf YouTube Nessun Dorma von meinem liebsten Sänger und heule noch unter 30 Sekunden los. Paul Potts, go home.

Hier und für alle Luciano P. und einer seiner Auftritte zum Lied. 2006, und er ist ein wenig in der Rolle des Kalaf, wie man sieht. Für mich ist das Lied nicht mehr 'nur' das schöne Nessun Dorma, sondern ich habe jetzt die volle Geschichte im Leib, und deswegen gibt es dazu noch die deutsche Übersetzung.
Und ja, es geht hier tatsächlich um Leben und Tod, und man will, dass Kalaf gewinnt, demnach nicht stirbt, und beide bis an ihr Lebensende, so.

Niemand schläft! Niemand schläft!
Auch nicht du, oh Prinzessin,
in deinem kalten Raum.
Schau die Sterne, die beben
vor Liebe und Hoffnung.
Aber mein Geheimnis
es ist gesichert in mir,
meinen Namen wird niemand wissen.
Nein, nein, einzig auf Euren Lippen werd ich ihn enthüllen,
wenn die Dämmerung einbricht.
Mein Kuss wird die Stille brechen
und Dich zu meinem machen.

Chor:
Seinen Namen wird niemand wissen...
Und wir werden, leider, sterben, sterben...!

Prinzessin:
Breite Dich aus Nacht! Setzt Deine Sterne!
Setzt Deine Sterne! Mit der Dämmerung werd ich gewinnen!
Ich werd gewinnen! Ich werd gewinnen!




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Friedhofsbesuch. Der kleinste Hamburgs. Geweint und einen Stein hinterlassen. Machs gut.

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Hamburg, Hafen, Kaffee und Café.
Fähre, Kekse, Blankenese und Feinkunst Krüger.
‚Feinkost Reuter’, wie ich damals dachte, ich Ahnungslose in FlipFlops. Für uns sogar Regen, umsichtige Matrosen zücken Schirme und Kekse, das hermetische Café und die Hafenversion auf Betriebsausflug. Alles angedachte egal, es gibt Lamm und Fisch, und keiner stirbt, was fantastisch ist!

Als Michael Jackson 'schon mal vorgeht', komme ich grad in meiner Gastfamilie an. 'Bist Du Michael Jackson-Fan?' werde ich begrüßt, und ich 'Nee, wieso, ist der da?' Und dann auf allen Kanälen ein einzig Bild. Bei Pavarotti hab ich geheult, bei Michael denke ich, R.I.P. Jacko, und ich wünsch Dir ein nächstes zufriedeneres Leben mit einer Nase, die Du magst.

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Freitag, Frühstück, Zeugs und Rückfahrt.
Es ist sehr schwül, und ich randvoll mit Musik.

Bilder gibt es wie immer in meinem Album.