Donnerstag, 19. Januar 2006

auf augenhöhe mit wilden bären.

Ich weiß nicht mehr so ganz genau, wann das anfing, als plötzlich, und wie im Untergrund verabredet, alle Frauen zum Rasierer griffen, und für Ordnung in ihrer Unterbekleidung sorgten. Seit gestern ahne ich, dass es sich um einen Generationstick handelt, oder einen Trend, der sich irgendwann erübrigt oder herauswächst. Es muss so kurz nach der Zeit mit Nena angefangen haben, die uns mit musikalischer Untermalung zeigte, wie das aussieht, so ein Fifi unter den Armen. Und dann fielen sie, Centimeter um Centimeter, Körperregion um Bikini-Zone, bis nur noch das Deckhaar blieb, und da machte Sinéad O’Connor dann auch Schluss.

Es war ein verhangener Nachmittag, gestern. Draussen nieselte es, die 2do-Liste war zur Hälfte abgehakt und der Rest zog sich quälend dahin. Ein Blick vom Laptop auf die Schweinehündin, die zufrieden auf dem Rücken liegend vor der Lichtdusche schlief, ein Blick auf meine verfrorenen Arme, und ein letzter Blick auf die Kaffeekanne, die gähnend leer und komplett in meiner Blutbahn entschwunden war. Fazit: Sportklamotten einpacken, die eine Stunde gönn ich mir und zwar genau jetzt.

Das war um 16:20 Uhr, und ich sah Damokles Schwert nicht über meinem Kopf, als ich nur eben schnell meine Haare zusammen würgte, die Wasserflasche und die Sportschuhe in die Tasche schmiss und ein Handtuch, welches leider nicht aus der aktuellen IKEA-Kollektion entsprungen ist und farblich frisch und schön aussah, sondern blind ins Regal griff und an späterer Stelle "UNI-KLINIKEN BONN" auf verwaschen grauem Frotteegrund lesen sollte.

Es dämmerte, als ich in letzter Sekunde ankam. In der Umkleide las eine junge Frau mit Sekretärinnen-Blick ihrer Freundin mit Steuerfachangestellte-Blick aus einem Bastei-Lübbe Roman names Julia eine Passage vor, die sie laut Eigenaussage kaum in den Schlaf hat finden lassen, einen Abend zuvor. Ich gähnte beim umziehen, erschrak, als mich die Trainerin des Kurses mit einem frischen "Na, jetzt aber zackzack, ich bin schon in den Schuhen und hab eine Überraschung." durch die Spinde anbrüllte. In ihrem Sog verheddert im Eilschritt zu Raum A, der in sonnigen Farben und wohl gefüllt wartete.
Freie Ecke, Matte auf den Boden, Handtuch drauf, Hanteln daneben, Wasserflasche in Griffnähe, Trainerin hündisch anlächeln.
Ich wär dann soweit.

Sie ist von der Sorte "Boot-Camp", hat eine Figur wie Big Jim’s kleine Schwester und ist die untussigste Trainerin, die ich jemals in einem Kurs erlebt habe. Kurz: Sie ist wundervoll !
Um mich herum die ganze Palette an Kursbesucherinnen, wie sie nur ein später Nachmittag zusammenbringt. Hohes Büro-Potential, viele über Jahre hinweg platt und breit gesessene Hinterteile und noch mehr richtig verkniffene Gesichter. Im Gegensatz zu den Morgenkursen, die ich persönlich bevorzuge, weil dort nur freiwillige Bewegungsjunkies wie ich den Weg finden, und die Gesichter in der riesigen Spiegelwand hauptsächlich freundlich zurückschauen. So aber nicht gestern Nachmittag.

Die Dame ganz hinten links sieht beim Aufwärmen aus, als wenn sie ein Rind mit blosser Hand erledigen müsste, die junge Frau direkt neben mir tut alles, um ja nicht mit dem Takt zu gehen, bringt dadurch ihre Freundin schwer ins straucheln, weil diese sich einzig an ihr orientiert, statt nach vorne zur Trainerin zu schauen, und dort, links ganz vorne, da sind die beiden von der Bastei-Lübbe-Fraktion, von der die vermeintliche Steuerfachangestellte sich immer hinten an der Hose zuppelt, weil ihr Hinterteil offensichtlich ( ich sag nur : weiße Leggins ) ihren blumigen String futtert.
Nach zehn Minuten hängt ein Hauch von Puma-Stall in der Luft und wir kollektiv an den Wasservorräten. Warm wären wir jetzt.

In diesem Moment geht die Tür auf, und ein attraktiver junger Mann ganz in schwarz schleppt grußlos ein großes Stativ und eine schwere Tasche in den Raum.
"Das ist die Überraschung!" jubelt Mrs. Big Jim vorn auf ihrem Podest. "Und jetzt geben wir mal richtig Gas und stürzen uns auf unsere Bein-und Pomuskeln, nicht war ?" Fragende Blicke, Hände, die nervös Strings befreien und ein Fotograf, der zweifelnd im Rahmen stehen blieb.

Nach drei Minuten Frauen in Hocke gucken ( "Po raus, Plautzen rein, und jetzt kleine Wipper, ich zähl euch rückwärts runter, 30 – 29 – 28 TIEFER DIE HINTERN! sonst gibt’s extra-Portionen. Von vorn … 30-29…") bekam er eine Ahnung, wie der Hase lief, und packte seine Kamera aus.
Leider, und damit schlage ich den Bogen zurück zu den Haaren, leider richtete er seinen Fokus auf mich, schwitzend und leuchtend wie eine Signal-Boje, und wenn ich mal keinen Schweiss in den Augen, und den Blick übungsbedingt in seine Richtung hatte, starrte ich direkt in ein gewaltiges Objektiv.
Mal stand er hinter uns, mal kletterte er auf die gestapelten Steps, dann wieder lag er fast auf dem Boden, aber die meiste Zeit hatte er eine Mischung aus Belustigt & Angst im Blick. Irgendwann packte er ein und ging.

Aus den Augen, aus dem Sinn. Nach der Stunde und gefühlt um die 4 Liter leichter zurück in die Umkleide. Um mich herum geschäftiges Treiben, und ich setzte mich erst einmal hin und suchte meinen Schlüssel. Als ich den Blick wieder hob, sah ich in einen wilden Urwald.
Um mich herum alle nackt, ich dachte zuerst, ich halluziniere unterzuckert, und griff beherzt zu meiner Flasche. Aber dem war nicht so. Morgens, und da sind es ja meist nur wenige, teilt sich die Gruppe in zwei Untergruppen, die "Flüchter" und die "Sauner". Die Flüchter, zu denen auch ich zähle, müssen schnell weiter und duschen zu Hause. Die Sauner haben etwas mehr Zeit, und rotten sich mit ihren Handtüchern ganz gern noch ein wenig gesellig in heißer Luft zusammen. Jetzt aber lernte ich eine neue Untergruppe kennen, und zwar die "nackten Klöner". Überal standen Frauen splitternackt, ihre zuvor gemarterten Strings in den Händen dehnend, und hielten Klönschnack. Es ging um die Supernanny, es ging um einen Chef, den sich wohl drei der Frauen teilten, es ging um einen Jochen, zwei Kennys und um Burger King, welches direkt neben dem Sporttempel trohnt. Und ich sass als einzige, noch notdürftig bekleidet, und war auf Augenhöhe mit Bären, die ich so seit den 80ern nicht mehr gesehen hatte. Es gibt sie also noch, sie sind aktiv und sie haben Anhängerinnen, eine Form von Naturschutz, und ich hadere mit mir, ob ich schnell mein Handy und Flickrn … lasse es dann aber bleiben.

Ich stehe schnell auf, raus aus der Perspektive, weg von den gewaltigen Bürostuhlformen und rauf in die Zone der Gesichter. Als ich fertig angezogen bin, schiebt eine große Gruppe der Frauen inklusive ihrer Bären und Fifis in Plastikbadelatschen ab Richtung Sauna. Handtücher werden nur als Schals benutzt, wen kümmerts auch.

Als ich nach unten komme, fängt mich der Fotograf ab.
"Sie wissen schon, dass Sie hier brisantes Material mit rausnehmen, und das ich sie jetzt leider töten muss, weil Sie Geheimnisträger sind?" erwidere ich auf seine Begrüßung.
"Es tut mir leid, aber sie haben bei dieser Schinderei gelächelt und waren eine der wenigen dort, die Ansatzweise…na, Sie wissen schon."
"Neee, weiß ich nicht…" ich, "aber wenn Sie mal nach einer ausgestorbenen Spezies suchen möchten, dann empfehle ich die Damen-Umkleide. Sie leben!" und liess ihn mit einem Fragezeichen im Gesicht zurück.

Und das ist die Moral von der Geschicht’ : Es empfiehlt sich immer, mit einer gut sitzenden Frisur das Haus zu verlassen, dann hätte man auch als Frau die Eier zu fragen, für welches Blatt die Fotos denn nun sind.
Und für die Damen der Untergruppe der nackten Klöner mach ich mir für das nächste mal ein Shirt, und auf dem steht :

"Nur ein getrimmter Bär macht was her.